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Anwalt des Weltfriedens

Geschichte. Vor 65 Jahren begann der Jahrhundertprozeß von Nürnberg. Robert H. Jackson war US-amerikanischer Hauptanklagevertreter in dem Verfahren. Eine Würdigung

Von Kurt Pätzold *

In der Geschichte geht es bekanntermaßen meist ungerecht zu. Ein Fall von vielen: Ist von dem Prozeß die Rede, der 1945/1946 in Nürnberg stattfand, fallen die Namen der Angeklagten von Göring bis Speer. Wer kennt indessen die der Richter und Ankläger? Wer deren Verdienst? Am 65. Jahrestag des Beginns der Gerichtsverhandlung erinnert Kurt Pätzold an einen von ihnen, an den US-Amerikaner Robert H. Jackson.

Am 25. Oktober 1935 vermerkte der Botschafter der USA in Deutschland, William E. Dodd, in seinem Tagebuch über einen der vielen Gäste, die täglich bei ihm ein und ausgingen: »Unter den Besuchern, die heute Vormittag zu mir kamen, war auch Robert H. Jackson, ein sehr fähiger junger Anwalt aus dem Finanzministerium in Washington. Er sprach offen darüber, daß Präsident Roosevelt große Schwierigkeiten habe, Industrielle und Bankiers zur richtigen Erkenntnis zu bringen, um eine neue Krise und einen noch schlimmeren sozialen Konflikt zu vermeiden.« Und weiter heißt es über die Ansichten seines Gastes: »Der Präsident weiß, welchen Schwierigkeiten er gegenübersteht«, doch werde er die 1936 bevorstehenden Wahlen wohl gewinnen.

Zehn Jahre später trat der »junge Anwalt« – bei seinem Besuch in Berlin war er 43 Jahre alt – in das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Er nahm als der US-amerikanische Chefankläger das Wort in jenem Nürnberger Gerichtssaal, in dem der Prozeß gegen die deutschen sogenannten Hauptkriegsverbrecher stattfand. Dodd, der als Professor jahrzehntelang Geschichte an der Universität von Chicago lehrte, bevor ihn Roosevelt für den diplomatischen Dienst in Berlin gewann, hatte mit seiner Bemerkung, daß er mit einem »fähigen jungen Anwalt« gesprochen hatte, ziemlich gute Menschenkenntnis bewiesen.

Ein nicht alltäglicher Aufstieg

Den Höhepunkt von Jacksons glanzvoller Karriere sollte er allerdings nicht mehr erleben. Dodd war 1940 verstorben. Da hatte der Jurist einen rasanten beruflichen Aufstieg hinter sich, wiewohl er vom Typ so ziemlich das Gegenteil dessen war, was man einen Karrieristen nennt. Geboren wurde er in Warren County, einer dünn besiedelten, malerischen Landschaft in Pennsylvania, als Sohn eines Farmers und Holzfällers und einer Mutter mit Wurzeln, die wie die vieler seiner Landsleute nach Europa wiesen, die ihren in die Niederlande. Aufgewachsen und zur Schule gegangen war der Junge dann in einer Kleinstadt namens Frewsburg im Staate New York, über die sich nicht viel sagen läßt, ausgenommen, daß Jackson auch im Alter dahin eine besondere Bindung aufrechterhielt. Er, dem nach seinen Verdiensten ein Platz auf einem der Nationalfriedhöfe der Vereinigten Staaten zugestanden haben würde, ließ sich dort begraben. Jackson hatte seine Arbeit gemacht, aber davon nicht viel Aufhebens, und wünschte offenbar, daß das auch nach seinem Tod nicht getan werde. Der unauffällige Stein an seinem Grab enthält wenige Angaben und die Worte »He kept the ancient landmarks and built the new.« (Er bewahrte die alten Festlegungen und schuf neue.«)

Die ersten Jahrzehnte von Jacksons Leben verliefen gleichsam ohne auffällige Besonderheiten. Er entschloß sich, Jurist zu werden, und das schaffte er bei seiner Begabung und seinem Charakter unschwer und auf einem ganz außergewöhnlichen, kurzen Weg. Nie studierte er, wie sein späterer Weg vermuten ließe, an einer der berühmten Universitäten des Landes. Die luden ihn erst später, Harvard noch kurz vor seinem Tod, als Vortragenden ein. Statt dessen absolvierte er eine kurze Ausbildung an der Albany Law School in New York’s Capital und bestand die erforderlichen Examen. Deren berühmtester Absolvent war der 25. US-amerikanische Präsident William McKinley, während dessen Amtszeit der Krieg gegen Spanien geführt worden war mit dem Ergebnis, daß die USA die Nachfolge der europäischen Kolonialmacht auf den Philippinen und auch in Kuba antraten. Der Absolvent Jackson sollte sich hingegen in ganz anderer Weise in die Annalen der Anstalt und in die der Geschichte seines Landes eintragen.

