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Es hat auch uns gegeben

Offener Brief von Elfriede Brüning an Edda Ziegler – Vergessene Schriftstellerinnen

Werte Frau Ziegler,

Sie haben ein Buch geschrieben über »Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus«, worüber ich hocherfreut war. Na endlich, dachte ich, erinnert man daran, dass es auch vor dem 20. Juli 1944 schon Widerstand gegen Hitler gegeben hat.

Ich habe einer Gruppe angehört, die im »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« zusammengeschlossen war. Der Bund war 1928 von Johannes R. Becher gegründet worden, und zu ihren Mitgliedern gehörten so namhafte Autoren wie Anna Seghers, Ludwig Renn, Friedrich Wolf und andere. Ich war 1932 dem Bund beigetreten, weil mich die Atmosphäre faszinierte. »Kunst ist Waffe!« hieß es hier, und man wollte über die Welt der Arbeiter schreiben. Unter dem Einfluss des Bundes schrieb ich im Winter 1932/33 – als Zweiundzwanzigjährige – mein erstes Buch über den Niedergang eines kleinen Handwerkmeisters in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, dem ich den ironisierenden Titel gab: »Handwerk hat goldenen Boden«. Das Manuskript, 1933 fertig gestellt, konnte nach Hitlers Machtantritt nicht mehr als Buch erscheinen.

Auch der »Bund« wurde sofort verboten. Einige der leitenden Mitglieder des Bundes, so Johannes R. Becher, Anna Seghers und Wieland Herzfelde, hatten sich gerade noch rechtzeitig durch Flucht ins Ausland retten können und lebten in Prag oder Paris. Im Lande blieben die jüngsten Mitglieder, die bisher erst wenig veröffentlicht hatten und daher unverdächtig waren in den Augen der Nazis. Aber wir wollten weiter schreiben, jetzt natürlich illegal und für die Emigrantenpresse. In den »Neuen deutschen Blättern«, die Wieland Herzfelde herausbrachte, gab es eine Rubrik »Die Stimme aus Deutschland«, und die wurde von uns beliefert.

Wir waren in Gruppen aufgeteilt und trafen uns oft zu unseren illegalen Treffs im Afrikanischen Viertel im Berliner Wedding, wo Trude Richter wohnte, die frühere Sekretärin des Bundes. Eines Tages eröffnete uns Trude, dass sie in die Sowjetunion übersiedeln werde, wo sich ihr Partner Hans Günther bereits befand. Wir alle beneideten Trude glühend. Leider hörten wir dann lange nichts mehr von ihr, bis sie Mitte der 50er Jahre nach Fürsprache von Anna Seghers zu uns in die DDR zurückkehrte. Sie hatte, als angebliche Trotzkistin, zwanzig Jahre im äußersten Sibirien, in Magadan, im Lager verbringen müssen. Trotz ihrer schweren Erlebnisse war sie ungebrochen und stürzte sich sofort wieder in die politische Arbeit. Sie war Dozentin im neu gegründeten Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig.

Auch an Berta Waterstradt, ebenfalls Mitglied des »Bundes«, hätten Sie, Frau Ziegler, erinnern müssen. Berta war Lyrikerin. Sie gehörte einer anderen Gruppe an als ich, aber nach unserer Verhaftung im Herbst 1935 – ein Spitzel hatte uns an die Gestapo verraten – begegneten wir uns erneut bei der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße. Berta wurde als erste zum Verhör gerufen, ich blieb auf dem Flur zurück und wurde von zwei SS-Männern bewacht. Berta bot dem sie vernehmenden Gestapomann schlagfertig und mutig Paroli. Nach Kriegsende arbeitete sie beim Rundfunk, schrieb bald auch eigene Hörspiele, deren eines, »Während der Stromsperre«, von Kurt Mätzig verfilmt, unter dem Titel »Die Buntkarierten« erfolgreich aufgeführt und sogar mit dem Nationalpreis erster Klasse prämiert wurde. Berta schrieb auch weiterhin Theaterstücke und wurde regelmäßige Mitarbeiterin der Zeitschrift »Das Magazin«.

Eine weitere Widerstandskämpferin war Cläre Jung, der ich erst nach 1945 in den Sitzungen unseres Schriftstellerverbandes begegnet bin. Cläre, aus einem gutbürgerlichen Elternhaus stammend, hatte schon früh den Revolutionär Franz Jung kennen gelernt, dem sie ihr Leben lang verbunden blieb, obwohl er sie eines Tages, ohne Angabe von Gründen, verlassen hatte. Schon Anfang der zwanziger Jahre war Cläre mit Franz Jung in die Sowjetunion gefahren bis in wolgadeutsches Gebiet, wo damals neben Hunger, Typhus und Cholera und in verschiedenen Regionen sogar noch Kriegszustand herrschte, und wo sie Franz, dem damaligen Leiter der Internationalen Hungerhilfe, hilfreich zur Seite stand. Cläre hat weiterhin mitgeholfen, im Uralgebiet zehn Kinderheime für je hundert Waisenkinder aufzubauen. In der Nazizeit versuchte sie, sich mit Hilfe einer Feuilleton-Korrespondenz über Wasser zu halten, was immer schwieriger wurde, weil die meisten Zeitungen, die sie beliefert hatte, nach und nach verboten wurden. Auch wurden ihre Post und ihre Telefongespräche überwacht. Doch nach wie vor blieb ihre Wohnung, von ihren Freunden liebevoll die »Palme von Halensee« genannt, Zufluchtsort für alle, die in Not gerieten oder von Verhaftung bedroht wurden. Gegen Kriegsende wurde ihr »Asyl für Obdachlose« ausgebombt.

