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Ein sanfter Hauch

Wie Joseph Fischer zu seinem Verdienst um die wahre Geschichte des Auswärtigen Amtes kam

Von Kurt Pätzold *

Auch wenn er seit längerem kein Außenminister mehr ist, so läßt sich Joseph Fischer doch immer wieder als solcher feiern. Gegenwärtig werden Fischers Verdienste für das Erscheinen der Studie »Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik« der Autoren Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hyes und Moshe Zimmermann bejubelt. Unter diesem Titel ist ein 800-Seiten-Wälzer soeben auf den Markt gelangt (vergleiche jW vom Samstag).

Dessen Vorgeschichte wird auf die Außenministerschaft des Joseph Fischer zurückgeführt, der im Jahre 2005 eine Historikergruppe beauftragte, die Geschichte des Auswärtigen Amtes in den Nazijahren zu erforschen. Fischer wird das Verdienst zugeschrieben, einem sechs Jahrzehnte währenden Verschweigen, Vertuschen und Beschönigen ein Ende gesetzt zu haben. Daß eine solche Einnebelung überhaupt möglich gewesen sei, findet Fischers auch nicht mehr im Amt befindlicher Nachfolger Frank Walter Steinmeier »unglaublich«. Kritisch blickt er dabei selbst auf die nahezu dreijährige Tätigkeit seines Parteigenossen Willy Brandt zurück, der an diesem Platze in den Jahren von 1966 bis 1969 nichts unternahm, dem Skandal ein Ende zu setzen. Es mußten also noch nahezu vier weitere Jahrzehnte vergehen bis Fischer kam – so das jetzt geschaffene Reklamebild – und 2005 so etwas wie ein sanfter, aber doch reinigender Späthauch eines geläuterten Achtundsechzigers in das Gebäude am Werderschen Markt in Berlin wehte.

Allerdings führt die Vorgeschichte des Buches noch etwas weiter zurück und zwar in die Unterschicht der Diplomatie. Im Jahre 2003 war der frühere Generalkonsul Franz Nüßlein verstorben. Der hatte in den sechziger Jahren seinen Platz in Barcelona gefunden. Vordem war der seine Tätigkeit nach der Okkupation der Tschechoslowakei 1938 die eines Staatsanwaltes in Brno/Brünn gewesen. Er machte sich so verdienstvoll, daß er zum Oberstaatsanwalt befördert wurde. Dann, von den Amerikanern an die befreite CSR ausgeliefert, traf ihn die Bestrafung: 20 Jahre Zuchthaus. Die verbüßte er nicht. Er wurde als »nicht amnestiert« der Bundesrepublik übergeben. In ihr fand er zunächst im Innendienst des Amtes und dann eben in Spanien Wiederverwendung. Nun war er in der hauseigenen Postille des Amtes »internAA« mit einem ehrenden Nachruf bedacht worden.

Darob erboste sich die frühere Dolmetscherin Marga Henseler. Zunächst machte sie ihrem Ärger in einem persönlichen Brief an den Außenminister Joseph Fischer Luft. Der versichert, was vielleicht von politischer Haltung, sicher aber von einer nicht eben guten Erziehung seiner engsten Mitarbeiter zeugte, den nie zu Gesicht bekommen zu haben. Der Frau wurde in einem Schreiben geantwortet, dessen Inhalt sie als »Blabla« bezeichnet. Damit gab sie sich nicht zufrieden. Jetzt richtete sie einen Brief an Bundeskanzler Schröder, in dem sie das Vorkommnis ebenso kritisierte wie sich darüber enttäuscht zeigte, daß es sich unter diesem Außenminister zutragen konnte.

Dieses zweite Schreiben nun landete auf dem Schreibtisch Fischers, der außer Verdacht stand, in die heiligen Hallen des Amtes in Sachen Vergangenheit und Geschichte als ein wild entschlossener Saubermann eingedrungen zu sein. Denn er saß da im siebenten Jahr, ohne in dieser Hinsicht eine Initiative ergriffen zu haben, und auf einem Stuhl, der aus hier nicht weiter zu erörternden Gründen nicht mehr vierbeinig war. Das half beim Nachdenken. Anders als Brandt nahezu vierzig Jahre zuvor riskierte er im Hause keinen Aufstand, wenn er dieser Heldenverehrung ein Ende machte. Denn der Personalbestand, bildeten ihn auch nicht eben Antifaschisten, hatte sich mit den biologischen Prozessen doch gewandelt. Also untersagte er für die Zukunft, in »intern AA« Nachrufe vom Typ Nüßlein für Leute mit erkennbaren »braunen Flecken« zu veröffentlichen.

Das geschah keineswegs in der Absicht, einen Impuls des Nachdenkens oder gar der Auseinandersetzung um die Vergangenheit des Amtes zu geben. Im Gegenteil. Fischer ging es nach jüngster Äußerung gerade darum, sie in der Öffentlichkeit zu verhindern und so Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden. Er entschied sich für die unauffälligste Form, einen denkbaren Konflikt unter den Teppich zu kehren. Die Sache hätte womöglich ihr Bewenden gehabt, wäre da nicht, wie Fischer sagt, »ein dummer Zufall« dazwischen gekommen. Bald darauf starb 2004 Franz Krapf, über dessen Mitgliedschaft in der SA und SS, seine Beförderung zum Untersturmführer und ehrenamtliche Tätigkeit im Sicherheitsdienst das 1965 in der DDR herausgegebene legendäre »Braunbuch« knapp informierte. Seine diplomatische Karriere im Zeichen des Hakenkreuzes hatte ihn in die Vertretungen in Ägypten, der Sowjetunion und nach Tokio geführt. Dort, in Japans Hauptstadt, traf der Mann später als Botschafter der Bundesrepublik wieder ein. Zuvor war er von einer »Entnazifizierungskommission« in München als Entlasteter eingestuft worden und 1951 in das Amt erneut eingetreten. Dessen verordnete Nichtachtung in der Hauszeitung erfolgte aufgrund der Regelung des Ministers, was Krapfs nicht durchweg nur »alten Kameraden« jedoch nicht hinnehmen wollten. Mehr als hundert von ihnen, darunter ehemalige Staatsekretäre, Botschafter, Gesandte, bestellten eine großformatige Anzeige bei der Frankfurter Allgemeinen, die sie auch druckte. Die Annonce war nicht weniger als eine öffentliche Herausforderung des Ministers. Eine interne und noch schärfere, jedoch alsbald publik werdende Anzeige verbreitete der Botschafter der Bundesrepublik in der Schweiz, Frank Elbe. Darauf folgte seine Versetzung in den Ruhestand.

Auch mit Briefen und in Artikeln wurde Fischer unter Druck gesetzt. Den suchte er nach Gesprächen mit dem Personalrat dadurch zu mildern, daß er am 17. März 2005 bekanntgeben ließ, es würden in »internAA« generell nur noch Todesnachrichten gedruckt werden. Die einstigen Nazis konnten nun nicht mehr benachteiligt erscheinen, denn jetzt war Gleichbehandlung verordnet. Das reichte den Einstigen nicht. Paul Verbeck, der in mehreren diplomatischen Diensten der Bundesrepublik gewesen war, suchte an seinem Beispiel die gepflegte Legende zu stützen, wonach die Diplomaten nur scheinbar mitgemacht hätten, in Wahrheit aber, wenn nicht Widerstandskämpfer, so doch eine verschworene Elite von Widersachern des Regimes gewesen wären. Er habe als Soldat, schrieb er an Fischer, Konzentrationslager bewacht, aber deren Insassen Brot gegeben. Sein publizierter Brief gipfelte in der These, es mangele dem Minister an Geschichtskenntnissen, und er sei ideologisch verblendet.

Längst ging es nicht mehr nur um die Vergangenheit und den Umgang mit ihr und ihren tief gebräunten Zeitgenossen. Die Opposition blies zum Angriff auf die Schröder-Fischer-Regierung, die am 1. Juli im Bundestag die Vertrauensfrage mit dem Ziel Neuwahlen zu erreichen, womit sie ihr Abtreten einleitete. Am 22. November 2005 räumte sie dann das Feld. So wurde, worüber er sich schwerlich unklar sein konnte, die Berufung der Historiker-Kommission in Sachen »Das Amt« eine der letzten Entscheidungen des Ministers Fischer. Für sie holte er sich das Ja im Amt und das des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ein, in dem die Fraktionen von SPD und Grünen für das Projekt stimmten. Daran wird hier auch erinnert, weil der über das Erscheinen des Berichts sich mindestens zufrieden zeigende Außenminister Guido Westerwelle, hinreichend Grund hätte, über die abstinente Rolle der von ihm geführten Partei ein paar Worte zu verlieren. Und dies umso mehr, als auch der geschaßte Botschafter in der Schweiz Frank Elbe sein Parteifreund war.

Doch zurück zu Marga Henseler, die 1960 Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes in Bonn geworden war und der, das dürfte für das dort beschäftigte Personal untypisch gewesen sein, »Anfang 1964 dieses Dokument aus der DDR in die Hände gekommen war«, das Franz Nüßlein betraf, den sie obendrein über einen familiären Zufall vordem schon wahrgenommen hatte. Was sie dann 2003 in Aktion gesetzt hätte, sei in dessen Würdigung die irreführende Erwähnung seiner angeblichen »Internierung« bei Kriegsende gewesen und das Verschweigen seiner Verurteilung als Naziverbrecher. So kam es zu ihrem Brief und zu ihrem Verdienst, das die alte Dame umso vieles geringer einschätzt als das Joseph Fischers und das der Historiker. Sie habe nur einen Anstoß gegeben, mit dessen Wirkungen sie sich zufrieden zeigt. Nur: Ohne Anstöße bewegt sich in der Geschichte nichts.

* Aus: junge Welt, 1. November 2010

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