Jackson war 21 Jahre alt, als er eine Kanzlei in Jamestown gründete, einer Kleinstadt im Bundesstaat New York. Dann heiratete er, wurde Vater von zwei Kindern, kümmerte sich als ein politisch interessierter Mensch um die Belange vor allem der Stadt, in der er und seine Familie lebten. Die Wende vollzog sich 1934. Er folgte einem Ruf nach Washington und stieg binnen kurzem im Finanz- und dann im Justizministerium in höchste Staatsämter auf, wurde Mitglied in Roosevelts Kabinett und 1940 vom Präsidenten mit der Zustimmung des Senats zum Richter am Obersten Gerichtshof der USA berufen. Das Amt trat er 1941 an.

1945 trug ihm Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman an, im Auftrag der USA gemeinsam mit deren Verbündeten einen Prozeß gegen die exponiertesten deutschen Kriegsverbrecher vorzubereiten. Der Auftrag mochte ihn auch deshalb erreicht haben, da er sich kurz zuvor in einem öffentlichen Vortrag zum Umgang mit den Kriegsverbrechern geäußert und gegen den Vorschlag eines »kurzen Prozesses«, etwa die bloße Feststellung der Identität der Personen und sodann deren Erschießung, ausgesprochen hatte. Jackson gab nach kurzem Überlegen seine Zusage. Er wurde, wie hoch man Anteil und Verdienste der anderen beteiligten Juristen der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion und Frankreichs immer veranschlagt, der Architekt des Prozesses, für den Nürnberg als Gerichtsort ausgewählt wurde.

Nie zuvor

Jackson traf sich – seit der Kapitulation der Wehrmacht und dem Kriegsende in Europa waren drei Monate vergangen – zunächst in London mit Vertretern aller beteiligten Mächte, um die strafrechtliche Basis des Gerichtsverfahrens zu fixieren. Das war am 8. August 1945 getan. Ein Abkommen wurde unterzeichnet, und das Statut des Gerichtshofes vereinbart. Es legte das Vorgehen der Mächte in 30 Artikeln fest, bis hin zur Aufbringung der Prozeßkosten. Bestimmt wurde, daß die Anklage sich auf drei Verbrechensgruppen richten werde: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden. Wahrend im Verlauf von Kriegshandlungen begangene Verbrechen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in internationalen Verträgen fixiert und als strafbar gekennzeichnet waren, galt das für die beiden anderen Komplexe nicht gleichermaßen. 1928 hatte eine Gruppe von Staaten zwar einen Kriegsächtungspakt geschlossen, doch war die Verurteilung von Aggressionskriegen nicht mit Strafandrohungen gegen jene versehen, die sie anzetteln würden. Zu den drei Komplexen der Anklage kam als vierter jener der »Verschwörung« hinzu, der darauf zielte, die Vorgeschichte jener Verbrechen aufzuklären und die zur Verantwortung zu ziehen, die die deutsche Entwicklung mit der Aufrichtung der Nazidiktatur auf den Kriegspfad gelenkt und vorangetrieben hatten. Das Statut schob vorsorglich auch der zu erwartenden Absicht einen Riegel vor, die Untaten als Ergebnis von Befehlen auszugeben und sie daher für straffrei zu erklären. Die Vereinbarung legte mit den Rechten von Richtern und Anklägern zugleich die der Angeklagten und ihrer Verteidiger fest. In London hatte Jackson mit seinen Partnern, die meist wie er dann in Nürnberg in Aktion traten, einen ersten Erfolg errungen.

