Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

China noch im US-Boot

Washington fürchtet Pekings gewaltige Dollarguthaben, im Reich der Mitte bangt man um deren Sicherheit. US-Kongreßdienst legte jetzt Analyse vor

Von Rainer Rupp *

US-Politiker fürchten Chinas gewaltige Dollarguthaben. Nicht wenige sehen das hohe Verschuldungsniveau der Vereinigten Staaten beim fernöstlichen Partner und Rivalen als Sicherheitsrisiko. Insbesondere könnte Peking mit einem plötzlichen Verkauf seiner hohen Bestände an US-Staatsanleihen deren Wirtschaft destabilisieren oder zumindest damit drohen, um Washington bei Verhandlungen über wirtschaftliche, diplomatische und sicherheitspolitische Fragen zu erpressen.

Die US-Volkswirtschaft verbraucht regelmäßig mehr Güter und Leistungen, als sie selbst ausstößt. Zudem ist die Sparquote gering. Der US-Reproduktionszyklus hängt deshalb vom Zufluß ausländischen Kapitals (aus Ländern mit hohen Sparquoten bzw. Exportüberschüssen) ab. Dies dient zur Finanzierung von Investitionen und Konsum, nicht zuletzt aber zu der des gigantischen Haushaltsdefizits. Wichtige Grundlage für das Funktionieren eines solchen Dauerschuldverhältnisses ist die Rolle des US-Dollars als wichtigste internationale Reservewährung. Allerdings hat das Vertrauen in letzter Zeit unter der unverantwortlichen Geldpolitik der US-Zentralbank (Fed) gelitten, insbesondere durch die Finanzierung des jährlich bis zu 1,5 Billionen Dollar (1,155 Billionen bzw. 1155 Milliarden Euro) großen Haushaltsdefizits durch die Banknotenpresse. Weltweit nehmen die Bemühungen zu, sich so weit wie möglich vom Dollar abzusetzen – zuletzt vereinbarten beispielsweise Südkorea und China, den Warenaustausch auf Basis ihrer Landeswährungen zu fördern. Verliert der US-Dollar seine Rolle als maßgebliche Weltreservewährung, ist das Ende der globalen US-Vorherrschaft absehbar. Washingtons Politiker und New Yorks Banker betrachten dies als Schreckensszenario.

Bei den Debatten in und außerhalb des US-Kongresses stellt sich vor allem die Frage, wie kann uns unser größter Kreditgeber China schaden? Was geschieht, wenn Peking seine angehäuften US-Wertpapierbestände abstoßen würde? In seiner Resolution 2166 vom 14. Juni 2011 hatte das US-Repräsentantenhaus die Obama-Administration aufgefordert, für mehr Transparenz über ausländischen Besitz an US-Schuldtitel zu sorgen. Damit sollte eine Beurteilungsgrundlage geschaffen werden, ob Chinas gigantische Sammlung an US-Staatsschuldverschreibungen (T-Bonds) potentielle Risiken für die Sicherheit der Vereinigten Staaten beinhaltet. Zugleich hat der Kongreß dem Haushaltsgesetz über die Militärausgaben für 2012 eine Bestimmung (H.R. 1540 vom 22. Dezember 2011) angehängt, wonach der Verteidigungsminister eine Bewertung der Risiken von US-Staatsschulden in chinesischer Hand für die Nationale Sicherheit der USA abzugeben habe. Der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses (CRS) wurde beauftragt, parteipolitisch neutral die Lage zu analysieren. Der nicht für die Öffentlichkeit bestimmte CRS-Bericht wurde am 6. Dezember 2012 vorgestellt und liegt auch dem Autor dieses Artikels vor.

Im Bericht wird ausführlich auf das Argument vieler Analysten eingegangen, wonach Chinas Bestände an T-Bonds dem Reich der Mitte keinen unzulässigen Einfluß auf die Politik Washingtons verschaffen könne. Das gelte zumindest solange, wie China damit fortfährt, den Wechselkurs seiner Währung gegenüber dem Dollar niedrigzuhalten, um so die Exporte zu stimulieren. In diesem Falle bleibe Peking kaum eine andere Option, als weiterhin seine Handelsbilanzüberschüsse in US-Vermögenswerte zu investieren. Ein chinesischer Versuch, einen großen Teil seiner Dollarbestände zu verkaufen, wäre kontraproduktiv. Dies würde den Kurs der US-Währung auf den Weltfinanzmärkten zum Absturz bringen – und den Wert der verbleibenden Dollarbestände empfindlich schrumpfen lassen. Hinzu kämen die Schocks für die globale Wirtschaft, in deren Folge die weltweite Nachfrage nach chinesischen Exporten zurückgehen würde.

Nur bei Strafe des eigenen Untergangs könnte China seinen Dollar-Papierberg als Druckmittel gegen Washington einsetzen. Von dieser Seite drohe also keine besondere Gefahr, so der CRS-Bericht. Das Hauptproblem liege vielmehr in der sowohl absolut als auch relativ hohen, fortdauernden Abhängigkeit der USA vom Zufluß ausländischen Kapitals. Was die entscheidende Frage aufwirft, wie schnell und unter welchen Umständen dieser Kapitalzufluß versiegen könne.

Schon jetzt gibt es Hinweise, daß die Kreditaufnahme im Ausland für Washington künftig schwieriger werden könnte. Laut CRS-Bericht erreichte der Gesamtbestand der von China gehaltenen US-Schuldentitel im Juni 2011 mit 1,71 Billionen Dollar (1710 Milliarden Dollar bzw, 1317 Milliarden Euro) den bisherigen Höchststand, davon 1,31 Billionen in T-Bonds. Im September 2012 war der Bestand an T-Bonds in chinesischer Hand auf 1,16 Billionen Dollar gefallen.

Peking hat also im Zeitraum von 15 Monaten seinen Bestand um 150 Milliarden Dollar reduziert, obwohl China zugleich im Außenhandel mit Gütern und Dienstleistungen weiterhin Überschüsse in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar erwirtschaftet hat. Diese wurden offensichtlich nicht mehr in US-Wertpapiere investiert. Dies dürfte Washington zu denken geben, denn Peking hat demnach Alternativen zum bisherigen Anhäufen von US-Schuldtitel gefunden. In letzter Zeit wurden diese Dollarüberschüsse zunehmend für realwirtschaftliche Investitionen rund um die Welt aber auch zum Anhäufen eines beachtlichen Goldschatzes genutzt. Zugleich hat China Importrestriktionen für das Edelmetall aufgehoben und seine Bürger aufgefordert, zum Schutz gegen Inflation Gold zu kaufen.

Schon 2009 hatte sich Chinas Präsident Wen Jiabao öffentlich »ein wenig beunruhigt über die Sicherheit« der Dollarinvestitionen seines Landes gezeigt. Die Politik der Fed, US-Haushaltsdefizite zunehmend mit der Gelddruckmaschine zu decken und dadurch den Dollar auf den Weltmärkten systematisch zu entwerten, blieb in Peking nicht unbemerkt. Daß die Fed im Rahmen ihrer Programme zur »quantitativen Lockerung« die Finanzmärkte mit fast zinsloser Dollarangeboten überschwemmte, machte die Chinesen nur noch unruhiger. Peking hat offensichtlich den Rat der Experten, ihre Reserven zu diversifizieren, mit Erfolg umgesetzt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Dezember 2012


Zurück zur China-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage