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Frontkader, Strippenzieher

Geschichte. Geheimdienstgeneral Vernon A. Walters wurde im Frühjahr 1989 reaktiviert und zum US-Botschafter in Bonn bestellt. Sein Spezialgebiet: Staatsstreiche

Von Klaus Eichner *

Helmut Kohl wurde an seinem 80.Geburtstag wieder einmal als »Kanzler der Einheit« gefeiert – aber wer stand hinter ihm und zog die Fäden? Es gibt Schlüsselszenen, die uns Einblick in einige Hintergründe dieser Entwicklungen des Jahres 1989 bieten.

Im April 1989 wird in Bonn Vernon A. Walters als Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika akkreditiert. Er ist damals 72 Jahre alt und eigentlich nach einem abenteuerlichen Leben schon längst im »wohlverdienten Ruhestand«. Nun vertritt der Geheimdienstgeneral die Weltmacht USA in der Bundesrepublik Deutschland, in diese Funktion berufen vom US-Präsidenten George W. H. Bush, sen.

Generalleutnant Vernon A. Walters erläutert uns mit seinen eigenen Worten die Ausgangslage: »Kurz vor Neujahr (des Jahres 1989 – K. E.) rief der gewählte Präsident mich persönlich zu sich und drängte mich, die Botschaft in Deutschland zu übernehmen. (…) Dann fügte er die geradezu prophetischen Worte hinzu: ›Dort wird es ums Ganze gehen. Dick, willst du mir helfen oder wirst du mich im Stich lassen?‹ Das genügte für einen alten Soldaten. Ich antwortete, ich fühlte mich sehr geehrt, ihn in Deutschland vertreten zu dürfen.«[1]

Aber diese nüchternen Worte charakterisieren kaum die gespenstische Situation: Da sitzen zwei CIA-Veteranen im Oval Office des Weißen Hauses zusammen, der frühere CIA-Direktor George W. Bush sen. und sein früherer CIA-Stellvertreter, General Vernon A. Walters; einer jetzt Präsident der USA, der andere schon länger im Ruhestand. Bush schätzt ein, es gehe jetzt ums Ganze! Was ist dieses »Ganze?« Warum und wie soll »das Ganze« gerade in Bonn entschieden werden? Welche politischen Konstellationen, welche besonderen Gründe müssen Anfang 1989 vorliegen für die Reaktivierung eines Geheimdienstgenerals mit mehr als 40 Jahren Fronterfahrung im Kalten Krieg für einen Einsatz in Deutschland unter der Tarnung eines Botschafters der USA?

Die besondere Pikanterie dieser Personalentscheidung enthüllt Vernon Walters mit außergewöhnlich offenen Worten selbst. Er wird in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 10. Januar 1989 mit dem Satz zitiert: »Ich werde nicht geschickt, wenn ein Erfolg wahrscheinlich ist. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, die Letzte Ölung zu geben, kurz bevor der Patient stirbt.« Das ist wohl der Schlüsselsatz, der uns offenbart, welche Zielstellung hinter der Strategie der Bush-Administration in den Jahren 1988/90 und hinter der Aufgabenstellung stand, die Walters von Bush erhalten hatte.

Schlachtroß des Kalten Krieges

Vernon Walters, Jahrgang 1917, diente seit 1941 in den Streitkräften der USA, von Anfang an in Dienststellungen der militärischen Nachrichtendienste. Er war an allen politischen Brennpunkten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit subversiven Aktionen maßgeblich beteiligt, so u.a. im Koreakrieg (1950–1953), beim Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammad Mossadegh im Iran (1953), bei Geheimdienstaktionen zur Verhinderung von Wahlerfolgen der Kommunisten in Italien (1960–1962), beim blutigen Militärputsch in Brasilien (1964). Er war Operativchef der CIA und in dieser Funktion verantwortlich für die CIA-Operation »Centauro« zur umfassenden Unterstützung des Militärputsches in Chile (1973) und bei Aktivitäten zum Abwürgen der Nelkenrevolution in Portugal (1974). Seine Spuren sind zu finden bei opferreichen Aktionen gegen demokratische Entwicklungen in Angola, Guatemala, Nicaragua und bei den jahrelangen Menschenrechtsverletzungen durch die Militärregimes in Südamerika (Operation »Condor«), bei denen Hunderttausende Menschen ermordet, verschleppt oder gefoltert wurden.

Warum der Einsatz dieses Mannes gerade als Botschafter in Bonn? Bonn ist traditionell in Europa die östlichste und technisch-organisatorisch am besten vorbereitete Basis für Geheimdienst­operationen nach dem Osten, denn die BRD war schon immer der Ausgangspunkt, Versorgungsstützpunkt und auch Rückzugsbecken für CIA-Aktivitäten in Osteuropa. Es darf auch als gesichert angesehen werden, daß zu diesem Zeitpunkt die westlichen Geheimdienste in Osteu­ropa ein dichtes Netz von Agenten und Kontaktpartnern geknüpft hatten. So erklärt es sich, den Experten für Geheimdienstaktionen und für die »letzte Ölung« auf diesem Vorposten einzusetzen. Andererseits brauchte er einen seinem Rang und seinen Verdiensten entsprechenden einflußreichen Posten und konnte nicht als »Chief of Station« (COS) der CIA im Range etwa eines ersten Botschaftsrates der USA-Vertretung eingesetzt werden.

Nach Beendigung seiner Mission in Bonn, die in der Niederholung der Staatsflagge der Sowjet­union im Kreml gipfelte, und seiner Rückkehr auf seinen Ruhesitz in Florida ehrte ihn Bush senior im November 1991 mit der höchsten Auszeichnung der Vereinigten Staaten, der »Freiheitsmedaille des Präsidenten«. In der Laudatio formulierte das Weiße Haus: »Als Soldat und Staatsmann hat General Vernon Walters den Dienst für sein Vaterland als sein Lebenswerk betrachtet. Er diente in unterschiedlicher Weise sechs Präsidenten im Verlauf eines halben Jahrhunderts mit ständigen Veränderungen, vom Zweiten Weltkrieg durch den langandauernden Kalten Krieg bis zum Fall der Berliner Mauer. Er diente auf den Schlachtfeldern Europas und in den Führungsgremien der NATO, der UNO und der CIA, als Botschafter und als Helfer der Präsidenten. Dieser außerordentliche Abenteurer und Intellektuelle stellte seine diplomatischen, fremdsprachlichen und taktischen Fähigkeiten der Sache des Weltfriedens und der individuellen Freiheiten zur Verfügung. Amerika ehrt diesen standfesten Verteidiger unserer Interessen und Ideale, diesen wahrhaften Vorkämpfer der Freiheit.« Ob die Blutspur dieses »bewährten diplomatischen Schlachtrosses« (Egon Bahr) des Kalten Krieges der »Sache des Weltfriedens« gedient hatte, wie es heuchlerisch in der Laudatio formuliert worden war, ist wohl anzuzweifeln.

Die »Grand Strategy« ...

Der Einsatz von Geheimdienstgeneral Walters im April 1989 als Botschafter in Bonn war das personelle Kernstück der Verwirklichung der in der Bush-Administration 1988/89 entwickelten »Grand Strategy« zur Zerschlagung des Sozialismus in Europa. Sie war politisch-subversiv, erdacht von führenden Geheimdienstexperten und realisiert von erfahrenen Subversionsspezialisten vor Ort.

Der langjährige leitende Mitarbeiter von Radio Free Europe (RFE) und Abteilungsleiter für Europapolitik im Nationalen Sicherheitsrat der USA (NSC) von 1989 bis 1992, Robert L. Hutchings, definiert die »Grand Strategy« mit folgenden Worten: »Grand Strategy hingegen bedeutet in der Sprache der Diplomatie eine Art von höherer Strategie, die die Integration von Politik und Macht im Auge hat, um nationale Ziele unter Umgehung eines Krieges zu erreichen. Daher ist dieser Begriff ausgesprochen passend für die Beschreibung der amerikanischen Diplomatie am Ende des Kalten Krieges.«[2]

Die Bush-Administration setzte sich von der verbal-aggressiven Politik Ronald Reagans (Sozialismus als das Reich des Bösen) ab; in den Augen ihrer Experten sicherte Reagan mit den Gesprächen mit der Sowjetführung und den Rüstungskontrollverhandlungen zu sehr die Erhaltung des Status quo zum Vorteil der Sowjetunion, ohne an Grundpositionen zu rütteln. In den Analysen für den amtierenden Präsidenten formulierten die Sowjetexperten, daß die amerikanische Politik nicht auf Unterstützung des Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, orientiert sein dürfe, sondern daß diese Politik die Sowjets herausfordern müsse, um sie zu zwingen, ihrer Politik eine Richtung zu geben, die den Interessen der USA diente.

Der bereits erwähnte Robert L. Hutchings beschreibt die Interna der neuen strategischen Planungen auf der Grundlage der alten Konzeptionen des Kalten Krieges mit den Worten: »Allem voran kehrten wir zum Prinzip der atomaren Abschreckung zurück und erweiterten unsere Sowjetunion-Politik von Reagans engem Fokus auf Rüstungskontrolle zu einer sehr viel ambitionierteren Agenda.«[3] Im Mai 1989 orientierte Bush in einer Rede vor Studenten der Universität Texas, daß es Zeit sei, über die Eindämmungspolitik hinauszugehen und die Integration der Sowjetunion in die »Staatengemeinschaft« zu realisieren.

Die wesentlichen Elemente der alten/neuen Strategie der USA waren folgende:
  1. Es sollte eine neue Psychologie der Ost-West-Beziehungen durchgesetzt werden. Sie sollten sowohl aggressiver als auch erfolgsorientierter gestaltet werden und keine Aktivitäten zur Erhaltung des Status quo beinhalten, sondern ein ständiges Entgegenkommen der Sowjetführung nach den Interessen und dem Diktat der USA erzwingen.
  2. Die Partner der westlichen Allianz mußten diszipliniert und auf eine einheitliche Linie der transatlantischen Partnerschaft eingeschworen werden. Der Stabschef des Weißen Hauses, John Sununu, formulierte diese Aufgabe sehr drastisch: Washington mußte Westeuropa »in Reih und Glied peitschen«. Mit der Erklärung des NATO-Gipfels in London vom Dezember 1989 hatte die westliche Allianz die Strategie der USA-Administration vollinhaltlich übernommen.
  3. Unter Führung der USA galt es, die Anstrengungen auf die politische Liberalisierung Ostmitteleuropas (von ihnen definiert als der »weiche Unterleib« des Sowjetimperiums) in den Mittelpunkt zu stellen mit dem Ziel, die Unabhängigkeit dieser Staaten von der Führung durch die Sowjetunion zu erreichen.
  4. Die sowjetische Führung mußte – nach den Vorstellungen der Strategen des Nationalen Sicherheitsrates – weit über das von ihr vorgegebene »neue Denken« hinaus mit Forderungen konfrontiert werden, die an den »Ursachen« statt an den Folgen des Ost-West-Konfliktes ansetzten. Ein Angriffspunkt war dabei Gorbatschows Forderung von einem »gemeinsamen europäischen Haus«. Diese Vision war auf die Stabilisierung des Status quo ausgerichtet und verbot damit auch eine Politik der Einmischung von außen. Die USA wischten mit der zentralen Forderung nach Beendigung des Kalten Krieges durch eine »Befreiung« der osteuropäischen Staaten Gorbatschows illusionäre Europapolitik von der Tagesordnung. Hutchings dazu: »Das Endziel schließlich war die Beendigung des Kalten Krieges und die Überwindung der Teilung Europas durch eine friedliche, demokratische Umgestaltung seiner östlichen Hälfte.«[4]
Die grundlegenden Intentionen dieser Strategie fanden ihren Niederschlag in der Direktive des Nationalen Sicherheitsrates Nr. 23 mit der zentralen Forderung, über die Politik der »Eindämmung« hinauszugehen und zu einer neuen Politik gegenüber der Sowjetunion vorzustoßen. Da Gorbatschow die seit 1968 praktizierte »Breshnew-Doktrin« [5] aufgab und damit dem Westen im Einflußgebiet der Sowjetunion mehr Spielraum einräumte, war ein Anknüpfen möglich geworden. In der NSC-Direktive Nr. 23 heißt es: »Die Vereinigten Staaten werden die Sowjetunion Schritt für Schritt, Frage für Frage und Institution für Institution herausfordern, sich in Übereinstimmung mit jenen höheren Normen zu verhalten, die die sowjetische Führung selbst verkündet hat.«

... und die »deutsche Frage«

Ein spezielles, dem Endziel (Todesstoß für den real existierenden Sozialismus in Europa) vorgeordnetes Ziel war, die Staaten Ostmitteleuropas immer nachhaltiger dem Einfluß der sowjetischen Politik zu entziehen. Dazu fand man ausreichende Ansätze in Polen, Ungarn und nicht zuletzt auch in der DDR. Condoleezza Rice schreibt im Rückblick über die Lage in der DDR dazu: »Nach Einschätzung der CIA war jetzt binnen weniger Monate mit einer völligen Umgestaltung Ostdeutschlands zu rechnen, die zu einer nichtkommunistischen Regierung und zu einem dramatischen Anwachsen des Verlangens nach Wiedervereinigung führen werde.«[6] Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands sollte im Kalkül der US-Strategen ursprünglich das Endprodukt der »Aufhebung der Teilung Europas« sein.

Aber unter der Dynamik der sich überstürzenden historischen Prozesse und im Ergebnis des bekannten Gestammels des »kampferprobten« Mitglied des Politbüros der SED Günter Schabowski am Abend des 9. November 1989 über die geplanten Veränderungen im Reiserecht der DDR ab dem 10. November wurde die »Wiedervereinigung« Deutschlands urplötzlich zur Schwungmasse der Beseitigung des »Realsozialismus« im Osten Europas und Kohl mit dem Heiligenschein des »Kanzlers der Einheit« zum eifrigsten Durchpeitscher der US-Strategie in Deutschland.

Die »Opposition« in der DDR

Wie der Stellenwert der Opposition in der DDR in den USA bewertet wurde, können uns Philip Zelikow und Condoleezza Rice, zwei unbestechliche Zeugen des Nationalen Sicherheitsrates, ebenfalls vermitteln: »Westliche Beobachter hatten seit langem vermutet oder gespürt, daß viele Ostdeutsche das Regime verachteten oder haßten. Aber diese Verbitterung schien in passive, zynische Resignation umgeschlagen zu sein. Offen kritisch trat nur eine winzige Minderheit auf: Vertreter einer Gegenkultur aus Friedens-, Frauen- und Ökologiegruppen, ein paar Figuren des literarischen Establishments und eine Handvoll kritischer marxistischer Intellektueller. Einen gewissen Schutz für ihre Aktivitäten fanden sie in der evangelischen Kirche, die sich eine stets gefährdete Unabhängigkeit von direkter staatlicher Kontrolle bewahrt hatte. Die Dissidenten blieben jedoch eine Randerscheinung der ostdeutschen Gesellschaft. (...) Wenn es eine Bedrohung des Regimes in Ost-Berlin gab, dann kam sie von reformerischen Kräften innerhalb der SED.«[7]

Der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, Prof. Dr. Martin Sabrow, bewertete in der Rückschau das politische Kräfteverhältnis in dieser Zeit mit den Worten: »Pointiert formuliert, vollzog sich der Umbruch des Herbstes 1989 als eine Revolution ohne Revolutionäre. Der Untergang des SED-Staates folgte nicht so sehr aus der Niederlage gegen einen erstarkten Gegner, sondern besiegelte mehr noch eine innere Auflösung aus eigener Machtlähmung. Die einzelnen Gegenbewegungen der Bürgerrechtler und der Massendemonstrationen, des Ausreisestroms und der parteiinternen Reformkräfte agierten bis in den Herbst 1989 weitgehend unabhängig voneinander und hätten weder allgemein noch gemeinsam das Repres­sionsregime ernsthaft vor die Machtfrage stellen können.« Sabrow verweist unter Berufung auf MfS-Einschätzungen auf wenig mehr als 10000 Oppositionelle in 150 Basisgruppen, mit 600 Führungsfunktionären, 2400 Aktivisten und »60 unbelehrbaren Feinden des Sozialismus«, die rein quantitativ keine bedrohliche Herausforderung der SED-Herrschaft darstellen konnten.[8]

Reaktionen von UdSSR und DDR

Wie reagierten Diplomatie und Geheimdienste der Sowjetunion und der DDR auf diese Entwicklungen in der Strategie des US-Imperialismus? Nahmen sie sie überhaupt zur Kenntnis? Haben nirgendwo in diesen Führungskreisen die Alarmglocken geschrillt, als die Akkreditierung des erfahrensten Geheimdienstgenerals der USA als Botschafter in Bonn bekannt wurde und er auch noch über die Medien sein Credo von der »letzten Ölung« verkündete?