Die Hauptverhandlung begann am 20. November 1945 im Justizpalast der Stadt, die sowohl durch die Reichsparteitage der NSDAP wie durch die 1935 hier verkündeten »Nürnberger Gesetze« übel beleumdet, aber nicht deshalb als Ort des Verfahrens gewählt worden war. Hier hatte sich ein von Kriegszerstörungen kaum betroffenes und deshalb geeignetes Gebäude gefunden. Nachdem die 21 Angeklagten auf Befragen durch das Gericht sämtlich geantwortet hatten, daß sie sich »Nicht schuldig« fühlten, wurde Jackson am zweiten Verhandlungstag um seinen Anklagevortrag gebeten. Eingangs bezeichnete er es als Privileg, dieses Verfahren eröffnen zu dürfen, das wegen eines Verbrechens gegen den Frieden stattfände. Nie zuvor habe sich dergleichen ereignet. Daraus erwachse eine besondere Verantwortung. Darauf folgte ein gemeißelter Satz, in dem er die Unerläßlichkeit des Verfahrens begründete: »Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, daß die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben.« Diese Worte charakterisierten Jacksons Herangehensweise und Absicht. So sehr das Gericht sich mit dem Unabänderlichen zu befassen und darüber zu urteilen hatte, beständig war sein Blick, und dem fehlte es nicht an Phantasie, zugleich in die Menschheitszukunft gerichtet. Er war davon überzeugt, daß die Justiz mit ihren Mitteln beitragen könne, daß sich die Überlebenden auf den Schwur »Nie wieder« verständigten und ihn auch befolgten.

Der Prozeß und die Besiegten

Jackson war sich bewußt, daß der über das Urteil hinausgehende Erfolg des Prozesses auch davon abhing, ob die Deutschen aufgrund ihrer Erfahrungen und des Wissens, das ihnen durch das Gerichtsverfahren vermittelt wurde, sich auf einen neuen geschichtlichen Weg machten. Das setzte voraus, daß sie überhaupt und ohne Vorurteile verfolgten, was in Nürnberg geschah. Dem trug Jackson mit einer Passage seiner Eröffnungsrede Rechnung, die darauf zielte, gedankliche und emotionale Barrieren niederzureißen. Er sagte, und auch das wurde einer der vielzitierten Sätze seiner Rede: »Wir möchten ebenfalls klarstellen, daß wir nicht beabsichtigen, das ganze deutsche Volk zu beschuldigen. Wir wissen, daß die Nazipartei bei der Wahl nicht mit Stimmenmehrheit an die Macht gelangt ist. Wir wissen, daß ein unseliges Bündnis sie an die Macht gebracht hat, ein Bündnis, zu dem sich die Besessenen des wütenden Umsturzwillens unter den Nazirevolutionären mit der Hemmungslosigkeit unter den deutschen Reaktionären und der Angriffslust unter den deutschen Militaristen zusammengetan hatten.« Diese Passage schloß: »Der Alpdruck der Nazizeit hat dem deutschen Namen in der ganzen Welt einen neuen und düsteren Sinn gegeben, der Deutschland um ein Jahrhundert zurückwerfen wird. Wahrlich, die Deutschen – nicht weniger als die Welt draußen – haben mit den Angeklagten eine Rechnung zu begleichen.«

Daß war eine nachsichtige und unvollständige Darstellung der Rolle, welche die Millionengefolgschaft der Naziführer gespielt hatte. Dabei konnte es die Geschichtswissenschaft in späteren Jahren nicht belassen. Die Passage läßt jedoch einen sicheren Schluß darauf zu, was Jackson sich später dachte, als er sah, daß in der Bundesrepublik exponierte Nazis, die an dem verbrecherischen Geschehen beteiligt gewesen waren, in Staatsdienste einrückten und in der Gesellschaft einflußreiche Plätze wieder besetzten. In seiner letzten großen Rede im Gerichtssaal, gehalten am 26. Juli 1946, seinem Schlußplädoyer, kam er auf die Bedeutung und Wirkung des Verfahrens für die Zukunft zurück. Er hoffte auf die warnende und abschreckende Wirkung des Prozesses: »Dieses Gesetz hier wird zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt. Es schließt aber ein und muß, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die hier zu Gericht sitzen.« In ihnen drückte sich das Vermächtnis eines Anwalts des Weltfriedens aus. Es läßt fragen, an welchen Jackson die Leute denken, die heute als Nachfolger in Washington an seinem Platze stehen, und an welchen sie lieber nicht denken.

