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Bulgariens Pipeline-Spielchen: Russland hat die Schnauze voll

Bulgarien hat viel Verwirrung um seine Beteiligung an mehreren Energieprojekten gestiftet

Von Andrej Fedjaschin *

Zunächst gab Premier Bojko Borissow Ende vergangener Woche bei einem Treffen mit den Botschaftern der EU-Länder Bulgariens Ausstieg aus dem Projekt zum Bau der Burgas-Alexandroupolis-Pipeline (gemeinsames Projekt mit Russland und Griechenland) und eines AKW in Belene (Kooperation mit dem russischen Konzern Atomstroyexport) bekannt. Energieminister Traitscho Trajkow sagte allerdings etwas später, dass darüber noch nicht endgültig entschieden sei.

Einen Tag später erklärte Vizeaußenminister Marin Rajkow, in Sofia lege man mehr Wert auf die europäische Nabucco-Pipeline als auf die russische South Stream. Er sagte, das russische Projekt würde „viele Fragen" hervorrufen, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Dann stellte sich heraus, dass zur South Stream keine konkrete Entscheidung gefallen ist.

Somit ist die Frage weiter offen, ob Bulgarien tatsächlich als künftiges Gastransitland auf Einnahmen verzichten will.

Die sozialistische Opposition in Bulgarien hat der Mitte-Rechts-Regierung Borissows, die seit nahezu einem Jahr an der Macht ist, gefährliche politische Spiele und die Vernachlässigung der nationalen Interessen vorgeworfen. Rumen Otscharow, Energieminister der früheren sozialistischen Regierung (die allen drei Energieprojekten zugestimmt hatte), sagte sogar, er bewundere seinen Nachfolger Trajkow, weil ihm sein „Doppelleben" so leicht fällt. Außerdem warf er ihm vor, „den Unterhändler mit Russland zu spielen und gleichzeitig als Washingtons Protegé den Auftrag zu haben, alle russischen Projekte in Bulgarien zu stoppen."

Ganz ohne politische Spiele geht es natürlich nicht. Wie auch, wenn es um Öl, Gas, Energiesicherheit, Nabucco, South Stream, USA, EU usw. geht? Das wäre absurd. Vor allem angesichts der Tatsache, dass gewisse Kräfte seit langem versuchen, einen Konflikt zwischen Nabucco und South Stream zu provozieren. Durch erstere Pipeline soll Gas unter Umgehung Russlands durch Aserbaidschan, Georgien, die Türkei, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Österreich nach Europa transportiert werden. Auch der Irak hat vor kurzem versprochen, sein Gas in diese Pipeline zu pumpen. Damit sehen die Aussichten für das Nabucco-Projekt nicht mehr neblig aus - noch vor sechs Monaten schien es sich jedoch um ein rein politisches „Gasbündnis" zu handeln.

Die Polemik um das AKW Belene, um die Transbalkan- und die South-Stream-Pipeline hat nicht erst gestern begonnen. Internationale Großprojekte, egal ob unter oder ohne Beteiligung Russlands, sind immer mit Politik und Skandalen verbunden. Dagegen ist man nicht gewappnet.

Aber warum ist dieser Streit ausgerechnet jetzt ausgebrochen? Warum will Bulgarien ausgerechnet jetzt aus allen drei Projekten mit Russland aussteigen? (Am South-Stream-Bau sind Energiekonzerne Bulgariens, Serbiens, Ungarns, Griechenlands, Sloweniens, Kroatiens und Österreichs und am Burgas-Alexandroupolis-Projekt griechische Unternehmen beteiligt - das entsprechende Regierungsabkommen wurde 2007 unterzeichnet.)

Erstens musste der bulgarische Premier mit den EU-Diplomaten nicht nur über die Pipelines reden. Er musste vielmehr über Sofias Erfolge im Kampf gegen die für Bulgaren so typische Vetternwirtschaft berichten. Denn Bulgarien ist und bleibt eines der korruptesten EU-Länder.

Brüssel hat bereits mehrmals Zuwendungen (in Höhe von 610 Millionen Euro) blockiert, die für Verwaltungsreformen, Straßenbau und Landwirtschaft in Bulgarien bestimmt waren. In dem Land am Schwarzen Meer beruhen schätzungsweise 50 Prozent aller Geschäftsverträge unter Beteiligung des Staats auf Bestechung. Regierungschef Borissow wollte also mit seiner Aussage, Sofia würde sogar auf „russische Verträge" verzichten, seine Entschlossenheit zur Korruptionsbekämpfung und gleichzeitig den pro-europäischen Kurs seines Landes demonstrieren, um zu verhindern, dass die EU erneut die Zuschüsse verweigert.

Zweitens lässt sich Moskau die Unklarheit um Bulgariens Teilnahme an allen drei Projekten schon seit langem nicht gefallen. Der russische Energieminister Sergej Schmatko hatte zwei Tage vor Borissows Worten ohne Umschweife gesagt, Sofia sollte sich endlich über den Einstieg in das Pipeline-Projekt entscheiden und in kürzester Zeit eine Umweltstudie durchführen. Andernfalls könnte Moskau den Start des Projekts fristlos verschieben. Quellen zufolge wurde als Deadline für die Umweltexpertise der September festgelegt. Bisher stand Russland noch nie so kurz davor, die eigenen Projekte abzublasen.

Drittens sind viele Experten überzeugt, dass Bulgarien auf diese Weise seinen Anteil an allen drei Projekten auszubauen versucht, ohne dabei unnötige Verluste zu erleiden. Nach Einschätzung der russischen Seite könnte Sofia allein für den Öltransit durch das Burgas-Alexandroupolis-Rohr bis zu 2,5 Milliarden Dollar jährlich kassieren. Die South-Stream-Pipeline könnte Bulgariens Bedeutung als Transitland weiter erhöhen, während das AKW Belene seine Energiesicherheit fördern würde. Auf solche Projekte verzichtet man normalerweise nicht.

Vor nur fünf Jahren hätte Bulgarien seine russischen Partner mit dieser Masche wirklich in Verlegenheit gebracht. Jetzt aber nicht mehr.

Es gibt günstige Umstände, wenn Fehlschläge eines potenziellen Partners (egal ob es dabei einen politischen Hintergrund gibt oder nicht) eine positive Rolle spielen können. Bulgariens möglicher Verzicht auf die russische Pipeline und das russische AKW ist gerade ein solcher Fall. Sollte Sofia aus diesen Projekten tatsächlich aussteigen, muss die russische Seite darüber bestimmt nicht trauern.

Die jüngsten Gas-Konflikte mit der Ukraine haben deutlich gezeigt: Wenn es um den Öl- oder Gastransit geht, lässt sich empfindlich spüren, ob ein Partner zuverlässig ist oder nicht. Wenn sich Bulgarien nach jedem Regierungswechsel immer neue Ideen einfallen lässt - egal ob die Gründe dafür etwas mit Politik oder mit Umwelt zu tun hätten - dann wäre es für Moskau wohl richtiger, rechtzeitig nach Alternativen zu suchen, zumal sie vorhanden sind.

So könnte Russland die South-Stream-Pipeline nicht durch Bulgarien, sondern durch Rumänien verlegen. Auch die Beziehungen mit der Türkei haben eine Phase erreicht, in der Moskau und Ankara keine Konkurrenten, sondern Partner beim Samsun-Ceyhan-Projekt sind. Diese Leitung soll 2011 in Betrieb genommen werden und die türkischen Schwarzmeer- und Mittelmeerhäfen verbinden.

Vor dieser Pipeline steht dieselbe Aufgabe wie vor der Hauptkonkurrenz Burgas-Alexandroupolis: den Bosporus und die Dardanellen zu entlasten. Die Leistung des Samsun-Ceyhan-Rohrs wird zwischen 60 und 70 Millionen Tonnen Öl jährlich liegen. Am Projekt sind die russischen Konzerne Rosneft, Sovcomflot und Transneft beteiligt. Damit ist die europäische politische und wirtschaftliche Konjunktur für Russland dermaßen günstig, dass es sich im Gegensatz zu Bulgarien die beste Variante aussuchen kann.

In Bezug auf das AKW Belene ist die Situation noch einfacher. Noch vor der Ausschreibung hatten sich viele russische Experten gefragt: Warum will Russland Öl- und Gasleitungen in Bulgarien verlegen und noch ein AKW bauen und verschiedene Energieträger konkurrieren lassen? Zumal sich Russland dadurch selbst Konkurrenz machen würde. Jetzt kann diese Frage mit einem Mal vom Tisch geräumt werden. Die russische Atomenergieindustrie kann sich sowohl zu Hause als auch im Ausland leicht ein neues Projekt finden.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. Juni 2010; http://de.rian.ru



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