Nirgendwo in den Memoiren sowjetischer oder DDR-Diplomaten bzw. in den Aufzeichnungen führender Geheimdienstkader finden wir eine relevante Aussage, welche Bewertung diese Personalentscheidung von Präsident Bush in den Führungen der KPdSU oder der SED gefunden hat, welche Warnungen die Geheimdienste und »Westexperten« formuliert hatten. Dabei gab es doch in der eigenen Geschichte Parallelen, wie bedeutsame politische Entscheidungen auch und nicht zuletzt durch Personalveränderungen abgesichert wurden.

Das betraf z.B. die Tatsache, daß der gewiß nicht unfähige Marschall Iwan I. Jakubowski am 8. August 1961 als Kommandierender der »Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland« in der DDR durch den alten Haudegen Marschall Iwan St. Konjew – zu dieser Zeit schon 64 Jahre alt – ersetzt wurde. Konjew galt als einer der bedeutenden Heerführer des Zweiten Weltkrieges, und es dürfte auch den westlichen Medien bekannt gewesen sein, daß Konjew 1956 in Ungarn die dort eingesetzten sowjetischen Truppen befehligte. Die Einsetzung Konjews an diesem Brennpunkt verfolgte zweifellos die Absicht, einen sofort entschlußfähigen, höchst kampferprobten Befehlshaber vor Ort zu haben, der in der Lage war, auf alle zu erwartenden Provokationen und Dummheiten der Westseite sofort entschlossen und adäquat zu reagieren. Die folgenden Wochen und Monate bewiesen dies zur Genüge, und als sich die Lage im darauffolgenden Jahr beruhigt hatte, erfolgte am 18. April 1962 die Wiedereinsetzung Jakubowskis.

Aber eine Personalrochade an der Frontlinie des Kalten Krieges im Jahre 1989 wurde nicht beachtet. Waren das möglicherweise schon Auswirkungen der Zerfallsprozesse in den Führungsspitzen der Sowjetunion und der DDR? In früheren Jahren reagierte man in diesen Kreisen wesentlich sensibler auf Signale im Zusammenhang mit dem Auftauchen entsprechender Persönlichkeiten. So war das Erscheinen der Schwester der Gebrüder Dulles – Allen W. als CIA-Direktor und John F. als Außenminister –, der Deutschland-Expertin im US-Außenministerium Eleanor Dulles zu irgendwelchen Anlässen in Deutschland für die Analytiker im Ministerium für Staatssicherheit der DDR immer ein spezielles Signal, daß entscheidende Entwicklungen in der Deutschlandpolitik der Westmächte bevorstanden.

Mit dieser »Grand Strategy« hatten die Falken in der Bush-Administration die Politik des »Roll back« wohl zum ersten Mal in des Wortes ernstester Bedeutung aufgefaßt und praktiziert, die dazugehörigen strategischen Schachzüge entwickelt und die richtigen Leute an den richtigen Stellen plaziert. Sie nutzten gnadenlos die Ero­sionsprozesse in den sozialistischen Ländern und konnten sich als »Türöffner« (besser wohl als Einfallstor) für ihre Strategie auf das Agieren einer verräterischen Führungsclique in der KPdSU (vor allem auf das »Triumvirat« Gorbatschow–Schewardnadse–Jakowlew) stützen.

Anmerkungen
  1. Vernon A. Walters: »Die Vereinigung war voraussehbar« Hinter den Kulissen eines entscheidenden Jahres, München 1994 (weiter zitiert als Walters, Vereinigung), S. 19
  2. Robert L. Hutchings, Als der Kalte Krieg zu Ende war, Berlin 1999, S. 20
  3. Ebd., S. 47
  4. Ebd., S. 72
  5. Breshnew entwickelte die Maxime, daß jede Nation der Warschauer Vertragsstaaten den Sozialismus auf seine Weise realisieren könne, aber daß es auch allgemeine Interessen der sozialistischen Gemeinschaft gebe, die den nationalen überzuordnen seien.
  6. Philip Zelikow/Condoleezza Rice: Sternstunde der Diplomatie, Propyläen Verlag, 1997, S. 207
  7. Ebd., S. 69 f.
  8. Martin Sabrow: im Neuen Deutschland vom 21./22. November 2009
* Klaus Eichner war als langjähriger leitender Analytiker in der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zuständig für das Gebiet der US-amerikanischen Geheimdienste. Von ihm erschien zusammen mit Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters – Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges, Berlin 2005

Aus: junge Welt, 29. Juni 2010



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