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Hans Filbinger - ein Furchtbarer Jurist

Dr. Helmut Kramer* zur Trauerrede von Günter Oettinger

Zu der mit der Trauerrede von Günter Oettinger ausgelösten aktuellen Diskussion um Hans Filbinger:
Hans Filbinger hat als Marinerichter und Marinestaatsanwalt an mindestens drei Todesurteilen gegen Deserteure des Zweiten Weltkrieges mitgewirkt.



Am bekanntesten davon ist der Fall des Matrosen Walter Gröger: Gröger hatte im Dezember 1943 in Oslo versucht, zu desertieren. Vor dem Kriegsgericht zog sich der Fall lange hin. Eine zunächst verhängte Strafe von acht Jahren Zuchthaus wurde von dem „Gerichtsherrn“ nicht akzeptiert. Als der Marineoberstabsrichter Filbinger in das Verfahren eintrat, hatte sich an den grundlegenden Fakten nichts geändert. Filbinger fügte sich aber der Forderung des „Gerichtsherrn“ und erwirkte die Todesstrafe. Unter der Leitung von Filbinger wurde der 22-jährige Gröger am 16. März 1945 von dem Exekutionskommando erschossen. Eine Benachrichtigung der Eltern hielt Filbinger nicht für nötig.

Zwei andere Todesurteile gegen Deserteure (kurz vor Kriegsende!) hatte Filbinger als Richter selbst ausgesprochen. Er konnte sie nur deshalb nicht vollstrecken lassen, weil die Angeklagten nicht mehr gefasst werden konnten. Auf die Forderung des „Gerichtsherrn“ nach der Verhängung der Todesstrafe kann sich Filbinger nicht berufen. Mit etwas Zivilcourage hätte er gegenüber dem „Gerichtsherrn“ Bedenken gegen die Weisung erheben können. Das hätte ihm keine unzumutbaren Nachteile gebracht. Bis heute ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Militärjurist wegen einer missliebigen Entscheidung persönlich gemaßregelt worden wäre. Die Handlungsspielräume auch eines Militärjuristen hat Filbinger ersichtlich nicht zu Gunsten des Grögers genutzt. Der militärische Dienstvorgesetzte hatte zuvor Gröger als „hoffnungslosen Schwächling“ bezeichnet.

Es geht nicht nur darum, dass Filbinger sich in die kriegsverlängernde Mordmaschinerie der Wehrmachtsjustiz hat einspannen lassen. Disqualifiziert hat er sich auch durch die Selbstgerechtigkeit, mit der er sich zu dieser Mitwirkung stellte, und durch den Ausspruch „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Uneinsichtig zeigte sich Filbinger auch sonst. Er stilisierte sich zu einem heimlichen Widerstandskämpfer und stellte sich als Opfer einer „gelenkten Rufmordkampagne“ hin.

Mit der formal korrekten Behauptung, es gebe kein einziges Urteil von ihm, durch das ein Mensch sein Leben verloren habe, versuchte Filbinger darüber hinweg zu täuschen, dass er die Todesurteile als Ankläger erwirkt hatte. Ein Staatsanwalt, der ein ungerechtes Todesurteil gefordert und damit das Gericht in Zugzwang gebracht hat, kann nicht seine Hände in Unschuld waschen und die Verantwortung für den Totschlag auf das Gericht abschieben.

Günther Oettinger hat gesagt: „Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.“ Es ist müßig, darüber zu streiten, ob Filbinger im Innern ein Anhänger Hitlers war. Auch kann dahinstehen, ob Hans Filbinger allein Opportunist und aus Karrieregründen der SA und der NSDAP beigetreten ist und ob er den Nationalsozilisten nur nach dem Munde reden wollte, wenn er im Jahre 1935 in einer Studentenzeitschrift von „Blutsgemeinschaft“, „Schädlingen am Volksganzen“ und „rassisch wertvollen Teilen des deutschen Volkes“ sprach. Hatte er tatsächlich die NS-Ideologie durchschaut, war dies um so schlimmer. Denn dann hätte er sich im Widerspruch zu seiner Überzeugung in den Dienst des Unrechtstaates gestellt. Vielleicht war er aber selbst nach Kriegsende noch ein unbelehrbarer Nazi: Noch am 29. Mai 1945 – drei Wochen nach der Kapitulation und längst in englischer Gefangenschaft – verurteilte Filbinger den Matrosen Kurt Olaf Petzold zu sechs Monaten Gefängnis wegen Erregung von Missvergnügen, Gehorsamsverweigerung und Widersetzung. Das Vergehen des Matrosen: Er hatte nach Kriegsende demonstrativ das Hoheitszeichen mit dem Hakenkreuz von seiner Kleidung entfernt, schlechte Haltung beim Antreten im Glied gezeigt und einen Quartier-Umzugsbefehl mit den Worten verweigert „Ihr habt jetzt ausgeschissen, ihr Nazihunde“.