Als die Verhandlung in Nürnberg gegen die angeklagten Personen abgeschlossen war und der Gerichtshof prüfte und entschied, welche Organisationen im Nazistaat für verbrecherisch zu erklären waren, sah Jackson seine Arbeit getan. Den Rest überließ er seinem Stellvertreter und dem Stab seiner Mitarbeiter. Das konnte er mit gutem Gewissen tun, denn die generelle Anklage gegen die faschistischen und militaristischen Gruppen und Organisationen (NSDAP, SA, SS und weitere) hatte er dem Gericht selbst schon am 28. Februar vorgetragen. Diese Organisationen dürften nicht entlastet werden, weil die Deutschen sonst den Schluß ziehen könnten, »daß sie nichts Unrechtes getan haben«, und dann würde es ein Leichtes sein, das deutsche Volk in Organisationen unter neuem Namen, aber mit den alten Programmen zusammenzufassen. Mit der Be- und Verurteilung dieser Organisationen verband sich die Frage, wie die Mitgliedschaft in ihnen bewertet werden solle und ihr Wiederaufleben in jeder Form zu unterbinden sei.

Wieder in Washington

Jackson begab sich zurück nach Washington und nahm seine Tätigkeit als Bundesrichter wieder auf. Nicht für lange, er verstarb nach einer Herzattacke 1954, zweiundsechzigjährig. Über seine Arbeit in Deutschland hatte er rückblickend gesagt: »The hard months at Nuremberg were well spent in the most important, enduring, and constructive work of my life.« (Die harten Monate in Nürnberg waren gut aufgewendet für die wichtigste, beständigste und konstruktivste Arbeit meines Lebens.) Zur Hinterlassenschaft seines Wirkens als Chefankläger gehörte Post, die Menschen an ihn gerichtet hatten, die das Prozeßgeschehen verfolgten und ihm ihre Eindrücke und Meinungen mitzuteilen wünschten. Ein Satz aus einem dieser Schreiben lautete »Ich habe nur noch den Wunsch, Scharfrichter oder Henker zu werden.« Er wurde zum Titel der Sammlung gewählt, die in deutscher Sprache 2006 als Buch erschien. Aus New York hatte Jackson zum Beispiel eine Karte erhalten, deren Absender schrieb, er bete »noch immer jeden Abend zu Gott, daß er über Sie wacht«.

Jacksons eigener publizistischer Anteil an der Verbreitung der Prinzipien von Nürnberg liegt in zwei Veröffentlichungen vor. Noch 1946 erschien »The Case Against the Nazi War Criminals«, in dem u.a. das Londoner Abkommen, die Anklageschrift und das den Prozeß eröffnende Statement publiziert wurden. Das im Jahr darauf veröffentlichte »The Nürnberg Case«, enthielt darüber hinaus seinen ersten Tätigkeitsbericht an den Präsidenten der USA, verfaßt im Juni 1945, seine Begründung für die verbrecherische Rolle der angeklagten Naziorganisationen und sein abschließendes Plädoyer, die sogenannte closing address, sowie Auszüge aus seinen Kreuzverhören der Angeklagten Göring, Schacht und Speer und des als Zeugen geladenen Generalfeldmarschalls der Luftwaffe Erhard Milch, der für die Luftkriegsrüstung zuständig gewesen war. Bald darauf eröffnete die Druckfassung des vollständigen Prozeßprotokolls, ein Unternehmen, das mit den zugelassenen Dokumenten auf 42 Bände anschwoll und auch eine deutschsprachige Ausgabe besitzt, die Möglichkeit, jedenfalls den öffentlichen Teil der Nürnberger Arbeit Jacksons lückenlos zu verfolgen.

Daß Präsident Franklin D. Roosevelt und Jackson ein von gemeinsamen Überzeugungen getragenes achtungsvolles Verhältnis verband, war von seiten des Präsidenten durch die Ernennungen und die Aufträge bezeugt, für die er den Juristen ausgewählt hatte. Dessen Beziehung zu F.D.R. wiederum verdeutlichte eine Entdeckung, die erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode gemacht wurde. Gefunden worden war Jacksons Manuskript, das 2003 zum Buch unter dem Titel That Man: An Insider’s Portrait of Franklin D. Roosevelt gedieh. Da war in den USA längst eine Reihe von Biographien Jacksons erschienen. Die erste, Eugene C. Gerharts »America’s Advocate: Robert H. Jackson« kam vier Jahre nach seinem Tode heraus, Darauf folgte vom gleichen Autor 1961 sein »Supreme Court Justice Jackson: Lawyer’s Judge«. Beide wurden 2003 gemeinsam in einem Neudruck als »Robert H. Jackson: Country Lawyer, Supreme Court Justice, America’s Advocate« publiziert. 1969 edierte die Columbia University vier Lektionen, die hervorragende Juristen zu Ehren Jacksons gehalten hatten. Einer von ihnen war sein Nürnberger Kollege, der britische Chefankläger Lord Hartley Shawcross. Ob sich Jackson mit der Charakteristik als Dispassionate Justice hätte anfreunden können, die sich in einer Darstellung seiner juristischen Auffassungen findet, bleibt fraglich. 2008 kam eine weitere Biographie auf den Buchmarkt, geschrieben für junge Leute, die als preiswürdig angesehen wurde.

Geschichte auf Leinwänden

Im Jahre 2000 fand auch Jacksons Verdienst eine Erinnerung mit dem zweiteiligen Spielfilm »Nuremberg« (dt. »Nürnberg – im Namen der Menschlichkeit«), einer Gemeinschaftsproduktion aus den USA und Kanada. Im Hinblick auf das Filmpersonal waren die Autoren aufs äußerste penibel. Die Liste der Auftretenden ließ kaum einen Angeklagten aus. Weniger genau ging es bei der Darstellung der Leistungen des Chefanklägers zu, dem nebenbei eine Liebesbeziehung zu seiner Sekretärin angedichtet wurde. Diese waren, wie die des ganzen Gerichtshofes – Kritiker merkten das an – auf die Anprangerung und Verurteilung des Völkermordes an den Juden konzentriert und damit reduziert. Es läßt sich nur vermuten, warum in einem Moment, da in Europa und Asien Kriege geführt wurden und das unter Beteiligung der beiden nordamerikanischen Staaten, sich für Jacksons Verdienst bei der Kodifizierung und Aburteilung des Verbrechens der kriegerischen Aggression in der Filmhandlung kein angemessener Platz fand. Wiewohl preisgekrönt, blieb dieser Film hinter dem vier Jahrzehnte vorher in die Kinos gelangten »­Judgment at Nuremberg« (»Das Urteil von Nürnberg«) von Stanley Kramer erheblich zurück, nicht nur im Hinblick auf dessen außerordentliche Besetzung, aus der Spencer Tracy, Burt Lancaster, Marlene Dietrich und Maximilian Schell noch herausragten. Der Streifen von 1961 hatte den Juristenprozeß frei nachgestaltet, wurde aber dessen Inhalt und Wesen vollkommen gerecht. Er war mehr als ein Film – ein Bekenntnis wider allen Faschismus und für die Demokratie. Nur: Darin tauchte Robert H. Jackson als Filmfigur nicht auf. An den sogenannten Nachfolgeprozessen war er nicht mehr beteiligt gewesen.

Ergänzungsfähige Erinnerung

2001 entstand in Jamestown, der Stadt, in der sein Weg als Jurist begann, ein nach ihm benanntes Zentrum, das sein Erbe pflegt. In dessen Räumen gibt es eine Ausstellung und ein Archiv. Es hat Jacksons Person und Werk in außerordentlichem Umfang über das Internet zugänglich gemacht. Wichtiger noch: Von ihm gehen publizistische, wissenschaftliche und pädagogische Initiativen in das Land, dessen Regierungen sich noch immer weigern, die USA zu einem Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes zu machen.

Auch die Bundesrepublik hat sich die Erinnerung an Robert H. Jackson nicht eben angelegen sein lassen. Diese Feststellung trifft selbst Historiker und Juristen. Weder haben sie selbst ein Lebensbild des Mannes geschrieben, noch sich für die Übersetzung einer ihm geltenden Biographie eingesetzt. Zudem würde sich in der deutschen Stadt seines Wirkens oder auch in der Hauptstadt die Taufe eines Platzes oder einer Straße auf seinen Namen nicht schlecht ausnehmen. Stünde keine neu errichtete zur Verfügung, ließe sich an eine nach einem Krieger benannte denken. Hier wie dort böten sich die nach Richthofen, dem »roten Kampfflieger«, geheißenen an.

Zum 60. Jahrestag des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses veröffentlichte die Tageszeitung "junge Welt" zwischen Oktober 2005 und September 2006 eine zwölfteilige Serie von Kurt Pätzold. Sie war Grundlage für sein Buch »Im Rückspiegel: Nürnberg. Der Prozeß gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher«. Erschienen 2006 im Kölner PapyRossa Verlag.

* Aus: junge Welt, 19. November 2010


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