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Deutsche Abzocker

Handelsbilanzüberschuß und Gewinnübertragungen sorgen für immer größere Schieflage in der EU

Von Wolfgang Pomrehn *

Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum und in der EU, die zu den aktuellen Schwierigkeiten in Griechenland, Portugal und einigen anderen Mitgliedsländern geführt haben, nehmen weiter zu. Das geht aus den neuesten Außenwirtschaftsstatistiken hervor, die dieser Tage vorgelegt wurden. Obwohl der deutsche Binnenmarkt nicht zuletzt aufgrund der seit Jahren sinkenden Reallöhne lahmt, haben die hiesigen Ausfuhren stark zugelegt. Im März lagen sie um beachtliche 23,3 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Damit haben die deutschen Exporte fast wieder das Niveau, das sie vor dem Ausbruch der atlantischen Finanzkrise erreicht hatten. Als Reaktion auf diese Zahlen des Bundesamtes für Statistik zitierten verschiedenen Nachrichtenagenturen ungenannte Wirtschaftswissenschaftler, die nun davon ausgingen, daß wider Erwarten die Wirtschaft im ersten Quartals doch leicht gewachsen sei. Das heißt mit anderen Worten, daß der Binnenmarkt weiter geschrumpft ist. Ihm geht es so schlecht, daß auch die beachtliche Zunahme der Exporte unterm Strich nur ein geringfügiges Wachstum ergibt. Vom Januar bis März hatten die Ausfuhren gegenüber dem ersten Quartal 2009 um sieben Prozent zugelegt.

Weshalb die Binnenkonjunktur stottert, ist kein allzu großes Geheimnis. Die Kommunen haben kaum noch Geld, das sie in Investitionen stecken könnten, Kurzarbeit, Leiharbeit, Billigjobs, Hartz IV und Arbeitslosigkeit sorgen dafür, daß der größere Teil der Bevölkerung entweder kaum noch etwas im Portemonnaie hat, oder doch zumindest aus Angst vor der Zukunft knauseriger wird.

Diese Zustände führen inzwischen dazu, daß die Schere zwischen Ein- und Ausfuhren immer weiter auseinander klafft. Während deutsche Unternehmen mit besonders niedrigen Stücklohnkosten ihre Stellung auf dem Weltmarkt ausbauen können, geben deutsche Verbraucher zu wenig Geld für Importwaren aus. Das Ergebnis: Allein im ersten Quartal 2010 betrug der bundesrepublikanische Handelsbilanzüberschuß 37,8 Milliarden Euro, 10,3 Milliarden mehr als noch vor einem Jahr. Dieses wachsende Ungleichgewicht belastet vor allem die europäischen Nachbarn. Im März 2010 führte Deutschland in die EU Waren im Wert von 51,4 Milliarden Euro aus, kaufte dort jedoch nur für 42,9 Milliarden Euro ein. Die Ausfuhren in die EU waren schneller als die Importe gewachsen. Im ersten Quartal 2010 hatte Deutschland gegenüber den anderen EU-Mitgliedern einen Handelsbilanzüberschuß von 18,9 Milliarden Euro. Über die Hälfte davon, nämlich 10,2 Milliarden Euro, entfiel auf die Euro-Zone.

Zum Vergleich: China, auf das hierzulande ja sogar so gerne mit dem Finger gezeigt wird, wenn es um vermeintlich unfaire Handelspraktiken geht, hat in den letzten Monaten seine Ausfuhren noch wesentlich mehr als Deutschland steigern können. Zugleich zogen dort aber auch die Importe stärker an, so daß unterm Strich mit einem Plus von rund 1,3 Milliarden Euro für April ein gemessen an hiesigen Verhältnissen sehr bescheidener Überschuß herauskommt. Gegenüber vielen Entwicklungsländern hat das Land der Mitte sogar ein Handelsbilanzdefzit Aber zurück zum deutschen Exportüberschuß. Ein genaues Bild von den daraus entstehenden Ungleichgewichten ergibt sich erst, wenn die sogenannte Leistungsbilanz betrachtet wird. In die fließen neben der Handelsbilanz auch der Austausch von Dienstleistungen und Finanztransaktionen ein. Dazu zählen auch deutscher Tourismus in Südeuropa, grenzüberschreitende Überweisungen, Beiträge an internationale Organisationen, Zahlungen von EU-Beihilfen und ähnliches.

Alles zusammengenommen ergibt sich für Deutschland allein für das erste Quartal 2010 ein Plus von 31,7 Milliarden Euro, 9,1 Milliarden mehr als noch vor einem Jahr. Dies ist kein Gewinnzuwachs aufgrund von gestiegener Arbeitsleistung, von Wirtschaftswachstum also. Es ist vielmehr ein Zuwachs auf Kosten des Auslands.

Anstatt also Zahlmeister der EU zu sein, wie das Boulevard dieser Tage dem deutschen Publikum wieder in die Köpfe hämmert, ist Deutschland vielmehr Empfänger erheblicher Geldsummen. Hauptsächlich aus dem Handelsüberschuß, aber im ersten Quartal 2010 wurden auch immerhin netto vier Milliarden an Einkommen und Gewinnen aus dem Ausland bezogen. Oder anders ausgedrückt: Die Gewinne deutscher Unternehmen im Ausland übersteigen die Gewinne ausländischer Konzerne im Inland deutlich.

Übrigens: Stärker noch als die Ausfuhren in die EU haben im März 2010 die Exporte in die Länder jenseits der Gemeinschaftsgrenzen zugenommen. Der schwächelnde Euro wird dabei sicherlich ein wenig geholfen haben, verbilligt er doch für Abnehmer in den USA oder China die deutschen Waren. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2010


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