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"Friedensmission 2005": Langfristige Partnerschaft?

Russische und chinesische Truppen üben gemeinsam

Im folgenden dokumentieren wir zwei Artikel sowie einen Kommentar über die jüngsten gemeinsamen Militärmanöver von China und Russland.



Langfristige Partnerschaft

Von Wolfgang Pomrehn

Am Donnerstag beginnt in Ostchina ein gemeinsames russisch-chinesisches Manöver, das das bisher größte seiner Art sein wird. Eine Woche lang sollen Luft- und Marinelandeeinheiten auf der Halbinsel Shandong westlich von Korea zusammen mit anderen Waffengattungen üben. Nahezu 10000 Soldaten kommen auf beiden Seiten zum Einsatz. Vorgesehen ist die Entsendung russischer Truppen aus der Region um die Hafenstadt Wladiwostok. Rußland schickt unter anderem einen Zerstörer, ein großes Landungsschiff sowie eine Marineinfantrie-Kompanie. Das Manöver trägt den Titel »Friedensmission 2005« und wird ausschließlich auf chinesischem Territorium abgehalten. Das Szenario legt nahe, daß man den Einsatz russischer Trupppen simuliert, die der chinesischen Regierung im eigenen Land zu Hilfe kommen. Beim US-Pazifikkommando, wo man die Truppenbewegung eingehend studieren wird, geht man ausdrücklich davon aus, daß sich die Übung nicht gegen Dritte richtet. Auch in Peking und Moskau legt man Wert auf diese Feststellung: »Die Übungen zielen nicht auf eine dritte Partei«, heißt es im chinesischen Verteidigungsministerium. »Das Manöver wird die Fähigkeit der Militärs unserer beider Länder stärken, gemeinsam internationalen Terrorismus, Seperatismus und Extremismus zu bekämpfen«, zitiert die Nachrichtenagentur Xinhua eine Erklärung des Ministeriums.

Ausbau der Beziehungen

Die gemeinsamen Übungen waren im Dezember 2004 anläßlich eines Besuchs des russischen Verteidigungsministers Sergej Iwanow in Peking beschlossen worden. Iwanow und sein chinesischer Amtskollege Cao Gangchuan hatten bei der Gelegenheit betont, daß das gemeinsame Manöver eine neue Stufe in den Beziehungen der beiden Länder markieren würde.

Das chinesisch-russische Verhältnis hat sich seit Mitte der 1980er Jahre wesentlich verbessert. Zuvor hatte es mehrere Jahrzehnte der Spannungen zwischen der Volksrepublik und der Sowjetunion gegeben, auf deren Höhepunkt es 1969 im Nordosten zu einem schweren Grenzgefecht am Amur kam. Neben ideologischen Differenzen spielten alte Grenzstreitigkeiten eine wichtige Rolle, die noch aus der Kolonialzeit herrührten, in der das zaristische Rußland mit den Kaisern der Qing-Dynastie in Nord- und Zentralasien um Einfluß und Ressourcen konkurriert hatte.

Inzwischen haben beide Seiten den Grenzverlauf vertraglich festgelegt und verschiedene Kooperationsabkommen abgeschlossen. Mitte der 1990er hatte der seinerzeitige russische Außenminister und spätere Premierminister Jewgeni Primakow bereits eine enge militärische Kooperation mit Peking angestrebt, war dort jedoch auf taube Ohren gestoßen. Der damalige chinesische Präsident Jiang Zemin wollte in Washington keine schlafenden Hunde wecken und hielt die Zeit für eine aktivere Außenpolitik noch nicht für gekommen.

Doch spätestens seit dem Antritt der neuen Führung unter Jiangs Nachfolger Hu Jintao hat sich diese Zurückhaltung verflüchtigt. Bereits seit einigen Jahren kooperieren Moskau und Peking zum Beispiel eng in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, mit der sie die zentralasiatischen Republiken an sich binden wollen. Auf dem letzten Gipfel dieser Organisation, der auch Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan angehören, hatten die versammelten Staatschefs im Juli die USA in ungewohnt eindringlicher Form aufgefordert, ihre Stützpunkte in der Region zu schließen.

Juniorpartner Chinas?

Mehr noch als das gemeinsame Interesse, den Einfluß der USA in der Region zu begrenzen, verbindet die beiden Nachbarn der Anspruch, die globalen Beziehungen multipolarer zu gestalten. Und weil man sich das offensichtlich nur gestützt auf militärische Stärke vorstellen kann, hilft Rußland China mit umfangreichen Rüstungslieferungen bei der Modernisierung seiner hoffnungslos veralteten Streitkräfte.

Das belegen durchaus die wechselseitigen Beteuerungen, eine langfristige Partnerschaft aufbauen zu wollen. Dennoch zeigt das Fundament dieser Beziehung einige Schwachstellen. Neben den Ungleichgewichten in Fernost (siehe unten stehender Artikel) sind dies vor allem die unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten. Die Wirtschaftsleistung des Landes der Mitte ist schon jetzt viermal so groß wie die des nördlichen Nachbarn, und der Abstand wächst rasch. Noch ist die Zusammenarbeit mit Rußland für die Volksrepublik auch in technologischer Hinsicht interessant, doch Chinas Wissenschaftler und High-tech-Firmen holen rasend schnell auf. Mittelfristig will China von Rußland vor allem Rohstoffe und einen Absatzmarkt für seine Industriewaren. Schon in zehn Jahren könnte die einstige Supermacht zum Juniorpartner in der Beziehung Moskau–Peking geworden sein, eine Vorstellung, die wohl kaum jemandem zwischen Brest und Wladiwostok gefallen wird.


Daten und Fakten: Russisch-chinesische Geschichte
  • Anfang des 17. Jahrhunderts. In der Mandschurei, dem heutigen Nordosten Chinas, eint der Herrscher Nurhatschi die halbnomadischen Mandschuren und stürzt schließlich im benachbarten China die Ming-Dynastie, um 1644 die Qing-Dynastie zu begründen. Die Mandschuren werden in der Folgezeit assimiliert.
  • 1689 Vertrag von Nertschinsk. Abtrünnige Mandschuren hatten sich mit den Russen verbündet. Es kommt zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Rußland erkennt schließlich Chinas Herrschaftsanspruch im Einzugsgebiet des Amurs an.
  • 1858/1860 Verträge von Ainur und Peking. Rußland sichert sich in zwei Verträgen mit dem geschwächten China die Gebiete nördlich bzw. östlich des Amurs bis an die koreanische Grenze bei Wladiwostok.
  • Ab 1920. Die sowjetische Führung interveniert über die Komintern in die chinesischen Bürgerkriege. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 zunächst gute Beziehungen.
  • 1960. Auf der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau kommt es zum Bruch zwischen China und der Sowjetunion.
  • 1969. Grenzgefechte zwischen chinesischen und sowjetischen Truppen im Nordosten.
  • 1972. US-Präsident Nixon stattet auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges Peking einen Besuch ab.
  • 1979. Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA. Die »sozialimperialistische« (Mao) Sowjetunion wird zum Hauptfeind der Völker und der Weltrevolution erklärt.
  • 1989. Der Vorsitzende der KPdSU, Michail Gorbatschow, besucht Peking. Beziehungen beginnen sich zu entspannen.
  • 2001. Russisch-chinesischer Freundschaftsvertrag. Rußland wird wie zuvor die USA und zuletzt Indonesien zum strategischen Partner Chinas erklärt.
  • 2005. Nach langem Tauziehen gibt die russische Regierung bekannt, daß China als erstes auch in den Genuß einer neue Pipeline kommen soll, die sibirisches Öl in den Osten Pumpen wird.


Aus: junge Welt, 17. August 2005


Demographische Spannungen in Fernost

Von Wolfgang Pomrehn

Wenn man Rußlands Weiten mit der Eisenbahn durchmessen hat und nach zahllosen durchrüttelten Tagen und Nächten im durchaus komfortablen Abteil in Sabaikalsk an der chinesischen Grenze steht, unmittelbar östlich des letzten Zipfels der Mongolei, inmitten einer im Sonnenlicht leuchtenden Steppe, dann bekommt man einen Begriff von der Größe des Landes und von der Abgeschiedenheit seines Ostens. Hier ist der postsowjetische Zerfall besonders schlimm, hier hat jeder achte in den letzten 15 Jahren das Land verlassen, hier ist der Lebenstandard nach offiziellen Angaben nur halb so hoch wie im Westen der Föderation. Verfallene Häuser und verlassene Dörfer entlang der Bahnroute künden vom Niedergang.

Wie anders da das Bild unmittelbar hinter der Grenze. Geschäftiges Treiben in den Grenzstädten und neue Häuser in den Dörfern zeugen von bescheidenem Wohlstand. Der Kontrast könnte größer kaum sein, und der Reisende bekommt schon vom bloßen Anblick dieser so unterschiedlichen Welten, die noch vor nicht allzu langer Zeit durch eine Stacheldraht-Grenze voneinander getrennt waren, einen Eindruck von den Spannungen, die sich in der Region unter der Oberfläche aufbauen.

Im russischen Fernost sieht sich eine schwindende Bevölkerung von sieben Millionen Russen mehr als 90 Millionen Chinesen in den drei nordöstlichen Provinzen südlich des Grenzflusses Amur gegenüber. Heilongjiang nennen die Chinesen ihn. In den Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion hat man den visafreien Grenzverkehr eingeführt, um den Handel zu fördern. Inzwischen ist die Region Fernost vom Rest der Föderation ökonomisch fast abgekoppelt. Lange Wege, hohe Transportkosten und schlechte Verkehrsinfrastruktur machen Reisen und Transporte von und in den Westen schwierig. Autos werden daher heute aus Japan und Korea importiert, Lebensmittel und Textilien aus China.

