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Maritimer Rüstungsdeal

Werftenverkauf: Emirate wollen deutsche U-Boot-Technologie für Unterseeflotte gegen den Iran. Wirtschaftsexperte: "Strukturelle Krise" im Schiffsbau verschärft sich

Von Mirko Knoche *

Der Verkauf der »Blohm + Voss«-Werften an den arabischen Schiffbaukonzern »Abu Dhabi MAR« verzögert sich mindestens bis ins erste Quartal 2011. Das berichtete das Düsseldorfer Handelsblatt in der vergangenen Woche. Demnach will der Konzern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten noch auf Kapitalspritzen des dortigen Staatsfonds Mubadala warten. Der Blohm + Voss-Eigner »ThyssenKrupp Marine Systems« (TKMS) begrüßt den Aufschub angeblich, weil mit der Mubadala-Beteiligung die Bonität von Abu Dhabi MAR steige. Grundsätzlich hatten sich Deutsche und Araber schon im Herbst 2009 geeinigt.

Im April 2010 unterzeichneten TKMS und Abu Dhabi MAR einen Vertrag, der die Übergabekonditionen regelte. ThyssenKrupp erhielt dafür die Zustimmung der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat. Um Entlassungen zu vermeiden, gebe es »keine Alternative zum Verkauf«, hieß es damals bei der IG Metall. Der Kauf der TKMS-Anteile durch das Unternehmen vom Persischen Golf wurde aber mehrfach verschoben, zuletzt am Dienstag. Bislang gehört Abu Dhabi MAR zu 30 Prozent seinem libanesischen Geschäftsführer Iskandar Safa und zu 70 Prozent der Al-Ain International Group, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässig ist. Sollte sich der Staatsfonds Mubadala aus den Emiraten an Abu Dhabi MAR beteiligen, gälte dies als hoher Vertrauensbeweis. Mubadala investiert langfristig, um nach dem Ende des Ölbooms auf sichere Anlagen zurückgreifen zu können. So hält der Fonds Anteile am US-amerikanischen Chiphersteller AMD.

Der Werftendeal sieht vor, die zivilen Komponenten von TKMS mehrheitlich nach Abu Dhabi zu verkaufen. Das umfaßt die griechischen Hellenic Shipyards, die Kieler Überwassersparte HDW Gaarden und fast alle Blohm + Voss-Töchter. ThyssenKrupp will sich künftig nur noch auf das militärische Geschäft konzentrieren, so auf den U-Bootsbau von HDW und den Fregatten- und Korvettenbau bei »Blohm + Voss in Hamburg. Die Rüstungswerft an der Elbe soll allerdings zu 50 Prozent an Abu Dhabi MAR veräußert werden. Das Gemeinschaftsunternehmen soll unter dem Namen »Blohm + Voss Naval« firmieren. So erhielte erstmals ein außereuropäischer Investor Zugriff auf einen Hersteller von Kriegsschiffen des »alten Kontinents«.

Die Scheichs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten haben auf anderem Weg keine Möglichkeit, militärisches Know-how einzukaufen. Weil TKMS selbst eine Unterauslastung bei der Produktion von Kriegsschiffen befürchtet, hat die Bundesregierung bereits grünes Licht für den Einstieg von Abu Dhabi MAR gegeben. Das Werftunternehmen vom Golf zeigt auch Interesse an der U-Boot-Sparte von HDW. Die Emirate wollen laut Handelsblatt eine Unterseeflotte gegen den Iran in Stellung bringen. »Daß sich ein arabischer Konzern in den Kernbereich deutscher Sicherheitstechnologie und sogar der U-Boot-Technologie einkaufen kann, war noch vor kurzem kaum vorstellbar«, sagte IG-Metall-Schiffbauexperte Heino Bade bereits im April auf jW-Nachfrage.

Die Werftarbeitergewerkschaft hatte damals vor der Umwandlung von TKMS in ein »nationales Rüstungsunternehmen« gewarnt. Durch die Abhängigkeit von Regierungsaufträgen käme es immer wieder zu Produktionsstopps und Kurzarbeit. Die IG Metall habe den Abu-Dhabi-MAR-Investitionen zugestimmt, um den zivilen Schiffbau zu stärken. »Wir brauchen beide Standbeine, die zivile und die militärische Produktion«, so IGM-Funktionär Bade im Frühjahr.

Im September hatte das Bremer Institut für Arbeit und Wirtschaft seine jährliche Schiffbauumfrage im Auftrag der Metallgewerkschaft präsentiert. Darin stellte der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel fest, daß der Containerschiffbau mit Hilfe südkoreanischer, japanischer und chinesischer Staatssubventionen »vollständig ausgewandert« sei und forderte im Gegenzug eine nationale Förderung des Spezialschiffbaus durch die Bundesregierung. Die Ausrichtung von ThyssenKrupp Marine Systems auf reine Rüstungsproduktion verschärfe dagegen die »strukturelle Krise« der deutschen Werften, so Hickel gegenüber junge Welt.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2010


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