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Das Ende der Symbiose

Die Allianz zwischen Chinas exportorientierter Billiglohnwirtschaft und dem kreditfinanzierten Massenkonsum in den USA ist ein Auslaufmodell

Von Wolfgang Pomrehn *

Die US-Regierung ist im Streit um den chinesischen Wechselkurs in der Zwickmühle. Wie berichtet ist der in der letzten Woche mal wieder richtig hochgekocht, was nicht verwunderlich ist. In den USA herrscht nämlich Wahlkampf: Im November sollen Repräsentantenhaus, ein Drittel des Senats und in einigen Bundesstaaten auch noch die Gouverneure neu gewählt werden. Populistische Reden und Stimmungsmache gegen einen (eingebildeten) äußeren Feind haben Hochkonjunktur.

Die Regierung von US-Präsident Barack Obama bringt das in eine mißliche Lage. Zum einen weiß sie nämlich sehr genau, daß die billigen Importe aus der Volksrepublik der US-Wirtschaft im letzten Jahrzehnt viel Nutzen brachten. Immerhin haben sie die Inflation gedrückt und die Mittelschicht in Kauflaune gehalten. Deren kreditfinanzierter Konsum war für viele Jahre die Haupttriebfeder eines Wirtschaftswachstums, das über dem der meisten westeuropäischen Länder lag. Möglich wurde das unter anderem durch sehr niedrige Zinsen, die wiederum die Folge der großen Nachfrage Chinas und anderer asiatischer Länder nach US-Staatsanleihen waren.

Zum anderen sitzen der Obama-Regierung aber nicht nur rechte Republikaner mit Forderungen nach Handelssanktionen und Strafzöllen gegen China im Nacken, sondern auch ein erheblicher Teil der eigenen Partei und vor allem der Gewerkschaften. Der Dachverband AFL-CIO veröffentlichte vergangene Woche eine Stellungnahme, in dem er der chinesischen Regierung »Manipulationen« des Wechselkurses vorwarf. Durch billige chinesische Importe seien in den letzten Jahren in den USA »Millionen Industriearbeitsplätze« verlorengegangen.

Währungsdilemma

Die Kritik der Gewerkschaften ist nicht neu, sondern seit Jahren zu einer wiederkehrenden Erzählung im innenpolitischen Diskurs der USA geworden. Wann immer irgendwo eine Fabrik dichtgemacht wird, sind Politiker und Gewerkschafter schnell mit dem chinesischen Sündenbock zur Hand. Manipulation ist dabei das Zauberwort. Schon vor längerem hatte nämlich das Lager der China-Kritiker ein Gesetz durchgebracht, das einen Automatismus vorsieht. Das Finanzministerium muß regelmäßige Berichte über die chinesische Währungspolitik vorlegen. Sollte es dabei feststellen, daß Peking seine Währung manipuliert, dann wäre die US-Regierung gesetzlich zu Strafmaßnahmen verpflichtet.

Das Dumme ist nur, daß die US-Regierung genausogut wie jene chinesischen Ökonomen, die letzte Woche mit Verkauf von chinesischen Dollarbeständen drohten, weiß, daß die beiden Supermächte ohneeinander nicht können. Die Chinesen würden mit dem Abstoßen von US-Staatsanleihen genau das bewirken, was so viele US-Politiker von ihnen verlangen, nämlich die Aufwertung ihrer Währung und die Schwächung des US-Dollars. Die USA könnten dann vielleicht mehr exportieren, aber sie hätten das Problem, daß sie für ihre Staatsschulden höhere Zinsen anbieten müßten, um andere Abnehmer für die Anleihen zu finden. Das würde jedoch das bisher extrem niedrige Zinsniveau auch für die Verbraucher und US-Betriebe in die Höhe treiben, was angesichts der allgemeinen Verschuldung der Privathaushalte katastrophale Folgen hätte.

Die Frage ist nun, wie lange diese wechselseitige Abhängigkeit noch trägt, die ja immerhin auch dazu führt, daß die Beziehungen der beiden Länder zwar nicht gerade herzlich, aber doch durchaus kooperativ sind. Gemessen daran, daß es unter Militärs und rechten Strategen in den USA immer wieder Stimmen gibt, die eine militärische Umkreisung Chinas, ein sogenanntes Containment, fordern, ist das schon eine ganze Menge.

Arbeiter wollen Anteil

Dreh- und Angelpunkt des Arrangements ist die Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft von der Exportindustrie, doch gerade an dieser Stelle bewegt sich einiges. Chinas Gerichte werden derzeit mit Klagen von Arbeitern über Arbeitsbedingungen, Vertragsbrüche und nicht gezahlte Löhne überflutet. Seit dem Frühjahr rollt eine Welle spontaner Streiks über das Land hinweg. Dieses neue Selbstbewußtsein der Arbeiterklasse, gestützt auch durch die anhaltende Knappheit an Arbeitskräften vor allem im Billiglohnsektor, Verbesserungen im Arbeitsrecht und eine Wirtschaftspolitik, die auf Stärkung der Binnennachfrage setzt, führt zu einem raschen Anstieg der Löhne und Gehälter. Von einem jährlichen Wachstum zwischen zehn und zwanzig Prozent sei für die nächsten Jahre auszugehen, schrieb kürzlich ein Analyst. Potentielle Käufer chinesischer Aktien werden davor gewarnt, daß künftig nicht mehr mit 30prozentigen Renditen gerechnet werden kann.

Für die Lohnabhängigen rund um den Globus wären das gute Nachrichten. Wenn nämlich die chinesischen Arbeiter etwa zu denen Südkoreas oder Taiwans aufschließen, würde weltweit der starke Druck auf die Löhne abnehmen. Die sino-amerikanische Symbiose würde sich hingegen auflösen. Allerdings würde China gleichzeitig schon aus eigenem Interesse seine Währung weiter und vielleicht auch schneller aufwerten lassen, um seine Importe zu verbilligen. Andere Schwellenländer würden durch die starke chinesische Nachfrage mit nach oben gezogen. Die Frage ist nur, wer dann noch US-Staatsanleihen kauft.

* Aus: junge Welt, 20. September 2010


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