Doch nicht nur Waren kommen aus dem Süden über die Grenze, sondern auch Menschen, die sich als Arbeiter, Händler, Bauern und Geschäftsleute niederlassen. Daran hat auch die inzwischen wieder eingeführte Visumpflicht nichts geändert. Sie führte lediglich dazu, daß viele Chinesen sich nun illegal in Rußland aufhalten und damit leichte Beute für korrupte Polizisten und Schutzgelderpresser werden – letzteres ein Gewerbe, das mancherorts bereits fest in chinesischer Hand ist. Über das Ausmaß der Migration gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Die Regierungen in Moskau und Peking versuchen die Zahlen klein zu reden und sprechen nach Angaben der Volkszeitung, dem Zentralorgan der KP Chinas, von 100000 bis 200000 Chinesen, die sich in Fernost niedergelassen haben. Doch das sind offensichtlich nur jene, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen haben.

Der tatsächliche Umfang der chinesischen Einwanderung scheint wesentlich höher zu sein. Eine Volkszählung hat im Oktober 2002 ergeben, daß in der Russischen Föderation inzwischen 3,26 Millionen Chinesen leben. Damit bilden die Chinesen nach Russen, Tataren und Ukrainern inzwischen die viertgrößte Nationalität. Allein unmittelbar nördlich des Amurs haben sich mehrere tausend Bauern auf verlassenen Sowchosen (Staatsgütern) niedergelassen. In einigen Kleinstädten in Grenznähe sollen Chinesen bereits die Bevölkerungsmehrheit stellen. Der frühere Bürgermeister von Wladiwostok, Viktor Tscherepkow, schätzt, daß in Fernost bereits 30 bis 40 Prozent der Wirtschaft in der Hand von Chinesen sind. Diese eröffnen Restaurants, betreiben Landwirtschaft und dominieren den Handel mit Textilien.

Was die Situation besonders heikel macht, ist die Tatsache, daß das Land nördllich und östlich des Amurs erst um 1850 von den russischen Zaren annektiert wurde. Zuvor war es seit etwa dem 17. Jahrhundert unter chinesischer Kontrolle gewesen, und Wladiwostok, das in China Haishenwai genannt wird, war bis in die 1930er Jahre hinein mehrheitlich von Chinesen bewohnt. Heute haben sich China und Rußland zwar zugesichert, daß sie keine Gebietsansprüche gegeneinander hegen, aber die ökonomischen und demographischen Realitäten arbeiten in eine andere Richtung. Auch Rußlands Präsident Wladimir Putin scheint sich dessen bewußt zu sein. Anläßlich eines Besuchs in der Region im Jahre 2002 warnte er: »Wenn die Menschen hier nicht ihre Region und Wirtschaft wieder auf die Beine bekommen, dann werden sie bald Chinesisch oder eine andere asiatische Sprache sprechen.«

Aus: junge Welt, 17. August 2005


Kommentar

Putins Wille

Von Karl Grobe

Wladimir Putin hat am Steuerknüppel eines Überschall-Kampfflugzeugs gesessen - glücklicherweise steuerte der Kopilot - und sich im Luftwaffendress fotografieren lassen. Der Kommersant, eine kritische Zeitung, fragte, was das wohl soll. Die Antwort ist einfach: Zeigen, dass Russland militärisch immer noch muskulös ist, und dezent andeuten, wo die Macht sitzt.

Gleichzeitig gelang es, anders als vor einem Jahr, eine Interkontinentalrakete von der Barentssee (Putins Flugziel) nach Kamtschatka zu feuern, zielgenau. Gleichzeitig erhöht Moskau den Militärhaushalt um mehr als ein Fünftel, was ohne des Präsidenten Willen nicht geschehen kann. Gleichzeitig halten Russen und Chinesen erstmals in der Geschichte eine Militärübung ab, im Gelben Meer, die auch amphibische Kriegsübungen enthält. Und die zielen wohl kaum auf eine simulierte Invasion Nordkoreas, das gleich nebenan liegt, als vielmehr auf eine taiwanesische Eventualität. Peking will damit den USA signalisieren, wozu es bereit ist, wenn Washington Taiwan im - derzeit nicht realistischen - Unabhängigkeitsfall bewaffnet beisteht.

Nun kann man Putins Russland nicht unterstellen, im chinesischen Kielwasser zu segeln, gar noch als reine Hilfskraft. Es will vielmehr seinen Anspruch untermauern, Großmacht zu sein, mit Handlungs- und Bündnisfreiheit - notfalls gegen Washington.

Aus: Frankfurter Rundschau, 18. August 2005


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