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Auf leisen Pfoten nach Santiago

Panzer für Chile

Von Michael Radseck, Hamburg*

Die chilenische Armee möchte 300 Panzer des Typs Leopard 2 kaufen. Die Schweizer Armee möchte 93 davon loswerden.

Voraussichtlich noch diese Woche wird der Bundesrat über einen Vorschlag für die Regelung von Rüstungsexporten entscheiden. Ausgearbeitet hat ihn eine Arbeitsgruppe des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) mit VertreterInnen unter anderem des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Diese Entscheidung könnte den weiteren Verbleib der 93 von der Schweizer Armee ausrangierten Panzern des Typs Leopard 2 beeinflussen. Möglicherweise werden sie nach Deutschland geliefert, von wo aus sie dann weiter nach Chile verschickt werden können.

Noch im November hatte das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) Chile gegenüber eine Offerte für den Verkauf der Panzer zurückgezogen - die offizielle Begründung verwies nicht etwa auf völkerrechtliche Bedenken, sondern auf eine ungünstige Kosten-Nutzen-Analyse: Der Aufwand für Dienstleistungen im Bereich Wartung und Ausbildung wäre nach dem Verkauf der Panzer zu hoch gewesen.

Es gibt im Prinzip drei Möglichkeiten, was mit den ausrangierten Panzern geschehen kann. Sie werden verschrottet - in der Schweiz oder in einem Land, das dafür ausgerüstet ist - oder an das Herkunftsland Deutschland zurückverkauft oder diesem überlassen. Diese Möglichkeiten beinhalten allerdings, dass sie mit anderen Leopard-2-Panzern aus Deutschland nach Chile weiterverkauft werden könnten.

Deutschland hat Chile letztes Jahr eine Verkaufsofferte für Leopard-2-Panzer unterbreitet. Die chilenische Tageszeitung «El Mercurio» berichtete bereits am 25. Dezember 2005 vom bevorstehenden Abschluss des Panzergeschäfts mit Berlin und erwähnte dabei auch die Schweizer Offerte und die Möglichkeit eines Dreiecksgeschäfts. Die deutsche Bundesregierung, so der Bericht, habe dem Verkauf von 100 gebrauchten Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an Santiago zugestimmt. Chiles Generäle bekundeten zudem Interesse an weiteren 200 Panzern dieses Typs. Gemäss Oberstleutnant Robert Wilhelm, dem Sprecher für Rüstung im deutschen Bundesministerium für Verteidigung, sind die Verhandlungen jedoch noch immer im Gange, da die formale Zustimmung der USA (der Lieferantin einer Baukomponente des Panzers) ausstehe und unklar sei, wann der Bundessicherheitsrat zusammentritt, der das Geschäft bewilligen muss.

Ausnahme oder Regel?

Bei Rüstungsverhandlungen geht es immer auch um kommerzielle Interessen. Allerdings sind diese mit den hehren Zielen einer restriktiven Rüstungsexportpolitik, wie sie die deutsche Regierung offiziell verfolgt, nur in den wenigsten Fällen in Einklang zu bringen. Gerade deutsche RegierungsvertreterInnen dürften deshalb an einer öffentlichen Debatte über die Panzerlieferungen nach Chile keinerlei Interesse haben. Tatsächlich müsste die Bundesregierung gemäss ihren «Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern» «besondere aussen- oder sicherheitspolitische Interessen» geltend machen, um die Ausfuhr von Kampfpanzern zu begründen.

Anders als etwa bei Lieferungen von Kriegsschiffen, ergeben so genannte «legitime Sicherheitsinteressen von internationalem Belang» zur Begründung von Kampfpanzerexporten in Drittländer keinen Sinn. Ein 55-Tonnen-Panzer wie der Leopard 2 ist eine für die konventionelle Kriegsführung gegen feindliche Panzer und Kampfhubschrauber konzipierte Angriffswaffe und gilt in puncto Feuerkraft, Mobilität und Panzerung als das Mass aller Dinge. Als solcher taugt er allerdings weder dazu, terroristische Bedrohungen abzuwehren, noch den internationalen Drogenhandel zu bekämpfen oder die Seewege für den Welthandel sicherer zu machen. Selbst beschäftigungspolitische Gründe, wollte sie Berlin als Argument für das Panzergeschäft mit Santiago ins Feld führen, könnten beim Export trotz etwaiger Nachrüstungs- und Versorgungsaufträge nicht wirklich überzeugen. Zumal solche Gründe, gemäss den selbstauferlegten Richtlinien, bei einer «ausnahmsweise» zu erteilenden Genehmigung eines Kriegswaffenexports in einen Drittstaat ohnehin «keine ausschlaggebende Rolle» spielen dürfen.

