Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der deutsche Währungskrieg

Exporte und Lohndumping als Krisenzündstoff

Von Fabio de Masi *

Die deutschen Ausfuhren waren 2012 so hoch wie noch nie: Deutschland exportierte im Wert von 1097 Milliarden Euro. Der deutsche Exportüberschuss ist mit 188 Milliarden Euro der zweithöchste in der Geschichte der Bundesrepublik und damit fast so hoch wie vor der Krise in 2007.

Die chronischen Exportüberschüsse Deutschlands sind eine zentrale Ursache der sogenannten Euro-Krise. Deutschland verkauft wegen der seit 2000 gesunkenen Reallöhne per Saldo permanent mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland als es von dort einkauft. Man nennt diese Politik des Preisdumpings angesichts des Wegfalls der Wechselkurse in der Euro-Zone eine reale Abwertung Deutschlands. Dies hat zu einem Anstieg der Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen insbesondere in Südeuropa geführt. Deutsche Banken und Unternehmen investierten im Gegenzug in giftige Lehman-Zertifikate und anderen Schrott. Mit anderen Worten: Deutschland verbrannte „sein“ Vermögen im Ausland.

Die Bundesregierung feiert dies als Erfolg ihrer Wirtschaftspolitik. Gleichwohl auch in Deutschland kühlt sich die Konjunktur im Zuge der Sparpakete ab. Und die deutsche Wachstumsperformance ist alles andere als beeindruckend. Bis zur Krise war Deutschland ein Schlusslicht beim Wachstum in der Euro-Zone. Seit der Krise ist Deutschlands Wachstum zwar überdurchschnittlich. Nur dies ist kein Kunststück: Die Krisenstaaten taumeln durch die Kürzungspakte in die Rezession, Deutschland hat eine breit aufgestellte Exportindustrie, die insbesondere den Bedarf der Schwellenländer nach Technologie befriedigt und von billigen Vorleistungen aus de Krisenstaaten sowie expansiven Maßnahmen außerhalb Europas profitiert. Sobald die USA, Japan und China auf die Bremse treten wird es auch in Deutschland ungemütlich. Euro-Putsch und sinkende Löhne

Gleichwohl bestätigt dies die Auffassung wonach Wettbewerbsvorteile durch Lohndumping langfristig nur schwer zu korrigieren sind. Denn in den Krisenstaaten sind die Lohnkosten durch den „Euro-Putsch“ massiv gesunken. Es ist eben so: Die Vor- und Nachteile bei den Lohnstückkosten (Löhne im Verhältnis zur Produktivität) addieren sich über die Jahre. Selbst eine Ausschöpfung des verteilungsneutralen Spielraums in der Lohnpolitik (durchschnittlicher Produktivitätszuwachs plus Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank) würde nicht hinreichen, um die über viele Jahre erfolgte „reale Abwertung“ Deutschlands über Billiglöhne zu korrigieren. Zumal die Produktivität der deutschen Exportindustrie jene der Handelspartner übertrifft und sich auch mit verteilungsneutralen Lohnabschlüssen in Deutschland Wettbewerbsvorteile ergeben. Zudem: Ist ein Land wie Griechenland erstmal erfolgreich deindustrialisiert, helfen auch niedrige Löhne nichts mehr. Denn was soll Griechenland exportieren? Es hat keine wettbewerbsfähige chemische Industrie oder einen etablierten Automobilsektor. Ökonomen nennen das salomonisch die „Pfadabhängigkeit“ des internationalen Handels.

Interessanter ist aber die Reaktion aus Brüssel: Eigentlich sollten nämlich im Zuge des makroökonomischen Scoreboards bzw. des Mechanismus zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte (ein Rechtsakt des sogenannten EU-Six-Pack) nicht nur Defizite in der Leistungsbilanz sondern auch chronische Exportüberschüsse sanktioniert werden. Der Referenzwert wonach der Überschuss in der Leistungsbilanz maximal 6 Prozent des BIP betragen soll wurde damals auf Deutschland maßgeschneidert und ist ein extrem liberaler Schwellenwert. Selbst diese Latte hat Deutschland nun mit 6,3 Prozent des BIP gerissen.

Die EU-Kommission bzw. Währungskommissar Olli Rehn ficht dies indes nicht an: Erstens, gelte der Referenzwert nur für einen Durchschnitt aus drei Jahren. Zweitens, habe sich der deutsche Überschuss gegenüber anderen Euro-Staaten seit 2007 massiv verringert. Gingen damals noch etwa zwei Drittel der deutschen Ausfuhren in den Euro-Raum, seine es jetzt nur noch ein Drittel. Ergo: Die EU-Kommission – sonst hart gesottene Verfechter des Binnenmarktes – finden es einen Ausweis erfolgreicher Wirtschaftspolitik, wenn der Handel in Europa wegen der Kürzungspakete kollabiert.

Keine Erlösung aus Brüssel

Kai Carstensen, der Konjunkturchef des Münchener Ifo-Instituts ging gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 9. Februar noch weiter: Der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands wird ja derzeit wegen des Zusammenbruchs des Interbankenmarktes (der Kreditvergabe der Banken untereinander) über sogenannte TARGET-Salden – das Zahlungsverkehrssystems der Zentralbanken – finanziert. Vereinfacht: Wenn Spanien eine Maschine aus Deutschland importiert erhält die Bank des Unternehmens einen Kredit der spanischen Zentralbank die sich wiederum bei der deutschen Bundesbank verschuldet.

Carstensen meint die EU könne von Deutschland nicht fordern den „Kredithahn für die Krisenländer offenzuhalten“ und andererseits verurteilen, wenn mit diesen Krediten Güter Made in Germany gekauft werden. Dabei wird nur andersherum ein Schuh draus: Wenn Deutschland sich weiter auf Kosten der Binnenwirtschaft und der Bevölkerungsmehrheit zu Tode exportiert, schwellen auch die TARGET-Salden an. Und hielte Deutschland den Kredithahn nicht offen, hätten wir in Deutschland schon morgen einen wirtschaftlichen Kollaps.

Und was ist die Moral der Geschichte: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland und die Bevölkerung in den Krisenstaaten sollte nicht auf Erlösung aus Brüssel hoffen. Genauso wenig wie Frankreichs Präsident Hollande glauben sollte, seiner Industrie über eine Abwertung des Euros einen „Entlastungsangriff“ vom „realen Währungskrieg“ via Lohndumping mit Deutschland zu verschaffen.

Höhere Löhne – so ist das nun mal in der Marktwirtschaft – müssen in Deutschland erkämpft werden. Daher hat Oskar Lafontaine Recht: Er schrieb unter der Überschrift „Wartet nicht auf bessere Zeiten“ vor einiger Zeit in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Eine abstrakte Demokratie- und Europaliebe läuft immer Gefahr, sich in Unverbindlichkeit zu verlieren, weil man sich den konkreten Problemen vor der eigenen Haustür nicht stellen will. (…) Das demokratische Europa beginnt zu Hause und verlangt zuallererst in Deutschland eine Politik, die den Interessen der Mehrheit entspricht. Gelingt das nicht bei uns, dann wird es erst recht nicht auf europäischer Ebene gelingen.“

* Fabio De Masi ist Volkswirt und Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht im Deutschen Bundestag.

Aus: neues deutschland, Samstag 9. Februar 2013


Zurück zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage