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China wünscht Kooperation auf Augenhöhe

Regierungschef Li Keqiang schließt seine erste Auslandsreise mit einem Besuch in Berlin ab

Von Werner Birnstiel, Peking *

Indien, Pakistan, die Schweiz und Deutschland sind die Stationen der ersten Auslandsreise des chinesischen Regierungschefs Li Keqiang. Li, der sein Amt erst im März angetreten hat, wird am Sonntag und Montag in Berlin vor allem über die bilateralen Beziehungen sprechen und die Pläne der »fünften Führungsgeneration« Chinas erläutern.

Wer sich unmittelbar vor dem Berlin-Besuch Li Keqiangs bei offiziellen Stellen in Peking erkundigte, dem wurde versichert: Der Ministerpräsident wird keinen Zweifel daran lassen, dass China ein starkes, zusammenwachsendes Europa sehen möchte und keinesfalls an einem Zerfall der Europäischen Union interessiert ist. Die seit 2009 in der EU grassierende Staatsschuldenkrise hatte in Peking die Sorge aufkommen lassen, dass die Union auseinanderbrechen und Europa in nationalstaatliches Klein-klein zurückfallen könnte. Stattdessen, heißt es hier, müsse die EU ihre Stärken zur Geltung bringen. Als solche gelten in Peking vor allem der kulturell-historische Hintergrund der Mitgliedstaaten, die wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit wie auch die technische und technologische Innovationskraft. Als Schwächen werden dagegen der komplizierte, langwierige »Demokratisierungsprozess« und die ausufernde Bürokratie bei anhaltender Zersplitterung der Staaten gesehen. Vermisst werden aber auch starke europäische Politikerpersönlichkeiten, die in der Lage wären, die Integration spürbar und zügig voranzutreiben. Gar nichts hielte man von einer Aufgabe des Euros zugunsten überwiegend schwacher nationaler Währungen. Das würde die EU nach chinesischer Ansicht existenziell gefährden und Europa im globalen Wettbewerb sowohl politisch als auch ökonomisch und sozial schwächen.

China ist an einem »starken Europa« interessiert, weil das dem eigenen Kurs nützt, den Staats- und Parteichef Xi Jinping als fortgesetzte Verwirklichung des »chinesischen Traums« beschreibt. Angestrebt ist die Ausprägung einer »sozialistischen Marktwirtschaft«, in der staatliche Leitung und Marktmechanismen effektiver ineinandergreifen sollen. Die Kernfrage sei, dass die »Macht des Marktes« nicht über die sozialen Bereiche und die Entwicklung der sozialen Infrastruktur herrschen darf. Die KP Chinas und die Regierung wollen die makroökonomische Steuerung ausbauen und verfeinern, dabei aber die direkte Einmischung des Staates verringern. Es gehe also um ein politisch gesteuertes neues Verhältnis von Markt und Staat.

Auf diesem Wege seien kontinuierlich vertiefte Beziehungen zu Deutschland hilfreich, versichert man in Peking. Die 2004 verkündete »strategische Partnerschaft« zwischen beiden Staaten wurde 2010 durch die Vereinbarung jährlicher Regierungskonsultationen aufgewertet. 2012 war China der drittwichtigste Handelspartner Deutschlands mit einem Austauschvolumen von 144 Milliarden Euro, für 2015 gilt eine Steigerung auf über 200 Milliarden Euro als realistisch. Li Keqiang wird aber auch auf die Ausweitung der Zusammenarbeit zum Thema »Urbanisierung« drängen. Erstmals in Chinas Geschichte leben seit 2012 mehr Bewohner in den Städten (700 Millionen) als auf dem Lande (660 Millionen). Die Annäherung der Lebensumstände in Stadt und Land gehört zu den wichtigsten Zielen der neuen Führung in Peking. Deutschland gilt dabei in mancherlei Hinsicht als beachtenswertes Beispiel.

Vor allem trifft das auf die Wirtschaftsstruktur zu: Klein- und mittelständische Unternehmen, die möglichst viele Arbeitsplätze - auch staatlich subventionierte - schaffen und hochwertige Produkte insbesondere für den Binnenmarkt erzeugen, sollen chinesischen Familien auf dem Lande stabile Einkünfte ermöglichen und den Ausbau der sozialen Infrastruktur fördern. Zugleich soll die Berufsbildung durch Einführung des dualen Ausbildungssystems wie in Deutschland qualitativ verbessert werden. Im Zusammenhang damit wird die Ausweitung der Kooperation in allen Bereichen des Umweltschutzes und des ressourcenschonenden Wirtschaftens gewiss eine überragende Rolle spielen.

Derzeit zeigt Peking aber auch Zähne. Chinas Handelsministerium warnte die EU vor ernsthaftem Schaden für die Handelsbeziehungen, falls - wie von der EU-Kommission verlangt - Strafzölle von 47 Prozent gegen chinesische Hersteller von Solarmodulen erhoben werden, weil die ihre Produkte zu billig anbieten. Mit Genugtuung zitiert die Nachrichtenagentur Xinhua deshalb deutsche Stimmen, die sich gegen solche Strafmaßnahmen wenden. Ironie der Geschichte: Fast 70 Prozent der Technik für die Produktion chinesischer Solarmodule kommen aus Deutschland.

Li Keqiang wird bei seinen Gesprächen in Deutschland darüber hinaus auf die wachsende Bedeutung des im Jahr 2000 begonnenen »Rechtsstaatsdialogs« hinweisen, obgleich die Wirksamkeit dieses Teils der Partnerschaft in Deutschland wiederholt in Frage gestellt wurde.

Das Spektrum der Gesprächsthemen ist mit dieser Aufzählung gewiss nicht erschöpft, in deren außenpolitischem Teil dürften Syrien und Nordkorea im Mittelpunkt stehen. Die erste Begegnung der bundesdeutschen Politik mit einem Repräsentanten der »fünften Führungsgeneration« könnte die Weichen für eine vertiefte Zusammenarbeit in den kommenden zehn Jahren stellen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 25. 2013


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