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Generalfeldmarschall a. D.

Münster jagt Hindenburg aus der Stadt. Bürgerentscheid: Größte Freifläche soll Schloßplatz heißen

Von Gerrit Hoekman, Münster *

Bravo Münster, Stadt des Westfälischen Friedens! In einer Volksabstimmung haben am Sonntag die Bürger mehrheitlich beschlossen, Paul von Hindenburg symbolisch aus der Stadt zu werfen. Die größte Freifläche in der City soll nun endgültig Schloßplatz heißen, nachdem sie 85 Jahre lang den Namen des Reichspräsidenten trug, der schließlich Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Rund 60 Prozent der Münsteraner wollten nicht noch einmal wie 1927 innerlich die Hacken zusammenknallen und strammstehen vor dem Feldmarschall. »Ich möchte nicht, daß Münster sich blamiert«, verriet ein Bürger im Lokalsender CenterTV, kurz nachdem er seine Stimme für den Schloßplatz abgeben hatte.

Hindenburg ist einer der Totengräber der Weimarer Republik und Steigbügelhalter der Faschisten 1933. Mit ihrer Entscheidung vom Sonntag bestätigten die Bürger einen Beschluß des Stadtrats, der im März mit überwältigender Mehrheit einer Umbenennung in Schloßplatz zugestimmt hatte. Nur große Teile der CDU waren damals dagegen. Einige Konservative, u.a. aus der Jungen Union, mochten sich mit dem neuen Namen nicht anfreunden und gründeten die Initiative »Pro Hindenburgplatz«. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie die Unterschriften gesammelt, die in Münster für die Organisation eines Bürgerentscheids nötig sind.

300000 Euro soll die Abstimmung gekostet haben – Münster leistete sich dafür über Monate hinweg kollektiven Geschichtsunterricht. Wohl selten hat eine deutsche Bürgerschaft so ausgiebig und zum Ende hin auch erbittert über die eigene Vergangenheit gestritten. »Wir haben so intensiv wie keine andere Stadt in Deutschland dieses Thema bearbeitet«, sagte Oberbürgermeister Markus Lewe nach dem Plebiszit. Lewe hatte sich als einer der wenigen Münsteraner Christdemokraten öffentlich für den Namen Schloßplatz und gegen Hindenburg stark gemacht. Wie auch der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Generalsekretär der Bundes-CDU Ruprecht Polenz.

»Ein vertrautes Stück Münster. Hier sind wir zu Hause«, mit diesem Slogan appellierten die Hindenburg-Befürworter an das Heimatgefühl der Münsteraner. Doch im Laufe der Auseinandersetzung wurde deutlich, worum es eigentlich ging: um die Reinwaschung und die Absolution für Paul von Hindenburg. Gegen den Versuch, die Geschichte zu klittern, formierte sich breiter Widerstand, nicht nur unter Linken, sondern auch in der katholischen Kirche, die immer noch sehr einflußreich und meinungsbildend in Münster ist. Prominente wie der Schlagersänger Roland Kaiser oder der Schauspieler Leonard Lansink warben auf Plakaten für den Schloßplatz.

Unerwartete Hilfe bekamen die Hindenburg-Gegner, als sich der alte Kaiser Wilhelm per Videobotschaft aus dem niederländischen Exil an die »geliebten Untertanen in der Provinz Westfalen« wandte. Seine Majestät forderte, in Person des Kabarettisten Christoph Tiemann, die Bürger auf, gegen den »Trottel von Tannenberg« zu stimmen, der »nicht nur unser Kaiserreich in den französischen Sand gesetzt, sondern auch die anschließende Republik vor die Wand gefahren hat, einem Mann also, dem es offensichtlich für jede Staatsform an Talent mangelte«.

Die Hindenburg-Befürworter erhielten hingegen – wie nicht anders zu erwarten – bald Unterstützung von Deutschnationalen, die im Internet die Schloßplatz-Anhänger beschimpften und auch bedrohten. Die Initiative wurde die Geister, die sie gerufen hatte, nicht mehr los. Die rechtsradikale Partei »ProNRW« stellte den Münsteranern ein großes, politisches Volksfest in Aussicht, wenn sie für den Namen Hindenburgplatz stimmen sollten: »Westfälische Beharrlichkeit und Traditionsverbundenheit müssen belohnt werden!« Die meisten Wähler faßten das Angebot der Extremisten wohl mehr als Drohung auf, denn als freundliche Einladung.

Mit dem Bürgerentscheid ist nun endlich ein Thema vom Tisch, das vielen in der Stadt seit Jahrzehnten unter den Nägeln brannte und die Bürgerschaft gespalten hat. 1965 stellte zum ersten Mal ein Einwohner den Antrag, den Hindenburgplatz umzubenennen. 1974 griff die DKP die Idee wieder auf, doch ihr Plan, die riesige Brache nach Salvador Allende zu benennen, war im konservativen Münster ähnlich realistisch wie die Rückkehr der Wiedertäufer. Der unverfängliche Name Schloßplatz hatte deutlich größere Chancen. Trotz des Erfolgs ist einiges zu tun: Gut ein Dutzend Straßen wartet noch auf einen neuen Namen. Die Adolfstraße darf in Münster jedoch bleiben – sie ehrt nämlich einen Bischof aus dem 14. Jahrhundert, nicht den »Anstreicher« aus Braunau.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. September 2012


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