Man wird die Geschichtslüge nicht allein dem Ministerpräsidenten Günther Oettinger zur Last legen dürfen. Durch besondere Geschichtskenntnisse hat Oettinger sich noch nie hervorgetan. Ein Ministerpräsident hat Berater und dem Vernehmen nach hat Günther Oettinger sich zum Fall Filbinger ausführlich beraten lassen. Wenn sich dabei die Geschichtsleugner durchgesetzt und Günther Oettinger grünes Licht zur Verherrlichung eines Handlangers des Naziregimes erteilt haben, kennzeichnet dies die Rückwärtsgewandtheit insbesondere der Juristen in manchen Staatskanzleien und Ministerien. Dort ist es weithin noch immer unerwünscht, dass darüber aufgeklärt wird, dass ein Unrechtsstaat wie der unter Hitler sich ohne die Zuarbeit von Tausenden von Funktionären nicht lange hätte halten können. Insbesondere Mainstreamjuristen wie Filbinger waren es, die mit Hilfe der erlernten juristischen Techniken eine Legalitätsfassade vor dem Terror errichteten. Kritisch denkende Juristen mit Zivilcourage sind aber noch heute höheren Orts ungern gesehen. Wenn in der politischen Bildung eines Landes wie Baden-Württemberg die Aufklärung über die Mitwirkung der Beamten und Richter am NS-Regime einen geringen Stellenwert hat, ist dies kein Zufall.

Die Taten Hans Filbingers sind schrecklich genug. Um die Lobesworte Günther Oettingers zu widerlegen, bedarf es keiner Spekulationen darüber, was in den übrigen inzwischen vernichteten Akten von unter Mitwirkung von Hans Filbinger geführten Prozessen sonst noch steht. Nicht nur unnötig, sondern eindeutig unrichtig ist allerdings die durch Abdruck in der Süddeutschen Zeitung vom 13.04.07 in die Welt gesetzte Behauptung Rolf Hochhuths, Hans Filbinger habe das Todesurteil gegen Walter Gröger erst nach der Kapitulation in britischer Gefangenschaft vollstrecken lassen und sich dazu zwölf Gewehre von den Briten ausgeliehen. Walter Gröger ist bereits am 16. März 1945 hingerichtet worden, also zu einem viel früheren Zeitpunkt. Einen Fall, wie Rolf Hochhuth ihn beschreibt, hat es zwar tatsächlich gegeben: Am 13. Mai 1945 – also nach der Kapitulation – verurteilte in Amsterdam ein deutsches Kriegsgericht unter den Augen der kanadischen Offiziere zwei deutsche Deserteure, die sich, der eine in der Obhut des holländischen Widerstandes, bis zur Kapitulation in Holland verborgen hatten, wegen Fahnenflucht zum Tode. In der hastig durchgeführten Kriegsgerichtsverhandlung nützte es dem Angeklagten Rainer Beck nicht einmal, dass er sich zur Marine nur in der Hoffnung gemeldet hatte, als unerkannter sog. Halbjude hier die größeren Überlebenschancen zu haben. Beide Verurteilte wurden am selben Tage erschossen. Die Karabiner hatten die Kanadier ausgeliehen. Die kanadischen Offiziere hatten keine Bedenken - Offiziere aller Nationen halten wohl meistens zusammen, sie betrachten sich als Kameraden. Krieg ist Krieg, militärische Disziplin Selbstzweck. Mit dem Fall Filbinger hat diese Tragödie aber nichts zu tun. Verantwortlich für das Amsterdamer Todesurteil war ein Kollege Filbingers, der Marineoberstabsrichter Wilhelm Köhn, der nach dem Krieg seine Karriere als Richter am OLG Köln fortsetzen konnte.

Die Rolf Hochhuth unterlaufene Verwechslung ändert nichts an der Richtigkeit seiner Feststellung, dass Hans Filbinger zu den „Furchtbaren Juristen“ gezählt werden muss. Verhängnisvoll wäre nur die Vorstellung, es handele sich hier um einen einzigartigen Fall, der die anderen Justizmorde der Wehrmachtskriegsgerichtsbarkeit in den Schatten stelle. Braucht man sich angesichts des Falles Filbinger mit dem Anpassertum der meisten anderen Wehrmachtrichter nicht näher zu beschäftigen? Erübrigt sich – etwa mit dem Blick auf willfährige Militärjuristen der USA – auch das Nachdenken über eine bis heute fortbestehende Anfälligkeit von Juristen, sich im Dienst rechtsfremder Interessen instrumentalisieren zu lassen? Ist nicht gerade der demokratische Rechtsstaat auf das angewiesen, mit dem das NS-Regime sich nicht lange hätte behaupten könne: auf Juristen mit Zivilcourage?

Literatur:
  • Rolf Hochhuth: Eine Liebe in Deutschland. Reinbek 1978
  • Wolfram Wette (Hg.): Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006
  • Zu den unter dem Vorsitz des Marineoberstabsrichters Wilhelm Köhn in Amsterdam gefällten Todesurteilen vgl. Karl-Heinz Lehmann in: Kritische Justiz 1997, S. 94 ff und derselbe in: Kritische Justiz 1998, S. 254 sowie Neue Justiz 1996, S. 599 ff
Wolfenbüttel, 13.04.07

* Dr. Helmut Kramer, OLG-Richter a.D. und langjähriger Vorsitzender von "Forum Justizgeschichte".
Internet: http://kramerwf.de



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