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Auf Zeit im Klub der Mächtigen

Deutschland ist für zwei Jahre nichtständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat

Von Wolfgang Kötter *

Deutschland hat am Mittwoch (5. Jan.) zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder an einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates teilgenommen. Seit Beginn des Jahres ist das Land eines der zehn nichtständigen Mitglieder des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen. Bei der ersten Sitzung 2011, die erst am Abend deutscher Zeit begann, ging es u.a. um die Lage in Nepal.

Zum sechsten Mal seit dem Beitritt der beiden deutschen Staaten im Jahre 1973 gibt es eine deutsche Präsenz im wichtigsten UN-Hauptorgan, und im kommenden Juli wird Deutschland sogar die monatlich rotierende Präsidentschaft übernehmen. Während Beschlüsse anderer UN-Gremien lediglich Empfehlungscharakter tragen, sind die Entscheidungen des Sicherheitsrates völkerrechtlich bindend. Verstöße können mit Zwangsmaßnahmen bis zur Anwendung militärischer Gewalt geahndet werden.

Aber der Rat aus fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern ist seit langem überholungsbedürftig. Die Zusammensetzung am hufeisenförmigen Tisch im UN-Hauptsitz am New Yorker East River widerspiegelt immer noch die Machtverteilung, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1945 herrschte. Obwohl der Weltorganisation inzwischen 192 angehören, sind die Entwicklungsländer und vor allem die aufstrebenden Schwellenstaaten und Regionalmächte im entscheidenden Organ viel zu gering vertreten.

Zum Millenniumsgipfel 2000 und dem fünf Jahre später folgenden 50. Jahrestag der UNO strebten die UN-Mitglieder – vom damalige Generalsekretär Kofi Annan immer wieder zum Handeln aufgefordert – eine umfassende Reform an, darunter auch eine Neuorganisation des Sicherheitsrats. Die Bundesregierung sah darin eine Chance, für den drittgrößten Beitragszahler den bereits seit langem angesteuerten Platz als ständiges Ratsmitglied zu erringen und tat sich dafür mit Gleichgesinnten zusammen.

Gemeinsam mit Brasilien, Indien und Japan schlägt die »Gruppe der 4« eine Vergrößerung des Sicherheitsrats um zehn auf insgesamt 25 Sitze vor. Außer ihrer eigenen ständigen Mitgliedschaft streben sie die zweier afrikanischer Staaten sowie vier rotierende Plätze an. Als Zugeständnis bieten die G 4-Staaten an, auf das Vetorecht für 15 Jahre zu verzichten.

Einen konkurrierenden Vorschlag verfolgt die Gruppe »Vereint für Konsens«. Angeführt von Italien besteht sie vor allem aus regionalen Rivalen der G 4 wie Algerien, Argentinien, Indonesien, Mexiko, Pakistan und Südkorea. Sie wollen die fünf ständigen Sitze unverändert lassen, ergänzt durch 20 erneuerbare Mandate für jeweils vier Jahre. In einem weiteren Modell fordert die Afrikanische Union fünf neue nichtständige Sitze, einschließlich zwei für Afrika. Von den sechs hinzukommenden ständigen Plätzen beansprucht Afrika ebenfalls zwei, dazu ein uneingeschränktes Vetorecht. Doch keine Gruppe erreichte zunächst die nötige Zweidrittelmehrheit, Kompromissverhandlungen verliefen ergebnislos und als das gesamte Reformprojekt von der Bush-Regierung versenkt wurde, blieb auch das Projekt Sicherheitsrat auf der Strecke.

Das ist umso bedauerlicher, weil viele Probleme bewältigt werden müssen. Um ohne Zeitverlust voll in die Lösung der Aufgaben einsteigen zu können, nehmen die fünf Neuen bereits seit vergangenen November als Beobachter an den Ratssitzungen teil. Die zahlreichen regionalen Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen dulden keine Tatenlosigkeit. Die Dauerkonflikte im Nahen Osten, in Libanon und in Irak verlangen dringend friedenschaffendes Handeln, und auch auf dem Balkan schwelen weiterhin Spannungen. Blutige Gewalt herrscht nicht zuletzt in Afghanistan, Haiti und Nepal. Der Sicherheitsrat muss möglichst zeitnah über den Einsatz von Blauhelm- Friedensoperationen entscheiden, die Arbeit der Kommission für Friedenskonsolidierung beaufsichtigen und gegebenenfalls prophylaktisch für die Konfliktprävention wirken. Schließlich stehen auch die umstrittenen Atomprogramme Irans und Nordkoreas auf der Tagesordnung.

Natürlich bleiben auch die Reformpläne weiterhin aktuell. Für viele Staaten ist das Vetorecht, mit dem die ständigen Ratsmitglieder Beschlüsse blockieren können, ein anachronistisches Relikt vergangener Zeiten. Sie fordern zudem mehr Transparenz und Öffentlichkeit in der Arbeit des Sicherheitsrats. Zu erwarten ist, dass durch die starke Repräsentanz einflussreicher Entwicklungsländer wie Brasilien, Indien, Südafrika und Nigeria das Gewicht des Südens spürbar wachsen wird.

Deutschland kommt wie auch Frankreich, Großbritannien und Portugal die Verantwortung zu, die – soweit vorhanden – gemeinsame Außenpolitik der EU zu vertreten. Zudem könnte sich Berlin nach dem einjährigen Vorsitz der Peacebuilding-Kommission im Antiterrorausschuss weiter profilieren. Deutschlands Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, Peter Wittig, wird voraussichtlich den Ausschuss leiten, der die Einhaltung der Sanktionen gegen hochrangige Al-Qaida-Mitglieder und Taliban überwacht.

Weitere Schwerpunkte der Mitgliedschaft sollen Krisenprävention und zivile Konfliktlösung bilden. Kritiker monieren allerdings, dass die Finanzmittel ausgerechnet für die Krisenprävention, die Förderung der Menschenrechte, für Abrüstung und humanitäre Hilfe zum Teil drastisch gekürzt wurden. Das Auswärtige Amt gibt sich kooperativ und verspricht, »selbstverständlicher Ansprechpartner für alle UN-Mitglieder und insbesondere die EU-Mitgliedsstaaten« zu sein. Die kommenden zwei Jahre werden zeigen, was von diesem Anspruch bleibt.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2011


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