Säbelrasseln

Weshalb sind Panzerexporte in das heute demokratische Chile problematisch? Zum einen hielt sich die chilenische Armee nicht immer an internationale Waffenembargos. So wollte Chile 1991 Waffen an die kroatische Armee liefern, was jedoch scheiterte. Und 1995, während des peruanisch-ecuadorianischen Kriegs, hat Chile Waffen an Ecuador geliefert, obwohl es seit 1942 als Garant über den zwischenstaatlichen Frieden der beiden südamerikanischen Länder wacht. Auch ist Chiles Meldepolitik gegenüber der Uno für deren jährliche Berichte über Militärausgaben und Waffenimporte durchaus mit Täuschungs- und Verdunkelungsmanövern vergleichbar. Weiter liegen Chiles Rüstungsausgaben mit vier Prozent des Bruttosozialprodukts doppelt so hoch wie der südamerikanische Durchschnitt. An sich gäbe es in Deutschland den Passus der «unverhältnismässigen Rüstungsausgaben», der Kriegswaffenexporte verbieten würde. Hinzu kommt, dass Grosswaffeneinkäufe in Chile nach geltender Gesetzeslage völlig am Parlament vorbei und ohne öffentliche Debatte über ihr Für und Wider entschieden werden. Allerdings muss das deutsche RegierungsvertreterInnen nicht interessieren: Weder die deutschen noch die europäischen Richtlinien für den Rüstungsexport sehen vor, Kriterien der Transparenz, Kontrolle und Rechenschaftslegung an potenzielle Empfänger von Kriegswaffen anzulegen. Gleich, welches «besondere aussen- oder sicherheitspolitische Interesse» Berlin am Leopard-2-Geschäft mit Santiago anmelden wird: Das Signal, das von der Stationierung dieses nach Herstellerangaben «modernsten Kampfpanzers» in Reichweite von Chiles Landesgrenzen zu Bolivien und Peru ausgehen wird, dürfte seine psychologische wie politische Wirkung nicht verfehlen. Die konfliktträchtige Beziehung der drei Länder dürfte weiteren Schaden nehmen. Strittige Territorialansprüche, hasserfüllte Ressentiments und wilde Verschwörungstheorien sorgen seit den Tagen des Salpeterkriegs (1879-1883), in dessen Folge Bolivien und Peru bedeutende Landesteile an Chile verloren hatten, für permanenten Zündstoff unter den drei Anrainern. Die Regierung in Berlin glaubt jedoch gemäss dem jüngsten Jahresbericht des Auswärtigen Amtes nicht, «dass sich die diplomatischen Auseinandersetzungen über Gebietsansprüche in begrenzte regionale kriegerische Konflikte ausweiten».

Tatsächlich haben sich aber in den letzten Monaten die Konflikte um Boliviens Forderungen nach Wiedererlangen eines souveränen Pazifikzugangs und der Streit um den Verlauf der chilenisch-peruanischen Seegrenze verschärft. So hat der peruanische Kongress letzten November einstimmig «per Gesetz» den Grenzverlauf revidiert. Die gespannten Beziehungen zu Chile bewegen sich auf einen kritischen Punkt zu: Während Lima nach den Worten seines Aussenministers «den diplomatischen Verhandlungsweg für ausgeschöpft» hält, sieht Santiago in puncto Grenzziehung weiterhin «nichts zu verhandeln». Mit dem deutsch-chilenischen Panzergeschäft wird nun die Situation weiter verschärft. In ersten Reaktionen bezichtigte der peruanische Botschafter in Santiago die chilenische Regierung erstmalig, einen «denkbaren Waffengang» gegen Lima vorzubereiten. Laut Umfragen glaubt mittlerweile mehr als die Hälfte der peruanischen Bevölkerung, der südliche Nachbar rüste sich für einen Angriffskrieg gegen sie.

Unbestritten ist, dass im Norden Chiles bereits heute mit oder ohne Leopard 2 die schlagkräftigste Kampfpanzerflotte auf dem Subkontinent in Stellung gebracht ist. Auch die aus den fabrikneuen US-Kampfjets vom Typ F-16 zusammengesetzte Elitestaffel der chilenischen Luftwaffe wird gemäss «El Mercurio» in diesen Tagen unweit der Landesgrenzen zu Bolivien und Peru stationiert. Angesichts des «militärischen Ungleichgewichts» von Perus Streitkräften gegenüber Chile ist es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis sich die Rüstungsspirale im südlichen Lateinamerika weiterdreht. Anders als Santiago beschafft sich der Andenstaat Peru seine Grosswaffen traditionell in den ehemaligen Ostblockländern. Wie in den Nato-Vertragsstaaten werden auch dort die aufgefüllten Lager an Kriegswaffen angesichts knapper Kassen seit Jahren geräumt.

Auch das Schweizer VBS offerierte die 93 Leopard-2-Panzer aus Beständen von ausrangiertem Kriegsmaterial der Schweizer Armee. Umso überraschender war für Chile offenbar der Rückzug der Schweiz aus dem Geschäft. Dem in Santiago ansässigen Militärexperten Armen Kouyoumdijan erschien es merkwürdig, dass «die Schweizer sieben Monate für eine Kosten-Nutzen-Analyse benötigen, um festzustellen, dass ein solches Geschäft nicht rentabel sei». Möglicherweise sei der auf Neutralität bedachten Schweiz das Geschäft wegen der zunehmenden Spannungen zwischen Chile und Peru einfach zu heiss geworden.

Die ausstehende Entscheidung des Bundesrates könnte nun die Grundlage für ein Dreiecksgeschäft sein. Bern verkauft seine in Lizenz gefertigten Kampfpanzer an Berlin, und Berlin liefert diese weiter nach Santiago. Deutschland wäre dann offiziell nur Drehscheibe des Geschäfts, und die Schweiz stünde mit einem blitzsauberen «Rückverkauf» da.

* Michael Radseck ist Mitarbeiter am Institut für Iberoamerika-Kunde (IIK) in Hamburg. Das IIK ist Teil des German Institute of Global and Area Studies.



Das Endnutzerabkommen
Sollte der Bundesrat in diesem Quartal tatsächlich noch entscheiden, dass die 93 Leopard-2-Panzer an das Herkunftsland Deutschland verkauft werden sollen, stellt sich die Frage, ob nicht ein Endnutzerabkommen abgeschlossen werden muss. Das ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, in dem sich der Käufer verpflichtet, die erworbenen Waffen nicht ohne Einwilligung des Ursprungslandes weiterzuverkaufen. Allerdings kann eine Missachtung dieser Bestimmungen weder kontrolliert noch sanktioniert werden. Der Fall der via die Vereinigten Arabischen Emirate nach Marokko weitertransportierten Schweizer Panzerhaubitzen, der letzten September publik wurde, ist ein Beispiel für fragwürdige Rüstungsexporte dieser Art.
Neben den ausstehenden Entscheiden des Bundesrates bezüglich der Leopard-2-Panzer wird diese Woche vermutlich auch der Bericht der Arbeitsgruppe des Bundes für eine allgemeine Regelung der Ausfuhrpraxis für Rüstungsgüter behandelt. Gemäss einem Artikel der «SonntagsZeitung» vom 8. Januar hat die Arbeitsgruppe des Bundes den ursprünglichen Vorschlag des VBS insofern angepasst, dass ausrangierte Rüstungsgüter an 25 Länder, die besondere Voraussetzungen erfüllen, ausgeführt werden dürfen. Es handle sich dabei vor allem um europäische Länder sowie Japan, Kanada, Australien, Argentinien und die USA. Dass mit dieser Regelung die Notwendigkeit von Endnutzerabkommen elegant umgangen wird, ist ein weiterer Schritt in einem Prozess, der klare politische Aussagen im Bereich Rüstungsexporte verwässert.
Sonja Wenger



Gsoa
Josef Lang, Vorstandsmitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), forderte letztes Jahr in einer Motion ein «Ausfuhrverbot für altes Armeematerial sowie dessen umwelt- und fachgerechte Entsorgung». Um seine Forderung «Verschrotten statt verkaufen» umsetzen zu können, schlägt er vor, für künftige Rüstungskäufe einen angemessenen Betrag für die spätere Entsorgung zu budgetieren. Auf der Webseite der GSoA finden sich weitreichende Informationen bezüglich des aktuellen Stands der Waffenexporte der Schweiz. Die Ausgabe der GSoA-Zeitung vom 20. März wird sich zudem ausführlich mit offenen Rüstungsgeschäften mit Pakistan und dem Irak auseinander setzen.
www.gsoa.ch/ruestung



* Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), 9. März 2006


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