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35 Jahre für Femizid

Costa Rica ratifiziert wegweisendes Gesetz

Von Torge Löding, San José *

Ana Carcedo lässt sich schwungvoll auf das Sofa in ihrem Büro fallen. Sie erzählt freudig davon, wie zu ihrer Überraschung das Gesetz zu Gewalt gegen Frauen im costaricanischen Parlament in zweiter Lesung ratifiziert wurde. Die Befürworter brachen im Zuschauerraum in Jubel aus. Die aus Spanien stammende Wahl-Costaricanerin ist Vorsitzende des unabhängigen Feministischen Informations- und Aktionszentrums Cefemina und hat zehn Jahre dafür gestritten.

»Wir bekommen Glückwünsche aus der ganzen Welt von Leuten die sagen, der Moment sei historisch für ganz Lateinamerika«, sagt Carcedo. In Mexiko gibt es zwar ein Gesetz gegen frauenfeindliche Gewalt, aber nur ein Rahmengesetz, das den Gerichten der Bundesstaaten Spielregeln vorgibt. Frauen haben kein konkretes Werkzeug, ihre Interessen zu verteidigen.

Häusliche Gewalt steht in Costa Rica bereits seit zehn Jahren unter Strafe, ähnlich wie in Kuba. Nach Aussagen der Feministinnen stellt das Gesetz in Costa Rica nun psychische und eigentumsbezogene Delikte unter Strafe. Die Forderungen der Frauenbewegung gehen jedoch noch über das verabschiedete Dokument hinaus. Gewalt gegen Frauen sollte auch strafbar sein, wenn der Täter keine Beziehung mit dem Opfer unterhält. Nun gilt dies nur innerhalb einer Lebensgemeinschaft. »Auch in Spanien gibt es diese Begrenzung. Aber dennoch ist das Gesetz sehr, sehr nützlich«, sagt Carcedo.

Für die Feministin ist es eine klare Errungenschaft der Frauenbewegung, dass in Costa Rica auf Femizid (Frauenmord) nun bis zu 35 Jahre Haft stehen. In den vergangenen Jahren sind laut Frauenministerium INAMU 194 Frauen von ihren Partnern ermordet worden, ohne rechtliche Konsequenzen. Auf sexuelle Gewalt stehen nun bis zu 18 Jahre Haft, ebenso bestraft wird emotionale oder verbale Gewalt. Wer etwa seine Partnerin wiederholt öffentlich oder privat verhöhnt muss zwei Jahre hinter Gitter. »Besonders wichtig ist, dass auch dritte Personen Anzeige erstatten können«, erklärt Carcedo.

Durch ihre intensive Arbeit haben die Frauenorganisationen es ihrer Meinung nach geschafft, in einem machistischen Land den politischen Boden für eine progressive Frauenpolitik zu bereiten. Familienministerin Jeanette Carrillo widerspricht da nicht. Gegenüber ND kommentiert sie das Gesetz als »Markstein in der Geschichte Costa Ricas im Kampf für die Menschenrechte der Frauen«, und sagt: »Ich denke, dass wir damit wieder zur internationalen Avantgarde zählen bei der Durchsetzung der Menschenrechte für Frauen in Lateinamerika und jenseits davon.«

»Die meisten Medien haben das Gesetz verteufelt. Aber die Machos müssen sich der Realität stellen«, sagt Carcedo. Die Ministerin will nun Schulungen für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes anbieten.

* Aus: Neues Deutschland, 21. April 2007

Frauen feiern neues Gesetz

Costa Rica: Erstmals in Lateinamerika werden Haftstrafen für frauenfeindliche Gewalt festgelegt

Von Torge Löding (Voces Nuestras, San José) **

Der costaricanische Staat bezahlt seine Schulden bei den Frauen«, erklärte die Familienministerin Jeanette Carrillo im Gespräch mit jW. Frauenbewegung und Frauenpolitiker erleben einen einmaligen Moment in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes: Überraschend ratifizierte das Parlament in der vergangenen Woche in zweiter Lesung das Gesetz gegen frauenfeindliche Gewalt, gut einen Monat nachdem der rechtssozialdemokratische Präsident Oscar Arias Sánchez (Partido Liberación Nacional) am 8. März, dem Internationalen Frauentag, erstmals die Geschlechtergerechtigkeit zum Staatsziel erhoben hat.

Mehr als zehn Jahre kämpften Frauenorganisationen in Costa Rica für die Durchsetzung eines Gesetzes gegen frauenfeindliche Gewalt, fast acht Jahre dauerte der parlamentarische Prozeß. Erbitterte Gegner fanden die Befürworter in der Fraktion des rechtsliberalen Movimiento Libertario (ML), deren Mitglieder mehrfach vor dem Verfassungsgericht klagten, weil sie Männer benachteiligt sehen.

»Costaricanerinnen und Ausländerinnen, die in unserem Land leben, können nun endlich auf ein Instrument zählen, das ihnen zu Gerechtigkeit verhilft. Das Gesetz definiert Strafen für die verschiedenen Arten der Gewalt unter der Frauen hierzulande und überall auf der Welt leiden: Psychologische, sexuelle, physische und väterliche«, erklärte Carrillo. Die Höchststrafe für Femizid beträgt 35 Jahre, wer seine Partnerin wiederholt öffentlich oder privat verhöhnt muß mit zwei Jahren Gefängnis rechnen. Anwendung findet das Gesetz innerhalb von Beziehungen, diese muß indes nicht explizit erklärt sein. Auch dritte Personen können Anzeige erstatten.

Organisationen wie das Femistische Netzwerk gegen frauenfeindliche Gewalt hatten sich dafür eingesetzt, das Gesetz auf jeden Akt frauenfeindlicher Gewalt auch außerhalb von Partnerschaften auszuweiten. Dieses Ziel stellten sie erst einmal zurück, weil es vor dem Verfassungsgericht nicht durchsetzbar war. »Wir haben trotzdem einen großen Durchbruch erzielt, als einziges Land Lateinamerikas geben wir den Frauen ein Gesetz mit definierten Strafen als Werkzeug zur Verteidigung ihrer Würde an die Hand«, sagt Ana Carcedo, Koordinatorin des Netzwerkes.

Durch das Gesetz erhoffen sich die Befürworter nun einen gesellschaftlichen Wandel. »Es hat bereits eine gesellschaftliche Diskussion darüber begonnen, daß es nicht normal ist, eine Frau zu beleidigen. Daß Beschimpfungen ihre Würde verletzen. Obwohl das Gesetz nur ein Strafgesetz ist, also Aspekte des kulturellen Wandels nicht beinhaltet, sehe ich es als Instrument für gesellschaftlichen Wandel«, sagt Familienministerin Jeanette Carrillo.

** Aus: junge Welt, 23. April 2007




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