Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Orden – neue Ziele

Die Militarisierung der deutschen Außenwirtschaftspolitik schreitet voran. Sicherung fossiler Rohstoffe im Mittelpunkt der globalen Strategie

Von Herbert Schui *

Auf der sogenannten Berliner Sicherheitskonferenz am 9. November hat sich Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für die militärische »Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen« stark gemacht. Die Frage sei »ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten«, sagte er am 9. November im Berliner Congress Center. Um die zivilen Gesichtspunkte kümmert sich derweil Wirtschaftsminister Rainer Brüderle: Er hat am 4. Oktober die Deutsche Rohstoffagentur als öffentliche Einrichtung ins Leben gerufen. Diese soll unter anderem die »Kooperation mit rohstoffreichen Ländern« vorantreiben. Auf privatwirtschaftlicher Ebene gibt es die Deutsche Rohstoff AG, welche sich laut Selbstdarstellung die Aufgabe gestellt hat, »ein international tätiges, diversifiziertes Rohstoffunternehmen aufzubauen«.

Auf Kriegskurs

Guttenbergs Forderung nach einer aggressiven Sicherheitspolitik, »offen und ohne Verklemmung« korrespondiert mit neuen militärischen Auszeichnungen. Am 12. November hat Bundespräsident Christian Wulff die Einführung einer Gefechtsmedaille genehmigt. Sie soll Soldaten ehren, die aktiv an Kämpfen teilgenommen haben. Guttenberg hat damit am 29. November 15 deutsche Soldaten ausgezeichnet – darunter elf, die in Afghanistan ums Leben gekommen sind. Diese Gefechtsmedaille stellt eine Ergänzung zum Tapferkeitsorden dar, der »Einzelleistungen (ehrt), die weit über das erwartete Maß an Tapferkeit im Rahmen der Pflichterfüllung hinausgehen«.

All dies läuft auf eine Militarisierung der Außenpolitik hinaus. Und auf eine Stärkung jenes militärisch-industriellen Komplexes, vor dem bereits US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede im Jahr 1961 warnte: »In den Gremien der Regierung müssen wir uns davor schützen, daß sich der militärisch-industrielle Komplex ungerechtfertigten Einfluß aneignet (...). Das Potential für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterbestehen. Wir dürfen niemals zulassen, daß die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet.« Als Gegenmacht setzte Eisenhower nicht zuletzt auf »wachsame und gut unterrichtete Bürger«.

Bei diesem Komplex geht es nicht nur um die Rüstungsindustrie, die aus Geschäftsgründen die militärische Lösung der diplomatischen vorzieht. Fast noch bedeutender ist das Interesse all derjenigen Industrien, die mit ihrer Ausrüstung und ihren Kenntnissen, solange es irgend geht, Gewinn machen wollen, statt Ersatzstoffe und erneuerbare Energien zu entwickeln. Bei Verlängerung der Laufzeit für Atomkraftwerke – als »Brückentechnologie« – handelt es sich um dieselbe Strategie.

Der Zweck eines Rohstoffkrieges besteht darin, sich die Verfügung über bestimmte Lagerstätten zu erkämpfen. Aber Kriegsgegner sind nicht nur Staaten als Eigentümer der Lagerstätten, sondern auch die privaten Unternehmen, die über die Schürfrechte verfügen, sowie deren Regierungen, die Konzerne stützen. Will also Guttenbergs Deutschland es gleich mit drei Gegnern aufnehmen?

Weil es sich um eine Nato-Strategie handelt, scheiden Kriege aus, bei denen Nato-Staaten bzw. deren Konzerne die Gegner sind. Also muß sich die Militärstrategie gegen Drittmächte wenden, wobei Rußland den Schulterschluß mit der NATO anstrebt.

Peak treibt Profite

Kriege werden in erster Linie um Rohstoffe geführt, die knapper und entsprechend teuer werden. Denn die immer kostspieligere Gewinnung bringt es mit sich, daß die jeweils ausgebeuteten Lagerstätten bei steigenden Preisen zunehmend höhere Gewinne abwerfen – allerdings nicht für die militärisch erfolgreichen Staaten, sondern für die Unternehmen.

Eine militärische Intervention oder auch schon eine Drohung mit selbiger können die Zufuhr knapper Rohstoffe eine Zeitlang sicherstellen; der Peak selbst, das Fördermaximum, kann so nicht hinausgeschoben werden. Allerdings: Die bestehenden Produktionsanlagen, vor allem aber die technischen Kenntnisse der Privatunternehmen im Troß der Sieger (für Deutschland wäre dies die Rohstoff AG) werden einstweilen nicht entwertet, weil sie weiter in Benutzung bleiben. Daraus entsteht die sowohl volkswirtschaftlich als auch ökologisch schädliche Motivation, solange es irgend geht am Erdöl und anderen fossilen Rohstoffen festzuhalten.

Das mildert den Druck, die Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien und der Ersatzstoffe für knappe Rohstoffe zügig in Angriff zu nehmen. Die für den Krieg und den kostspieligeren Abbau von traditionellen Rohstoffen aufgewendeten wirtschaftlichen Ressourcen sind verloren. Ein in diesem Sinne »erfolgreiches« Bündnis kann zwar militärische Siege erringen, verspielt dabei aber die Zukunft.

*Der Autor ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und saß von 0ktober 2005 bis Ende Oktober 2010 für die Partei Die Linke im Deutschen Bundestag.

Aus: junge Welt, 3. Dezember 2010


Lesen Sie auch:

Unverklemmter Imperialismus
Von Peter Strutynski (21. November 2010)




Zurück zur Deutschland-Seite

Zur Seite "Deutsche Aussenpolitik, Auswärtiges Amt"

Zur Seite "Rohstoffe, Energieressourcen, Öl"

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage