Immer der Beste
Hans Maria Globke - Von der Kriegsverbrecherliste ins Bundeskanzleramt
Von Hans Canjé *
Theodor Heuss (FDP), von 1949 bis 1959 erster Präsident der
Bundesrepublik Deutschland, ließ keine Zeit verstreichen. So
bedenkenlos, wie er am 23. März 1933 als Reichstagsabgeordneter dem
Ermächtigungsgesetz des am 30. Januar 1933 an die Schalthebel der Macht
gehievten faschistischen Regimes zugestimmt hatte, genau so unterschrieb
er am 8. Juli 1950 »im guten Glauben« eine vom ersten Kanzler der BRD,
Konrad Adenauer (CDU), vorgelegte Urkunde. Es ist die Bestätigung der
Ernennung des Ministerialdirigenten Dr. Hans Maria Globke zum
Ministerialdirektor und Leiter der Personalabteilung im
Bundeskanzleramt. Adenauer begründete die Auswahl Globkes für die
Schlüsselposition im Kanzleramt später mit den Worten: »Ich wüßte
keinen, den ich an die Stelle Globkes setzen könnte. Er ist ein Beamter
von ungewöhnlichem Pflichtgefühl.«
An der Qualifikation Globkes gab es amtlich keine Zweifel. Bereits knapp
elf Jahre zuvor war eine ähnliche Eloge vom Reichsinnenminister des
faschistischen Deutschland, Wilhelm Frick, verfaßt worden. In seinem
Schreiben vom 25. April 1938 an den »Stellvertreter des Führers« Rudolf
Heß im »Braunen Haus« zu München hieß es: »Oberregierungsrat Dr. Globke
gehört unzweifelhaft zu den befähigsten und tüchtigsten Mitarbeitern
meines Ministeriums. In ganz hervorragendem Maße ist er an dem
Zustandekommen der nachstehenden Gesetze beteiligt gewesen: a) des
Gesetzes zum Schutze des Blutes des deutschen Volkes vom 15.9.1935, b)
des Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes
(Ehegesundheitsgesetz) vom 10.10.1935, c) des Personenstandsgesetzes vom
3.11.1937, d) des Gesetzes zur Änderung von Familiennamen und Vornamen
vom 5.1.1938. Bei seiner seit der Machtergreifung durch die NSDAP
bewiesenen Loyalität und steten Einsatzbereitschaft halte ich für
dringend geboten, ihm nunmehr durch die Beförderung zum Ministerialrat
eine Anerkennung für seine ganz vorzüglichen Leistungen zu Teil werden
zu lassen.«
Deal mit Israel
Ein derart exzellentes Führungszeugnis, zudem von einem der
prominentesten Vertreter des faschistischen Regimes ausgestellt, konnte
in den ersten Nachkriegsjahren in der BRD das Sprungbrett zu einer neuen
Karriere sein. Darum hatte Adenauer in Kenntnis der Rolle Globkes im
NS-Staat kein Problem damit, den von den Alliierten als Nr. 101 auf der
Kriegsverbrecherliste gesetzten »Judenreferenten« bereits im Oktober
1949 als Ministerialdirigenten ins Bundeskanzleramt zu holen und wenige
Monate später bereits als Ministerialdirektor mit der Leitung der
Hauptabteilung für innere Verwaltung zu betrauen. Was sich in der Folge
segensreich für die Gefolgsleute Hitlers auswirkte, die vor den Toren
der neuen Behörden auf Weiter- bzw. Wiederverwendung warteten.
Mit der Ernennung zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt erklomm Globke
1953 schließlich den Gipfel seiner Macht. Er war »Der Mann hinter
Adenauer«, so der Titel des vom Filmkritiker und Journalisten Jürgen
Bevers verfaßten, gründlich recherchierten Sachbuchs über Globkes
Karriere. In dieser Position avancierte er zum » (un-)heimlichen
Generalsekretär der CDU«. Er war Koordinator der bundesdeutschen
Geheimdienste und Verwalter des sogenannten Reptilienfonds zur
Korrumpierung der Presse.
Hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland noch im Juli 1951 die
Wiederverwendung des am 10. September 1898 in Düsseldorf geborenen
Experten für »Judenfragen« strikt abgelehnt, so geriet seine anrüchige
Vergangenheit dort und auf israelischer Seite nach dem Abschluß des
»Wiedergutmachungsabkommens« zwischen der BRD und Israel am 10.
September 1952 fast völlig aus dem Blickpunkt. Globke war bereits in
eine Schlüsselposition beim Zustandekommen der vorbereitenden
Verhandlungen mit der Jewish Claims Conference (JCC) gerückt, einer
Vereinigung jüdischer Organisationen zur Durchsetzung von
Entschädigungsansprüchen von Holocaustopfern. Adenauer ließ ihn die
ersten Kontakte der Bundesregierung zum damaligen Ministerpräsidenten
Ben Gurion (1949-1953 und 1955-1963) herstellen und dessen erstes
Treffen mit dem Bundeskanzler am 14. März 1960 in New York vorbereiten.