Sie erwähnen in Ihrem Buch oft und lobend die Mascha Kaléko. Ich bin Mascha 1930 in den Räumen des »Berliner Tageblatts« begegnet, wo wir beide unsere ersten Arbeiten veröffentlichten. Aber Mascha war keine Widerstandskämpferin. Sie war ja als Jüdin doppelt bedroht und hat Deutschland schon sehr früh verlassen, lebte in den USA und später in Israel. In den fünfziger Jahren ist sie kurz nach Deutschland zurückgekehrt, aber in die Bundesrepublik, wo sie ein kurzes Comeback erlebte. Die DDR hat sie meines Wissens nicht besucht.

Auch Ilse Stöbe hätte ich im Mosse-Haus begegnen können, denn sie war lange Zeit Sekretärin bei dem weltbekannten Leitartikler Theodor Wolf, der die schöne junge Frau kräftig gefördert hat. Durch seine Fürsprache konnte Ilse später als Korrespondentin Schweizer Zeitungen nach Warschau übersiedeln, wo sie von Rudolf Herrnstadt, ihrem Freund und Geliebten, der bereits länger dort lebte, schon sehnsüchtig erwartet wurde. Herrnstadt weihte sie in seine konspirative Arbeit ein, in die später auch der Botschaftsrat Rudolf von Scheliha, ein erbitterter Hitler-Gegner, einbezogen wurde, der allerdings bis zuletzt glaubte, für den englischen Geheimdienst zu arbeiten statt für den russischen, wie es tatsächlich war. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen übersiedelte Herrnstadt nach Moskau, während Ilse ins faschistische Deutschland zurückkehrte, wo von Scheliha ihr einen Posten im Auswärtigen Amt hatte verschaffen können. Hier, wo Ilse die Möglichkeit hatte, an wichtige Unterlagen heranzukommen, gründete sie mit einigen Mitverschworenen eine eigene Widerstandsgruppe, die mehrere Jahre lang tätig war. Erst 1942 flog die Gruppe auf, und Ilse wurde vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Am 22. Dezember 1942 wurde sie hingerichtet. Sie war erst 31 Jahre alt.

Ebenso gab es in der großen Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen, der sogenannten »Roten Kapelle«, Schriftstellerinnen, zum Beispiel Greta Kuckhoff, die zunächst zusammen mit ihrem Mann Adam zum Tode verurteilt, dann aber zum Leben begnadigt wurde. Auch von Annemarie Auer-Zak wäre noch zu reden, einer weiteren Gefährtin meiner Jugendzeit. Das heißt, kennen gelernt habe ich Annemarie erst nach Kriegsende. Sie war einige Jahre jünger als ich, stand also noch nicht aktiv im Widerstandskampf. Sie hatte Buchhändlerin gelernt, wurde nach der Lehre dienstverpflichtet und arbeitete in einer Fabrik Seite an Seite mit Franzosen, den sogenannten Fremdarbeitern. Annemarie hat ihre Briefe, die sie damals an ihren späteren Mann, den Österreicher Eduard Zak, ins Feld schickte, veröffentlicht, und ich kann nur jedem raten, diesen Band, den sie »Morgendliche Erscheinung« nannte, zu lesen, denn er vermittelt allen denen, die den Zweiten Weltkrieg nicht selbst erlebt haben, ein eindrucksvolles Bild davon, wie Menschen mit antifaschistischer Gesinnung damals gelebt und gelitten haben, wie sie sehnsüchtig das Ende des Krieges herbeigewünscht haben, ohne doch zu wissen, ob sie die eigene Haut aus dem Schlamassel würden retten können.

Sie erwähnen, Frau Ziegler, in Ihrem Buch auch die Autorinnen Ricarda Buch und Elisabeth Langgässer. Mit beiden wurde ich auf dem ersten Schriftstellerkongress der Nachkriegszeit 1947 bekannt. Sie traten auf als Vertreterinnen der Inneren Emigration, während von uns, den übrig gebliebenen »Bund«-Mitgliedern, zunächst überhaupt nicht und dann, auf ausdrücklichen Protest von Berta Waterstradt, nur sehr flüchtig die Rede war.

Damals, so scheint mir heute, wurden schon die Weichen gestellt für den späteren Kalten Krieg. Wir, die in der DDR gelebt haben und dort bis zum bitteren Ende geblieben sind, werden totgeschwiegen. Uns hat es nicht gegeben, wie mir Ihr Buch, Frau Ziegler, leider auf's Neue beweist. Soll das nun immer so bleiben? Oder meinen Sie nicht auch, dass es zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung endlich an der Zeit wäre, ehrlich und unverkrampft auf unsere gemeinsame Vergangenheit zurückzublicken?

Mit besten Grüßen Elfriede Brüning

Edda Ziegler: Verboten - verfemt - vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Deutscher Taschenbuch Verlag. 368 S., br., 12,90 €.

* Dieser offene Brief wurde erstmals veröffentlicht in: Neues Deutschland, 21. Oktober 2010


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