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Kapp-Putsch vor 90 Jahren: Der Marsch auf Berlin

Ein Angriff der deutschen Militärs auf die junge Weimarer Republik – Interessen und Intentionen der Putschisten

Von Prof. Dr. Erwin Könnemann *

Den Zeitgenossen erschienen die Kapp-Putschisten als ein monolithischer Block, die arbeitsteilig und zielstrebig ihr konterrevolutionäres Unternehmen vorbereitet und durchgeführt hätten. Während ihrer kurzlebigen Herrschaft waren die bestehenden tiefgreifenden Gegensätze nicht in Erscheinung getreten. Erst als die Nachlässe führender Persönlichkeiten vorlagen und ausgewertet werden konnten, klärte sich das Bild. Johannes Erger gebührt das Verdienst, in seiner 1967 erschienenen Studie über den Kapp-Lüttwitz-Putsch auf grundlegende Widersprüche zwischen den zivilen und militärischen Führern des Staatsstreiches aufmerksam gemacht zu haben.

Der Geheime Oberregierungsrat und ostpreußische Generallandschaftsdirektor Dr. Wolfgang Kapp galt als Gewaltpolitiker; für die Durchsetzung seiner umstürzlerichen Ziele bedurfte er jedoch der militärischen Gewalt. Bereits im März und dann noch einmal im Juli 1919 suchte er den Befehlshaber des Armeeoberkommandos Nord, General Hans v. Seeckt, für seinen Plan einer »nationalen Erhebung« von Ostpreußen aus zu gewinnen, aber der lehnte aus innen- und außenpolitischen Gründen jegliches »militärische und politische Abenteuer« ab.

Die verhasste Revolution

Daraufhin versuchte Kapp sein Glück bei General Ludendorff, der noch vom Weltkrieg her über vielfältige Verbindungen und großen Einfluss im nationalen Lager verfügte. Am 8. Juli 1919 traf er mit Ludendorff und weiteren Generälen zusammen, wo er seinen Plan eines »Marsches auf Berlin« mit Unterstützung der von General von der Goltz befehligten Baltikumern vortrug. Exzellenz Ludendorff setzte jedoch seinen Gegenplan eines Umsturzes mit Hilfe des Garde-Kavallerie-Schützen-Korps durch. Dieser von dem Hauptmann Pabst am 21. Juli 1919 ausgelöste Putsch scheiterte, weil er zu improvisiert war und der inzwischen zum Chef des Truppenamtes avancierte General Seeckt intervenierte (vgl. ND v. 25./26.Juli 2009)

Pabst musste daraufhin aus der Reichswehr ausscheiden. Er bereitete einen neuen Staatsstreich vor. Mit der »Nationalen Vereinigung« schuf er einen Dachverband aller »aktionsbereiten Nationalgesinnten«. Vor allem stellte er Verbindungen zu den bayerischen Umstürzlern her. Parallel dazu bereitete Kapp, der in eingeweihten Kreisen als der »kommende Mann« galt, den Putsch auf politisch-staatsrechtlicher Ebene vor. Sein Ziel war es, die »aus volksfremden Anschauungen dem deutschen Volk aufgezwungene, von zersetzendem jüdischen Geist durchdrungene Revolutionsverfassung von Weimar« durch eine föderale, sich an die Reichsverfassung von 1871 anlehnende, zu ersetzen und die gesellschaftlichen Verhältnisse der Bismarckzeit in etwa wieder einzuführen.

Auf die Aufarbeitung des Gesetzeswerkes nahmen auch Ludendorff und der konservative Graf v. Westarp Einfluss. Über seine eigentlichen Absichten hüllte sich Ludendorff in Schweigen. In seinen Erinnerungen äußert er nur vage, dass er Kapp unter bestimmten Voraussetzungen zugesichert habe, die »Verantwortung für eine nationale Diktatur zu übernehmen«. Er sei jedoch »nicht gesonnen gewesen, an die zweite Stelle zu treten«. Bei einem Gelingen des Staatsstreiches hätte der 55-Jährige die Entwicklung ganz nach seinem Belieben gestalten können. Vielleicht in Richtung einer Reichsverweserschaft, denn einer der Verschwörer, der internationale Abenteurer Ignaz Trebitsch-Lincoln weilte im Februar/März 1920 in Budapest, um Kontakt mit dem Regime unter Reichsverweser Horthy aufzunehmen. Die naheliegende Frage, ob Ludendorff in einer Reichsverweserschaft ein auch für Deutschland akzeptables Modell erblickte oder ob er eine völkische Diktatur unter Ausschaltung des Parlaments erstrebte, lässt sich schlüssig erst nach Einsichtnahme in seinen Nachlass beantworten, der für die wissenschaftliche Auswertung noch nicht zur Verfügung steht.

Für die Variante einer völkischen Diktatur spricht, dass der Nationalen Vereinigung zahlreiche »vaterländische« Verbände angehörten und in den Freikorps einschließlich der Marinebrigaden ein völkischer Geist herrschte, der beispielsweise in dem Lied zum Ausdruck kommt, dessen Refrain lautet: »Hakenkreuz am Stahlhelm, Schwarzweißrot das Band, die Brigade Ehrhardt werden wir genannt.« Diese in den Nachkriegskämpfen gegen den »inneren Feind« gestählte Truppe fühlte sich als »Träger des nationalen Aufstiegs«. Die vorzüglich bewaffneten 5000 Mann schworen auf ihren Kommandeur, Korvettenkapitän Ehrhardt, der zu einer »nationalen Tat« bereit war, d. h. des Marsches auf Berlin.

Es gab jedoch noch einen weiteren Prätendenten, der umstürzlerische Pläne verfolgte, und das war der umtriebige politische Berater Ludendorffs im Weltkrieg: Oberst Max Bauer. Er verhandelte im Sommer 1919 mit Karl Radek, dem für Deutschland zuständigen Sekretär des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale über die Errichtung einer von Offizieren und Arbeitern getragenen »Diktatur der Arbeit«. Mit seinen nationalbolschewistischen Plänen blieb der Oberst jedoch isoliert. Das hinderte ihn nicht, im Februar/März 1920 Kontakt mit Moskau zu suchen und den Abschluss einer »Wirtschafts- und Militärkonvention« vorzuschlagen, die auf die »Wiederherstellung der Grenzen vom Juli 1914«, d. h. auf die Zerschlagung Polens abzielte. Das klingt unwahrscheinlich, ist jedoch ebenso dokumentarisch belegt wie ein Brief Kapps nach seinem gescheiterten Putsch aus dem schwedischen Exil an den Großindustriellen Hugo Stinnes, dass er bereit sei, seinen Wohnsitz für dauernd nach Russland zu verlegen, um an der »politischen und wirtschaftlichen Annäherung zwischen Deutschland und Russland positiv mitzuwirken«.

Ein legaler Staatsstreich?

Der vigilante Oberst Bauer hatte noch einen weiteren Pfeil im Köcher. Seit dem 19. November 1919, einen Tag nach der Verkündung der Dolchstoßlegende (vgl. ND vom 20./21. November 2009) durch Hindenburg und Ludendorff, betrieb er die »nationale Sammelkandidatur« des kaiserlichen Feldmarschalls für die im Frühjahr 1920 fälligen Reichspräsidentenwahlen. Hindenburg sollte hierbei als »Ersatzkaiser« fungieren, schrittweise die Weimarer Verfassung aushöhlen und zu gegebener Zeit Kronprinz Wilhelm Platz machen. Bauer schwebte eine Monarchie nach »britischem Muster« vor. Der Hohenzollernprinz ließ jedoch Bauer wissen, dass er die »Bemühungen, die Monarchie mit Gewalt wiederherzustellen, für verfehlt« halte. Damit war diesem Plan vorerst jede reale Grundlage entzogen. Das Projekt eines »legalen Staatsstreiches« scheiterte ebenfalls. Die Regierungsparteien vertagten einfach die fälligen Reichspräsidentenwahlen, weil sie fürchteten, Friedrich Ebert habe Hindenburg gegenüber keine Chance. Die Rechtsparteien lärmten daraufhin von Verfassungsbruch, während die »Rote Fahne« als einzige vor einem »bonapartistischen Putsch der Ludendorffer« warnte. General Lüttwitz griff die politischen Forderungen der Rechtsparteien auf und verband sie mit den militärischen, die ihm besonders am Herzen lagen, die Zurücknahme der Auflösung der Erhardt-Brigade und die Absetzung General Reinhardts als Chef der Heeresleitung. Gegen den dringenden Rat von Kapp und Ludendorff trug der starrsinnige 70-Jährige seine Forderungen am 10. März 1920 Ebert und Noske in ultimativer Form vor. Beide lehnten das Ansinnen ab und erwarteten sein Abschiedsgesuch.

Zwischen Kapp und General Lüttwitz verstärkten sich die schon lang andauernden Auseinandersetzungen über die Ziele des Unternehmens. Während Kapp das Weimarer System insgesamt stürzen und die Regierung verhaften lassen wollte, war Lüttwitz lediglich bereit, einen »starken Druck« auf das Reichskabinett auszuüben und Ebert und Noske sogar in die neue Regierung zu übernehmen, da er mit den sozialdemokratischen Politikern während der Nachkriegskämpfe 1919 gute Erfahrungen bei der Steuerung der Massen gemacht hatte. Kapp hielt das für aussichtslos, da der Sinn des Unternehmens gerade darin bestand, die von der Sozialdemokratie maßgeblich getragenen Weimarer Demokratie zu beseitigen.

Lüttwitz setzte sich über die Positionen Kapps und Ludendorff hinweg. Er vertraute darauf, dass sie auf ihn angewiesen waren, denn nur er konnte als kommandierender General den Truppen den Marschbefehl erteilen. Erst als Gefahr bestand, dass ihm die Erhardt-Brigade, sein wichtigstes Machtinstrument, aus der Hand genommen und damit seine eigenen Interessen tangiert werden, entschloss er sich zum überstürzten Handeln.

Die Gegenmaßnahmen Noskes waren unzureichend. Er unterstellte die Marinebrigade dem Admiral v. Trotha, erließ Haftbefehl gegen Kapp, Bauer, Pabst und andere Verschwörer, sicherte das Regierungsviertel durch die Sicherheitspolizei und berief eine Sitzung der höchsten greifbaren Militärs ein, in der forderte, auf die anmarschierende Erhardt-Brigade zu schießen. Als die Generalität dazu nicht bereit war, verständigte er den Reichspräsidenten und das Reichskabinett. Kurz vor dem Eintreffen der Marinebrigade floh die Regierung nach Dresden. Kapp ernannte sich zum Reichskanzler und Preußischen Ministerpräsidenten und General Lüttwitz zum militärischen Oberbefehlshaber und Reichswehrminister. Eine neue Regierung der »Ordnung, Freiheit und der Tat« wurde gebildet.

Als Kapp mit dem »Regieren« anfangen wollte, bemerkte er, dass Hauptmann Pabst nicht anwesend war. Der war des Nachts nach Magdeburg geflohen. Als er in der Morgenpresse von dem ausgebrochenen Putsch las, setzte er sich in den D-Zug und kam mittags in Berlin an, wo er sehnsüchtig und vorwurfsvoll erwartet wurde, denn er verfügte über die »Kriegskiste« mit allen Proklamationen, Proskriptionskisten, Gesetzentwürfen usw. Ein weiterer schwerer Schlag war für Kapp, dass sich Erhardt in der Nacht zum 13. März auf Verhandlungen mit General Oldershausen eingelassen hatte, so dass die Regierung die Frist zum Entweichen nutzen konnte. Sie blieb damit handlungsfähig. Sie appellierte an die Soldaten, Offiziere und Beamte, ihrem auf die Verfassung geleisteten Eid treu zu bleiben, und rief zum Generalstreik auf. Von diesem Aufruf distanzierten sich allerdings Ebert und Noske unter dem Druck mehrerer Generale, so dass es den Gewerkschaften und den Arbeiterparteien oblag, den politischen Massenstreik zu organisieren.

Über seine »Regierungszeit« urteilt Kapp später in seiner geplanten Verteidigungsrede vor Gericht: »Äußerlich bin ich zwar von der militärischen Stelle als Diktator eingesetzt worden, abgesehen von der Veröffentlichung des großen Aufrufs, der über die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Ziele des Unternehmens Aufschluss gab, ist die politische Stelle gar nicht zum Handeln gekommen.« Nun, ganz so war es nicht. In seinem wie auch in Lüttwitz' Namen erging eine Flut von Proklamationen, Anordnungen und Erlassen, darunter die berüchtigte Androhung der Todesstrafe für Streikende, um die Gewaltherrschaft zu zementieren. Ein großer Teil der Verlautbarungen geht allerdings auf Bauer und Pabst zurück, die in der Reichskanzlei das Sagen hatten. Beide waren auch entscheidend an Verhandlungen mit der alten Regierung in Stuttgart, Vizekanzler Schiffer in Berlin sowie Parteiführern aller Couleur und Offiziersabordnungen beteiligt, die darauf hinaus liefen, den Putsch möglichst rasch zu beenden, bevor die »Welle von links« nicht mehr rückgängig zu machende Erfolge erreichte. So verlangte Oberst Heye am 17. März an der Spitze einer Offiziersdelegation den Rücktritt von Kapp und Lüttwitz und die Übertragung des Oberbefehls an General Seeckt.

Der Chef des Truppenamtes, der Tarn- und Nachfolgeorganisation des Großen Generalstabes, lehnte den geplanten Gewaltstreich subjektiv ab. In der berühmt-berüchtigten Nachtsitzung zum 13. März 1920, als Noske dazu aufforderte, der Erhardt-Brigade mit Waffengewalt entgegenzutreten, wahrte Seeckt das Gesamtinteresse der Reichswehr, einen Kampf gegeneinander unter allen Umständen zu vermeiden. Am Morgen des 13. März jedoch meldete er sich wegen Halsschmerzen krank, ließ sich aber von seinen Stabsoffizieren genau über alle Vorgänge unterrichten. Am Folgetag suchte er in Zivil Vizekanzler Schiffer auf und stellte sich ihm zur Verfügung. Drei Tage später übertrug dieser ihm nach dem Rücktritt von General Lüttwitz im Einvernehmen mit Ebert die Funktion des Chefs der Heeresleitung. Seeckt hatte sein Ziel erreicht.

In diesem Zusammenhang muss noch ein weiteres Ereignis erwähnt werden, in das Seeckt involviert war. Am 11. März 1920 hatte der Stabschef von Lüttwitz, General Oldershausen, in einem geheimen Rundtelegramm alle hohen Reichswehrbefehlshaber darüber informiert, dass General Lüttwitz »demnächst verabschiedet und jeder Versuch, die Regierungsgewalt zu ändern, unfehlbar scheitern wird«. Es ist ein einmaliges Vorkommnis in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, dass ein Stabschef seinen Vorgesetzten, dessen Handeln er nicht billigt, in dieser Form desavouiert. Die Mehrheit der Kommandeure ignorierte die Warnung und folgte den Befehlen von Kapp und Lüttwitz. Sie setzten auf der Grundlage des verhängten verschärften Ausnahmezustands jene Landesregierungen, Oberpräsidenten der preußischen Provinzen und Oberbürgermeister ab, die sich weigerten, die Putsch-Regierung anzuerkennen.

Gescheitert an zwölf Millionen Arbeitern

In Bayern gelang der Umsturz sogar insofern, als es General von Möhl erreichte, an die Stelle der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann den konspirativen Ministerpräsidenten v. Kahr zu bringen, der Bayern zur »Ordnungszelle« des Reiches ausgestaltete. Das westliche Deutschland unterstand dem Chef des Reichswehrkommandos 2, General Schoeler, der wie General Watter, der das rheinisch-westfälische Industriegebiet befehligte, den Putsch indirekt unterstützte. Beide bekämpften unter der Flagge der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung den Generalstreik und die bewaffneten Arbeiter auf das schärfste. Selbst im Südwesten Deutschlands konnte sich die von Dresden nach Stuttgart geflohene Reichsregierung nicht sicher fühlen, denn der württembergische General Haas ließ seine Offiziere darüber abstimmen, auf welche Seite sie sich stellen wollten; bis auf zwei bekannten sie sich zu Kapp und Lüttwitz.

Man kann also davon ausgehen, dass der Putsch trotz all seiner Unzulänglichkeiten in ganz Deutschland erfolgreich verlaufen wäre, wenn ihm nicht der Massenstreik von zwölf Millionen Arbeitern und Angestellten sowie der bewaffnete Widerstand der bewaffneten Arbeiter in den Industriezentren und großen Seestädten Einhalt geboten hätte. Letzteren ging es allerdings nicht allein um die Abwehr des Putsches, sondern auch um die Weiterführung der nach ihrer Ansicht in sozialer Hinsicht stecken gebliebenen Novemberrevolution.

* Aus: Neues Deutschland, 13. März 2010

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