Aktenkundig ist schließlich die Mitwirkung Globkes bei den Abkommen über
die umfangreichen Waffenlieferungen der BRD an Israel im Jahre 1962. Als
Dank auch dafür regelte Ben Gurion, daß der Name des Adenauer-Intimus
aus dem am 30. März 1961 in Jerusalem eröffneten Prozeß gegen den für
die »Endlösung der Judenfrage« mitverantwortlichen Adolf Eichmann
herausgehalten wurde.
Autor der »Rassengesetze«
Weder Adenauer noch die Vertreter Israels konnten sich mit Unkenntnis
über Globkes Anteil an der Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma
herausreden. Sowohl in der BRD als auch in der DDR waren entsprechende
Akten über ihn veröffentlicht worden. Als Regierungsrat (ab 1929) war er
schon im preußischen Innenministerium mit der »Kenntlichmachung der
Blutmäßigen Zusammensetzung« bei Änderung von Familiennamen und einem
dabei erforderlichen Nachweis der »arischen Abstammung« befaßt. Im April
1934 wurde ihm bescheinigt, daß er »arisch im Sinne umstehender Gesetze«
ist. Von da an widmete er sich auf höherer, gesetzgebender Ebene, den
ihm so widerlichen »Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden und
Zigeuner« und deren »Ausscheiden« aus dem »Volkskörper«. Denn, so
formulierte er in dem von ihm verfaßten Kommentar zum Paragraphen 6 des
auf dem Nürnberger »Reichsparteitag der Freiheit« verkündeten »Gesetz
zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«: »Jedes Volk
wird durch die Aufnahme artfremden Blutes in den Volkskörper in seiner
Lebensfähigkeit gefährdet. Eine seiner Hauptsorgen sollte die
Reinerhaltung seines Blutes sein.«
Der von ihm und Staatssekretär Wilhelm Stuckart verfaßte Kommentar zu
diesem und zum »Reichsbürgergesetz« sowie zum »Gesetz zum Schutze der
Erbgesundheit des deutschen Volkes« enthielt, wie der spätere oberste
Blutrichter des Regimes, Roland Freisler in Deutsche Justiz lobte,
»alles, was man in der Praxis benötigt«. Der Kommentar könne wohl »in
keiner Handbücherei eines Rechtsbewahrers fehlen«. Er fehlte, wie die
von Globke verfaßte allgemeinverständliche Umsetzung der Nürnberger
Gesetze als »wahrhafte Magna Charta des deutschen Blutes für die
Jahrhunderte«, auch nicht bei den Einsatzgruppen und KZ-Wächtern. Das
verstand jeder Henker, der mit der Vollstreckung der »Endlösung der
Judenfrage« befaßt war: »Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur
die Juden und die Zigeuner.«
Das alles spielte in den Jahren keine Rolle, als in der BRD der
tiefverwurzelte Antikommunismus Konjunktur hatte, der fast eins zu eins
aus der Zeit übernommen worden war, als Hitler den Millionen Opfer
fordernden Feldzug gegen den »jüdisch-bolschewistischen Untermenschen«
geführt hatte. Da wurden die »braunen Flecken auf der angeblich weißen
Weste« in Kauf genommen, denn, so Bevers, »der Westen sah jetzt rot«.
Wegen »in Mittäterschaft begangener fortgesetzter Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in teilweiser Tateinheit mit Mord«,
verurteilte das Oberste Gericht der DDR Globke am 23. Juli 1963 in
Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus. Am 15. Oktober 1963 trat er vom
Amt zurück. Das zuständige Regionalparlament verweigerte ihm die
Aufenthaltsgenehmigung, als er in die Schweiz übersiedeln wollte.
Quellentext. Dr. Arndt, SPD-MdB, am 12. Juli 1950 im Bundestag
(...) Aber für uns ist das Wesentliche das, daß der Name Globke auf
diese Weise für immer mit den Nürnberger Gesetzen verknüpft ist. (...)
Hier handelt es sich (...) um mit Paragraphen verübten Mord, und Herr
Dr. Globke hat das ganz genau gewußt. (...) Worum es sich hierbei handelt,
das ist der Verrat der Menschenwürde und die Schändung des deutschen
Namens. (...)
Er war bei Seyß-Inquart in Den Haag, bei Bürkel in Metz, bei Wagner in
Straßburg, bei Forster in Danzig, bei Neurath und Karl Hermann Frank in
Prag, in Paris, bei Antonescu in Bukarest und bei Tiso, Mach und
Karmasin in Pressburg. Das sind nur einige dieser Reisen. Überall, wo
dieser Korreferent für Judenfragen mit dem SS-Obergruppenführer Stuckart
erschien, soll natürlich von Juden - außer in Straßburg, wofür ein
Dokument vorliegt, das ist Pech! - nie gesprochen worden sein und soll
das Reichsinnenministerium nur als Hort und Hüter der Juden in
Erscheinung getreten sein. Aber alle Welt weiß, daß von diesen Plätzen
aus und nach diesen Besprechungen sich die Blutspur der gemarterten und
gemordeten Juden sich in die Vernichtungslager nach Auschwitz und
Maidanek zog. Und Herr Dr. Globke wußte um diese Greuel.«
Aus: Hans Strecker: Dr. Hans Globke, Hamburg 1961
* Aus: junge Welt, 3. Juli 2010
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