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Säbelrasseln in Asien

Japan warnt China im Inselstreit vor Eskalation. Auch in den USA verschärft sich der Ton gegenüber der Volksrepublik. Washington wirft Peking Cyberkriegführung vor

Von Rainer Rupp *

Japan hat China im Territorialstreit um eine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer vor einer Eskalation gewarnt. Ministerpräsident Shinzo Abe rief die Regierung in Peking am Donnerstag dazu auf, in Zukunft »gefährliche Handlungen« zu unterlassen. Im Konflikt um die Senkaku-Inseln stelle sich die Besitzfrage gar nicht, da diese »offensichtlich zu Japan gehören«, so Abe. Allerdings erhebt auch China Anspruch auf die Inseln, die dort Diaoyu heißen.

Schon bei seinem US-Besuch am vergangenen Wochenende hatte Abe gewarnt, allmählich »seine Geduld zu verlieren«. Im Interview mit der Washing­ton Post erklärte Premier Abe, das verstärkte militärische Auftreten Chinas rund um die Inselgruppe habe zu einer Erhöhung der japanischen Rüstungsausgaben geführt. Die Volksrepublik müsse sich der wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen ihres Handelns bewußt werden. Wenn Peking nicht aufhöre, seine Nachbarn entlang der Küsten des Ost- und Südchinesischen Meeres »einzuschüchtern und zu nötigen«, gefährde Peking u.a. Investitionen aus Japan und westlichen Ländern.

Zugleich unterstrich Abe die zentrale Bedeutung des japanisch-amerikanischen Bündnisses für die Sicherheit in Asien, wodurch er den Anschein erwecken wollte, daß er bei seinem hochgefährlichen Spiel mit China volle Rückendeckung aus Washington bekommt. Auf den ersten Blick scheint das auch der Fall zu sein, denn Abes Drohungen wurden durch scharfe Warnungen Washingtons an die Adresse Pekings ergänzt, sich nicht länger die chinesische Cyberspionage gefallenzulassen. In der Tat zeigt sich die US-Führung derzeit zutiefst verärgert, weil die Chinesen anscheinend eigene Fähigkeiten zur Kriegsführung via Internet entwickelt haben, etwas, was das Pentagon und verschiedene US-Geheimdienste längst perfektioniert haben. Mit dem zerstörerischen Internetwurm »Stuxnet« war vor zwei Jahren Iran attackiert worden.

Beim sogenannten Cyberkrieg geht es um Sabotage, Lahmlegung und Zerstörung der elektronischen Steuerung komplexer ziviler Infrastrukturnetzwerke und militärischer Kapazitäten des Gegners über das Internet. Konkret wirft Washington China vor, seine Fähigkeiten in diesem Bereich durch wiederholtes Eindringen in elektronische Steuersysteme von zivilen und militärischen US-Behörden zu erproben. Ohne sie beim Namen zu nennen hatte Obama in seiner Rede zur Lage der Nation am 12. Februar die Volksrepublik sogar zum Feind erklärt: »Wir wissen, daß fremde Länder und Organisationen sich der Geheimnisse unserer Unternehmen bemächtigen wollen. Nun versuchen unsere Feinde auch noch, die Fähigkeit zu erwerben, unsere Stromnetze, unsere Finanzinstitute und unser Flugsicherung zu sabotieren.«

Beweise für die Anschuldigungen hat Washington nicht vorgelegt. Allerdings hat die private Internetsicherheitsfirma Mandiant – offensichtlich in einer koordinierten Aktion – im Februar einen Bericht vorgestellt, der die chinesische Volksbefreiungsarmee direkt für die virtuellen Probeangriffe gegen die USA verantwortlich macht (siehe jW vom 20. Februar). Aber auch der beinhaltete nur Indizien und keine stichhaltigen Beweise. Die chinesische Regierung weist derweil die Beschuldigungen als völlig aus der Luft gegriffen zurück.

Die New York Times wertet Obamas Attacke gegen China als Eröffnungszug in einem »neuen Kalten Krieg«. Der private US-Nachrichtendienst Stratfor konstatiert in einer aktuellen Analyse, daß »China mit seinen Aktionen an der Grenze des Erträglichen angekommen ist«. Die Botschaft sei »klar und deutlich: Entweder ändert China sein Verhalten, oder es wird mit den Konsequenzen der USA und Japans konfrontiert werden.«

Stratfor versucht offensichtlich zu suggerieren, daß Tokio und Washington in bezug auf China an einem Strang ziehen. Dem ist jedoch nur teilweise so, denn der militaristische Nationalist und Revisionist Abe an der Spitze der zweitgrößten asiatischen Wirtschaftsmacht ist auch vielen im Weißen Haus suspekt. Zumal er mit seinem Säbelrasseln gegen Peking eine andere Agenda für Japans Rolle in Asien verfolgt als Washington lieb ist (siehe unten). Auch wird Abe mit seinen Drohungen mit wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen gegen China kaum mit der »uneingeschränkten Solidarität« Washingtons rechnen können. Die USA hätten dabei schließlich viel zu verlieren. Ein Handelsboykott ist ein zweischneidiges Schwert, das schon jetzt Japan viel stärker trifft als China. Im vergangenen Jahr hatte der sino-japanische Handel auf Grund der Spannungen, die durch die Übernahme der chinesischen Diaoju-Inseln aus Privatbesitz durch den japanischen Staat entstanden sind, erheblich gelitten. So sind 2012 die japanischen Importe aus China um 6,5 Prozent gestiegen, während die Chinesen zehn Prozent weniger in Japan gekauft haben, dessen Wirtschaft schon seit zwei Jahrzehnten stagniert und inzwischen sogar ein zunehmendes Handelsbilanzdefizit aufweist.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. März 2013


Kein Krieg, aber Eindämmung

Militärische Drohkulisse und Politsabotage: Obama will China in die Schranken weisen

Rainer Rupp **


Vor zwei Jahren hatte US-Präsident Barack Obama seine neue Asienstrategie vorgestellt. Damit wollte er einen Schlußstrich unter die Ära seines Amtsvorgängers George W. Bush ziehen, dessen Hauptaugenmerk auf dem »Größeren Mittleren Osten« lag. Die US-Außenpolitik sollte sich statt dessen fortan auf ­Asien konzentrieren. Parallel wurden die global organisierten US-Streitkräfte auf die zukünftige zentrale Front in der Pazifikregion umfiguriert, wobei Washington inzwischen schnelle und erhebliche Fortschritte gemacht hat: Die gemeinsamen Manöver mit der von den USA ausgerüsteten, japanischen Marine wurden stark ausgeweitet. Eine nach dem Vietnam-Krieg geschlossene US-Basis in Australien wurde für mehrere tausend US-Marinesoldaten reaktiviert. Mit dem philippinischen Militär wurden gemeinsame Übungen abgehalten. 60 Prozent der US-Marinekräfte sind inzwischen im westlichen Pazifik eingesetzt, eine Flugzeugträgergruppe kreuzt nun regelmäßig im Gelben Meer vor den Küsten Nordkoreas und Chinas. Parallel dazu hatte die damalige US-Außenministerin Hilary Clinton eine heimtückische diplomatische Offensive gegen Peking gestartet.

Zum großen Ärger der Chinesen mischte sich die Clinton im April 2010 bei der ASEAN-Konferenz in Hanoi lautstark in den territorialen Disput über die Spratly-Inselgruppe im Südchinesischen Meer ein – zugunsten der Anrainerstaaten und gegen historische Ansprüche Chinas. Dadurch wurden Pekings Bemühungen der vergangenen zwei Jahrzehnte, mit den jeweiligen Anrainern eine bilaterale Beteiligungslösung bei der Exploration der unter dem südchinesischen Meer vermuteten Öl- und Gasreserven zu finden, von Washington erfolgreich konterkariert und in eine neue Konfrontation umgewandelt.

