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Chinas Agenda für den G20-Gipfel

Führung möchte Abkehr von West-Dominanz

Von Werner Birnstiel *

Am Donnerstag (10. Nov.) beginnt der G20-Gipfel in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Im Vorfeld bringen sich die Schwergewichte in Stellung, zum Beispiel Peking.

Chinas Führung geht davon aus, dass auf dem bevorstehenden G20-Gipfel keine Lösungen erreichbar sind, um der »westlichen« Finanzbranche wirksam Zügel anzulegen. Den Vorwurf der künstlichen Unterbewertung des Yuan weist Peking zurück, auch Washingtons Forderung nach einer Quotierung des Exportvolumens wird abgelehnt. Stattdessen wird man gegen die Dollar-Schwemme der US-Zentralbank Stellung beziehen.

Es könne in Seoul aber durchaus ein neues Kapitel der Wirtschaftsgeschichte eingeleitet werden, so die offizielle Hoffnung Pekings. Begrüßt wird auch, dass sich die 20 Staats- und Regierungschefs erstmals in einem Land treffen, dass nicht zur G8 gehört. Und immerhin seien von den vorangegangenen vier G20-Gipfeltreffen Ansätze zur gemeinsamen Krisenbekämpfung ausgegangen. Die G20 habe sich so zur Hauptplattform für eine globale makroökonomische Koordinierung entwickelt. Als unmittelbare Wirkung erwartet Peking die qualitative Stärkung der Beziehungen Chinas zum Gastgeber Südkorea.

Die Führung in Peking möchte weg von der G8-Dominanz in der Weltwirtschaftsordnung kommen. Die Krise 2008/2009 habe bewiesen, dass das gegenwärtige, »vom Westen« geführte Finanzsystem Grenzen habe und nicht in der Lage sei, die Interessen der ökonomisch aufstrebenden Länder zu berücksichtigen. Allen voran die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) hätten durch ihre Entwicklung in den letzten 20 Jahren dazu beigetragen, Krisen besser zu überwinden.

In Seoul dürften die Interessengegensätze vor allem in drei Bereichen aufeinanderprallen. Zum Ersten seien die USA, Japan und die EU darauf aus, ihre politische und wirtschaftliche Dominanz gegenüber den aufstrebenden Ländern langfristig zu erhalten. Allerdings dürfte die relativ rasche wirtschaftliche Entwicklung der aufstrebenden Länder die Lücke zu den entwickelten Ländern weiter verringert haben. Ob sich die bisherige Weltwirtschaftsstruktur auf diese Verhältnisse einzustellen vermag, ist nach Pekinger Lesart eine Kernfrage für die Entwicklung der G20.

Zum Zweiten geht es um die künftige Rolle der UNO, die bisher vor allem für politische und sicherheitspolitische Angelegenheiten zuständig ist. Fragen wie der globale Klimawandel, Umweltschutz, die Verhinderung militärischer Konflikte im Kampf um Rohstoffe und Wasser sowie die Sicherheit der Seewege werden aber enorm an Bedeutung gewinnen.

Und zum Dritten soll durch den Gipfel in Seoul deutlicher werden, ob die Beziehungen zu den Nicht-G20-Staaten gleichberechtigt gestaltet werden können. Peking will sich für eine weitere Institutionalisierung der G20 unter Einbeziehung der Nicht-G20-Staaten und -Regionen stark machen, weil hierin Chancen für eine zukunftsfähige Ausrichtung der Weltwirtschaftsordnung gesehen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2010


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