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Auf verwehter Spur

Die Lebensgeschichte des Bankiers Siegfried Bieber

Von Kurt Pätzold *

Dem Buch hätte die Autorin einen Band vorausschicken und einen weiteren folgen lassen können. Der erste hätte von der Serie von Zufällen zu berichten, die Erika Schwarz auf die Spur ihres »Helden« geführt hat.

Aus der Berliner Humboldt-Universität entlassen, weil zum »Überhang« aus DDR-Zeit gehörend, hat die Autorin nach prekären Beschäftigungen da und dort dann doch ihrer Profession wieder nachgehen können. Zeitweilig tätig an der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravensbrück, war sie mit der Erforschung der Geschichte von dessen Außenlagern befasst. Das führte sie nach Altthymen, einem Straßendorf, das heute in die brandenburgische Stadt Fürstenberg eingemeindet ist, und dort vor ein Gebäude namens Dahmshöhe, das auch Waldschlösschen genannt wird.

Der Bau war ursprünglich Zentrum eines kleinen landwirtschaftlichen Gutes. Hier hatte sich dereinst Heinrich Himmlers SS einquartiert und eine Reitschule zur Ausbildung von Unterführern für ihre kriegerischen Divisionen betrieben. Zur Verrichtung verschiedenster Arbeiten waren aus dem nahen KZ männliche Zwangsarbeiter heranbeordert worden. Auf dem Gelände entstand ein Außenlager, bestehend aus Baracken. Von denen zeugt heute nichts mehr. Über das Terrain war im wahrsten Wortsinn Gras gewachsen.

Auf dieser »verwehten Spur« war Erika Schwarz auf den Vorbesitzer des Anwesens gestoßen und hatte sich ohne Auftrag und Anstellung an ihn geheftet. So ist dieses Buch entstanden, das von Siegfried Biebers Leben erzählt, dem 1873 in einem kleinen Ort bei Danzig in einer deutsch-jüdischen Familie geborenen Manne, der 1960 in New York verstarb. Es erzählt zunächst die Geschichte einer Karriere, die aus dem in kleinbürgerlichen Verhältnissen Geborenen einen Bankier machte. Diese begann mit den Jahren seiner Ausbildung und des Sammelns finanzökonomischer Erfahrungen, die ihn nach New York, London und in das deutsch-besetzte Brüssel führten. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er in die Berliner Handels-Gesellschaft ein, in der er rasch bis in den Vorstand aufstieg. Die bis dahin nicht eben ungewöhnliche Lebensgeschichte erfuhr einen Bruch, als im Zeichen des Hakenkreuzes die »Entjudung« auch des Bankwesens in Deutschland begann. Bieber war ein Mann, der Gefahren wahrzunehmen vermochte. 1934 schon ging er in die Niederlande, von da in die Schweiz. Er erwarb für sich und seine Frau die Staatsbürgersachft Liechtensteins, weil ihnen die Schweiz eine solche verweigerte. Doch dann flohen die Biebers Europa. In der Nachbarschaft Nazideutschlands drohte ihnen der Boden zu heiß zu werden. Ecuador wurde ihnen Einfallspforte in die Vereinigten Staaten. Dort langten sie 1941 an.

Die Nachzeichnung dieses Fluchtweg ergab eine bewegte und bewegende Geschichte. Hat das Ehepaar materielle Not auch nie kennengelernt, so wurde es, je länger die faschistische Herrschaft dauerte und sich ausdehnte, umso mehr von den Sorgen um die Großfamilie begleitet. Solange das möglich war, leisteten die Entkommenen ihren Angehörigen finanzielle Hilfe, die für kurze Zeit selbst die Orte ihrer Deportation, das Ghetto von Warschau und die Dörfer um Lublin erreichte.

Und der erwähnte ungeschriebene dritte Band? In ihm hätte die Autorin die Geschichte ihrer abenteuerlichen Nachforschungen erzählen können. Denn der Mann selbst hat über sich und sein Leben kein weiteres Stück Papier hinterlassen als jene Dokumente, mit denen er bürokratische Hürden zu nehmen wusste: die seiner Ausreise aus Deutschland und der Einreisen in die Staaten sowie seiner – vergeblichen – Versuche, einen Teil seines in Deutschland verbliebenen Eigentums vor den staatlichen Räubern zu retten. Andere Dokumente zeugen von seinem Bemühen, nach 1945 Ansprüche auf Entschädigungen geltend zu machen.

Durch Recherchen in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Liechtenstein, Polen, der Slowakei, Großbritannien und den USA, durch Verbindungen zu aufgespürten überlebenden Verwandten und deren Nachkommen, durch Reisen an die Lebensorte des Ehepaars in der Schweiz und der Slowakei ließen sich das Faktenmaterial für diese Biografie »zusammentrommeln« sowie Reproduktionen einschlägiger Papiere durch Kauf erwerben. Dass am Ende das Manuskript zum Buch gedieh, und dies in einer außerordentlich gepflegten, an alte Zeiten erinnernden Ausgabe, ist der finanziellen Spende einer Liechtensteiner Stiftung zu danken.

Die Berliner Handels-Gesellschaft, der Bieber einst zu Aufstieg und Profit verhalf, war über Zwischenstufen in andere Banken eingegangen. Die Nachfolger zeigten sich gegen alle Ersuchen der Autorin, das Unternehmen zu fördern, zugeknöpft. Die deutsche institutionelle »Vergangenheitsbewältigung« ist erst bis zum Auswärtigen Amt gelangt und hat gerade die Vorgeschichte des Bundesnachrichtendienstes ins Visier genommen. Die Banken und deren Rolle in Nazideutschland sollten nicht vergessen werden.

Erika Schwarz: »... zu Lasten meines Conto's«. Siegfried Bieber. Jude – Bankier – Gutsbesitzer – Emigrant. Hentrich & Hentrich, Berlin. 176 S., geb., 29,90 €.

* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2011


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