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Massaker per SMS

Markus Frenzel über Deutschlands Unterstützung für internationale Kriegsverbrecher und den Fall Murwanashyaka *


Deutschland ist Rückzugsgebiet und Kommandozentrale für internationale Kriegsverbrecher. Zu diesem Fazit kam der MDR-Redakteur MARKUS FRENZEL, Jg. 1975. Seine aufsehenerregenden Berichte für das Politmagazin FAKT haben in einem Fall die deutsche Justiz zum Handeln animiert. Andere Fälle, die er in seinem jetzt erschienenen Buch "Leichen im Keller. Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt" (dtv, 434 S., 14,90 €) beschreibt, harren noch der Ahndung. Mit dem studierten Politologen sprach für das "Neue Deutschland" (ND) KARLEN VESPER.

ND: Da jagt der Westen Kriegs- und andere Verbrecher rund um den Globus, dabei leben sie unter uns?

Frenzel: Das ist richtig. Sie kommen aus Kongo, Guinea, Usbekistan, Ruanda und Äthiopien und genießen die angenehmen Seiten des Lebens bei uns in Deutschland, ohne behelligt zu werden.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Dr. Ignace Murwanashyaka, Präsident der Hutu-Rebellen, der sogenannten Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas, der FDLR. Er kommandierte über Jahre seine Krieger in Kongo per Handy von seinem Wohnzimmer in Mannheim aus, befahl per SMS Massaker wie das in der Kleinstadt Busurungi an einem Wochenende im Mai 2009. Mindestens 96 Menschen wurden grausam ermordet, darunter 35 Kinder und 23 Frauen. Man hat ihnen die Köpfe abgeschlagen, sie bei lebendigem Leib verbrannt oder ihre Hälse aufgeschlitzt wie bei Hühnern.

Woher wissen Sie all das?

Ich war in Ruanda und Kongo, habe mit den Leuten vor Ort gesprochen, mit Betroffenen, mit Staatsanwälten, Richtern, Politkern und sogar mit einigen Rebellen – und mit Kindersoldaten, die von der FDLR seit Anfang 2000 rekrutiert werden.

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Ich begann Anfang 2008 zu recherchieren, nachdem es in Schweden Festnahmen im Zusammenhang mit dem Völkermord 1994 in Ruanda gegeben hatte. Wenn 800 000 Menschen umgebracht worden sind, muss es sehr viele Täter geben, an die Zehntausende. Dementsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass solche auch in Deutschland untergeschlüpft sind. Ich bin ins hiesige ruandische Exilmilieu eingestiegen, habe mit Opfern gesprochen, die noch mit ihren Traumata zu kämpfen hatten. Eine Frau sagte mir: »Warum interessieren Sie sich für die alten Geschichten? Es gibt hier mitten in Deutschland einen Mann, der immer noch Krieg gegen die Tutsi führt.« Das konnte ich anfangs nicht glauben. Sie informierte mich, dass jener von Interpol gesucht wird. Und ich fand heraus, dass er nicht nur auf den Fahndungslisten von Interpol steht, sondern auch auf den Schwarzen Listen der UNO. Das Unglaubliche: Murwanashyaka hatte eine Homepage, auf der eine deutsche Telefonnummer angegeben ist. Ich rief an und er ging ran.

Das hätten die Leute von Interpol auch tun können?

Die hatten noch nicht einmal ein Bild von ihm. Sie haben aus unserem ersten Bericht für das ARD-Magazin FAKT dann ein Bild für ihren Haftbefehl genommen. Und dennoch passierte über ein Jahr nichts. Damals hatten uns viele empörte Zuschauer geschrieben, wie es denn sein könne, dass ein solcher Mann in Deutschland unbehelligt lebe. Sie adressierten auch Beschwerdebriefe an das Justizministerium. Doch erst drei Wochen nach unserem zweiten Bericht, der weitere Beweise bot, hat der Generalbundesanwalt Murwanashyaka festnehmen lassen.

Ein halbes Jahr später wurde die »Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiterer Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch«, kurz ZBKV, ins Leben gerufen. Acht Jahre nach dessen Verabschiedung durch die rot-grüne Bundesregierung! Das heißt, man hatte über acht Jahre keine Strukturen, Verbrechen nach diesem Gesetz zu ahnden. Da drängt sich der Verdacht auf, man hatte nie im Sinne, dieses extrem mutige Gesetz umzusetzen.

Wieso ist es extrem mutig?

Es sucht seinesgleichen weltweit. Die Belgier hatten ein relativ mutiges Gesetz. Aber sie haben es auf Druck der Amerikaner dann zusammengestrichen. Die USA befürchteten, dass ihre hohen Offiziere, wenn sie zum NATO-Hauptquartier nach Brüssel fliegen, festgenommen werden könnten. Also sagte man den Belgiern: Entweder ihr entschärft dieses Gesetz, oder wir ziehen die NATO ab.

Das wäre für Brüssel ein Prestige- und auch finanzieller Verlust. Im Fall Murwanashyaka wird nun also das deutsche Völkerstrafgesetz von 2002 angewandt?

Ja, am 1. März 2011 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Anklage gegen ihn und seinen Stellvertreter Straton Musoni erhoben – wegen 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 39 Kriegsverbrechen. Am 4. Mai beginnt der Prozess, der erste dieser Art überhaupt in Deutschland.

Das muss für Sie eine Genugtuung sein.

Naja, es hat mir gezeigt, dass man als Journalist doch auch etwas bewirken kann. Aber vor allem ist es eine Genugtuung für die Opfer, die Gefolterten, Vergewaltigten und Vertriebenen. Und für die Angehörigen der Ermordeten.

Warum haben die zuständigen Organe nicht von sich aus gehandelt, mussten erst von einem Journalisten gedrängt werden?

Da kam etliches zusammen: Schlamperei, Egoismus, Naivität, Inkompetenz und vermutlich eben auch Unwillen. 2006 hatte der Generalbundesanwalt schon gegen Murwanashyaka ermittelt. Man hat sich an die deutsche Botschaft in Kinshasa gewandt und gefragt, ob sie Material gegen ihn haben. Die haben ins Internet geschaut und ihre oberflächliche Recherche nach Karlsruhe geschickt. Dort war man total happy. Die haben also noch nicht einmal selber im Internet recherchiert. Nach ein paar Monaten kam der Bescheid vom Generalbundesanwalt: Es liegt kein hinreichender Tatverdacht vor.

In Ihrem Buch berichten Sie über weitere in Deutschland unbehelligt gebliebene Verbrecher, so über einen usbekischen Innenminister.

Sakirschan Almatow, der 2005 auf friedliche Demonstranten schießen und sich in einer Luxusklinik in Deutschland seinen Rückenmarkkrebs behandeln ließ, ohne befürchten zu müssen, wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet zu werden. Die Bundesregierung hofiert eines der übelsten Regime, weil man in Usbekistan Interessen hat.

Wegen des Afghanistan-Krieges.

Man braucht Usbekistan als Brückenkopf. Und man hat dort wirtschaftliche Interessen. Ähnlich verhält es sich mit Guinea. An der Führungsakademie der Bundeswehr wurden die Offiziere einer Militärdiktatur ausgebildet, in 50 Jahren fast 150! Guinea war nie demokratisch. Es ist immer dasselbe: Es geht um Einfluss.

Dieser Vorwurf trifft aber auch auf andere Staaten zu.

Ja, aber ich finde, wir Deutschen sollten nicht mit dem Finger auf die Engländer, Franzosen oder Amerikaner zeigen und uns empören, wie sie mit Diktatoren kungelten oder kungeln. Wir sind keinen Deut besser. Vielleicht gibt es bei uns nicht diese persönlichen Verstrickungen wie in Frankreich, wo die Außenministerin den Privatjet eines Vertrauten von Ben Ali für einen Urlaubstrip nutzte und deren Eltern Immobiliengeschäfte mit dessen Leuten betrieben. Oder der Premierminister Urlaub auf Kosten von Mubarak machte. Aber was im Falle von Murwanashyaka geschah, dass über Jahre einer der schlimmsten, grausamsten Kriege von Deutschland aus über 6100 Kilometer geführt werden konnte, finde ich tausend Mal schlimmer als ministeriale Bereicherung.

Weiß man davon in Afrika?

Alle, mit denen ich dort gesprochen habe, wussten davon, dass die FDLR-Rebellen aus Deutschland gelenkt wurden. Und obwohl ich ich es richtig finde, dass Murwanashyaka jetzt in Stuttgart vor Gericht kommt, so beschleicht mich doch auch die böse Ahnung, dass dies nur gelungen ist, weil er ein Afrikaner ist.

Wollen Sie damit sagen, dass bei westlichen Straftätern, etwa aus den USA, die deutsche Justiz nicht konsequent vorgehen würde bei entsprechender Aktenlage?

Der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck hat 2006 erneut Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld gestellt und die Bundesanwaltschaft hat diese erneut abgelehnt.

Man traut sich nicht, die USA zu verärgern.

Hinzu kommt natürlich, dass man in gewisser Weise auf die Kooperation des jeweiligen Landes, aus dem der Täter stammt, angewiesen ist.

Und dies ist im Fall Murwanashyaka gegeben. Weil in Ruanda die Anderen an der Macht sind.

Ruanda ist quasi ein Glücksfall, weil dort nun die Tutsi regieren. Dem Generalbundesanwalt werden alle Akten geöffnet, weil für sie ein Hutu Staatsfeind Nr 1 ist.

Ihre Lehre aus all dem ist ...?

Ich habe gelernt, dass Regierungen in den seltensten Fällen moralisch handeln. Vielleicht war es naiv, das zu erwarten. Deshalb müssen wir den Politikern und Militärs permanent auf die Finger schauen und ihnen zu verstehen geben, dass es eine Grenze gibt. Nur eine kritische Öffentlichkeit kann Fälle wie den des Rebellenführers in Mannheim zukünftig verhindern.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


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