Obamas asiatischem »Pivot« vorausgegangen waren »Bedrohungsanalysen« des Pentagon. Das US-Verteidigungsministerium stellte angesichts wachsender Wirtschaftskraft Chinas immer häufiger fest, das Reich der Mitte könne die Fähigkeit entwickeln, wie zuvor die Sowjetunion, Washingtons globalen Hegemonieansprüchen Paroli zu bieten. Auf regionaler Basis ist dies teilweise bereits der Fall, was z.B. durch Pekings Entwicklung einer bisher einzigartigen, als »Flugzeugträgerkiller« bekannten ballistischen Land-See-Rakete mit einer Reichweite von 1000 Kilometern unterstrichen wird.

Allerdings sucht die Obama-Administration keinen Krieg mit China. Zwar treten die Falken des militärisch-industriellen Komplexes lautstark auf, aber die Gruppe der Händler und Industriellen, die in China riesige Investitionen getätigt haben, ist wirtschaftlich viel mächtiger und hat auch eine starke Lobby in Washington. Außerdem weiß Obama, daß sich die USA derzeit einen heißen Krieg gegen China finanziell gar nicht leisten können.

Washington will jedoch China eindämmen und in seine Schranken weisen, damit es sich der US-Vormacht diplomatisch unterwirft. Dazu dienen der Aufbau der militärischen Drohkulisse und die diplomatischen Sabotageakte. Japan und die kleineren US-Verbündeten in der Region sollen dabei mitspielen. Laut der gewöhnlich gut informierten Asia Times befürchten jedoch inzwischen nicht wenige im Weißen Haus, daß die neue Regierung in Tokio in der diplomatischen und militärischen Aufrüstung gegen China die Möglichkeit zur verstärkten Militarisierung der japanischen Gesellschaft und der lang ersehnten Unabhängigkeit von den USA sieht

** Aus: junge Welt, Freitag, 1. März 2013

Hintergrund: "Japan ist zurück"

In den 1990er Jahren, der Ära der US-Präsidenten George Bush sen. und William Clinton, zu einer Zeit also, in der China noch schwach war, enthielten zwei Ausgaben der Verteidigungspolitischen Richtlinien des Pentagon für Ostasien kaum verschleierte Warnungen vor einem militärisch wiedererstarkten und politisch selbstständigen Japan. Tokio könne die Vormachtstellung und den Einfluß Washingtons in der Region zurückdrängen, so die Warnungen. Heute sehen die USA diese »Gefahr« für ihre Hegemonialstellung in Asien hauptsächlich von China ausgehen. Dennoch ist das US-amerikanische Mißtrauen gegenüber dem nach wie vor virulenten japanischem Militarismus und Revisionismu geblieben, insbesondere aber gegenüber der latent nach nationaler Unabhängigkeit von Washington strebenden herrschenden Klasse. Der Ende Dezember wieder an die Macht gekommene Ministerpräsident Shinzo Abe ist ein führender Vertreter dieser Richtung, die in der Liberaldemokratischen Party (LDP) seit ihrer Gründung eine starke politische Heimat hat.

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gab sich Japans herrschende Klasse mit dem Wiederaufbau und einem »pazifistischen Image« zufrieden. Die Abwehr der kommunistischen »Bedrohung« überließ sie den USA. Als Japan jedoch wieder zu einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt wurde, meldeten sich die Konservativen mit revisionistischen Obertönen zurück, insbesondere unter Premierminister Nobusuke Kishi, Shinzo Abes Großvater. So wurde die Forderung nach Wiedereinführung des von den US-Besatzern abgeschafften Artikel 9 der Verfassung, dem zufolge der Krieg ein legales Instrument der Politik war, ebenso laut wie die nach Aufhebung der Urteile gegen japanische Kriegsverbrecher. Abe ist ein Vertreter dieser Richtung, die durch eine stärkere Militarisierung Japan von der Vormundschaft der USA befreien will. Seine Rede vor dem »Center for Strategic Studies« in Washington in der vergangenen Woche begann er mit den Worten »Ich bin zurück«, und er beendete sie mit »Japan ist zurück«. Die meisten der anwesenden US-Honorationen wußten wohl nicht, wem sie da zujubelten.
(rws)




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