Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das Singuläre im Generellen

Die Bismarcks – mehr als eine Familiensaga aus dem Nachlass von Ernst Engelberg

Von Walter Schmidt *

Unter den auf dem Büchermarkt wieder häufiger auftauchenden, ja in Mode gekommenen Familiengeschichten nimmt Ernst Engelbergs preußische Familiensaga über die Bismarcks einen besonderen Platz ein. Bemerkenswert ist schon deren Entstehungsgeschichte. Seine familiengeschichtlichen Forschungen für die national wie international hochgeschätzte zweibändige Bismarck-Biografie (erschienen 1985 und 1990) hat Engelberg fortgesetzt. Die Resultate, inzwischen im Nachlass in der Berliner Staatsbibliothek, wurden von seinem Sohn Achim Engelberg für den Druck vorbereitet und durch drei Kapitel über die Bismarcks im 20. Jahrhundert erweitert.

Das letzte Werk des im Dezember vergangenen Jahres verstorbenen Ernst Engelberg verfolgt die Geschichte dieses Adelsgeschlechts von deren Ursprüngen, als die Stendaler Tuchhändler mit Burgstall belehnt wurden, über den von brandenburgischen Kurfürsten erzwungenen Gütertausch, der zum neuen Hauptsitz der Bismarcks in Schönhausen führte, über die Auseinandersetzungen der an sich staatstreuen Landadligen, die Geschäft und Politik von Anfang an geschickt zu kombinieren wussten, bis hin zum deutschen Reichsgründer Otto von Bismarck und dessen Nachkommenschaft. Das geschieht in besonderer Weise. Im Vorwort ist das Anliegen benannt, »die Isolierung der Familiengeschichte von ökonomisch-sozialen, politischen und kulturellen Gesamtgeschehen zu vermeiden. Im Singulären der Familie ist zugleich das Generelle der jeweiligen Struktur in Gesellschaft und Staat enthalten.«

Die Familienhistorie hat Ernst Engelberg hineingestellt in das komplizierte Geflecht nicht nur der jeweiligen Politik, sondern auch der ökonomisch-sozialen Voraussetzungen und der jeweiligen kulturellen Strömungen. Dieses Herangehen sprengt den engen Rahmen einer Familienhistorie. Der Leser erfährt nicht nur etwas über die grundlegenden ökonomischen Prozesse, das Zeitalter des Manufaktur- und Handelskapitalismus, die Wandlungen im Agrarsektor vom ausgehenden Mittelalter bis in die Zeit der preußischen Reformen. Er wird zugleich vertraut gemacht mit der deutschen und europäischen Geschichte.

Preußische Geschichte wird in klarer Linienführung und bemerkenswerter Ausgewogenheit geboten. Nichts ist zurückgenommen von liberaler und demokratischer Kritik am Militarismus. Dessen Auswüchse und negativen Wirkungen werden konkret vorgestellt, einschließlich des wirtschaftlich bedingten Beurlaubungssystems und der Befreiung des Gewerbes vom Militärdienst. Ohne Abstriche an der »skrupellosen Wandelbarkeit« preußischer Außenpolitik zu machen, wird doch auch in dieser »halb zwanghaften, halb frevelhaften« Politik auf Staatsräson hingewiesen und die Herausbildung eines gesamtpreußischen Bewusstseins etwa im Gefolge der Schlacht von Fehrbellin von 1675 gewürdigt. Für die Jahrzehnte nach 1848/49 wird die Frage aufgeworfen, »ob und wie das partikularistische Übel, gemessen am Zentralismus westeuropäischer Monarchien, durch das besondere Übel des großpreußischen Partikularismus beseitigt werden könnte«. Ernst Engelberg führt dem Leser zugleich die im »Zeichen der Vernunft« stehende Wissenschaft und Kunst im Preußen des 17. und 18. Jahrhunderts, die Aufklärung wie auch den frühen Pietismus glänzend vor Augen.

Das Kapitel über den Reichsgründer und dessen Nachkommenschaft, das Achim Engelberg aus Vorträgen und Texten des Vaters gleich einem Film montierte, liest sich wie ein Konzentrat der Biografie. Es enthält Politisch-Grundsätzliches, wie die Entstehung des Konzepts der Revolution von oben, und würdigt Otto von Bismarck in seiner Doppelstellung als »Testamentsvollstrecker liberal-demokratischer Aspirationen von 1848« und »Bewahrer der Konterrevolution«. Geboten wird auch Persönlich-Familiäres. Geradezu ein Kabinettstück tiefer lotender politisch-psychologischer Analyse ist die Darstellung der Affaire von Liebe, Leidenschaft und Verzicht zwischen dem Sohn Herbert und der Fürstin Elisabeth von Carolath.

Die drei letzten Kapitel suchen die Rolle der Bismarcks im 20. Jahrhundert aufzuhellen, wobei die allzu kurzen und teilweise recht zeitgeistfixierten allgemeinhistorischen Passagen, namentlich zum Vergleich von DDR und BRD, kaum befriedigen können. Erörtert wird der Bismarck-Mythos, der schon mit des »eisernen Kanzlers« Rücktritt 1890 anhebt und eine reaktionäre politische Funktionalisierung erlebte. Sodann wird der Haltung des Adelsgeschlechts im und zum Faschismus nachgegangen. 34 Bismarcks waren Mitglieder der NSDAP. Einer, Otto II., war aktiv im diplomatischen Dienst; ein anderer, Gottfried, brachte es sogar bis zum SS-Brigadeführer. Lediglich eine Enkelin Otto von Bismarcks, Hanna von Bredow, war entschiedene Hitlergegnerin und setzte sich für die Rettung eines jüdischen Mitbürgers ein. Zahlreiche Bismarcks verloren als Wehrmachtsoffiziere ihr Leben im Zweiten Weltkrieg. Ein Urenkel des Reichsgründers, Heinrich von Einsiedel, engagierte sich im Nationalkomitee »Freies Deutschland« (NKFD) und wurde nach der Neuvereinigung Bundestagsabgeordneter der PDS.

Während der Diplomat Otto II., entnazifiziert seit 1948 in der CDU, politisch wieder aktiv wurde und sie zwei Jahrzehnte im Bundestag vertrat, beteiligte sich der hochdekorierte Regimentskommandeur Klaus von Bismarck aus der Linie des Bruders Otto von Bismarck führend in der EKD, als Intendant des WDR und Präsident des Goethe-Instituts an Gestaltung und Ausbau der bundesdeutschen Demokratie. Er eröffnete 1995 in Hamburg die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht. Der aus Pommern Stammende brach mit der reaktionären Vergangenheit und engagierte sich, von anderen des Geschlechts oft als »Heimatverräter« beschimpft, für Verständigung und Aussöhnung.

Zwar, so meint Achim Engelberg, endete mit dem Tod Philipp von Bismarcks, eines Sprechers der Pommerschen Landmannschaft, am 20. Juli 2006 die preußische Familiensaga der Bismarcks. Doch wende und winde sich der Familienverbund weiter. »Eine Gestalt des öffentlichen Lebens oder einen Politiker von Rang können die Bismarcks heute nicht vorweisen, allerdings sind sie mit diesen Bereichen immer noch verbunden.« Dies trifft allerdings auf Stephanie, die Ehefrau von Karl-Theodor von Guttenberg, eine geborene von Bismarck, nun nicht mehr zu.

Ernst und Achim Engelberg: Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute. Siedler Verlag, München. 382 S., geb., 22,90 €.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2011


Zurück zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage