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Privileg Trinkwasser

Was hierzulande durch die WC-Spülungen rauscht, ist vielerorts unerschwinglich: sauberes Wasser. Arme Brasilianer haben "Lula", arme Afrikaner sterben an Cholera

Von Mario Osava / Boris Edson Yaméogo (IPS)*

Im Nordosten Brasiliens leben etwa 25 Millionen Menschen, die meisten von ihnen in Armut. Viele laufen regelmäßig kilometerweit durch die Halbwüste, um mit Eimern voller Brackwasser zurückzukehren.

In den vergangenen vier Jahren hat eine Schirmorganisation von brasilianischen Gewerkschaften, Kooperativen und NGOs immerhin 100000 Familien Zugang zu Trinkwasser verschafft; und das nicht etwa mit dem Bau eines Großstaudamms, von dem wohl viel weniger profitiert hätten. Der Ansatz ist einfacher: Tanks wurden aufgestellt, die den Regen auffangen.

Ein Zehntel Zisternen

2003 wurde das 2001 gestartete Programm »Eine Million Zisternen« in das Regierungsprogramm zur Überwindung des Hungers aufgenommen. Die »Lula«-Regierung steuert den Löwenanteil bei, stellt im Rahmen der Initiative außerdem Lebensmittelhilfe und finanzielle Unterstützung für arme Familien bereit, die den Schritt in die Subsistenzwirtschaft schaffen sollen.

Wenn alles Regenwasser gesammelt wird, kann ein Fünf-Personen-Haushalt im Nordosten Brasiliens mit Trinkwasser versorgt werden. Eine Zisterne kostet zirka 1500 Real (640 US-Dollar). Die Kosten sind niedrig, weil sich die Familien, neben deren Häusern die Tanks gebaut werden, am Bau beteiligen. Die zylindrischen Tanks werden aus vorfabrizierten Zementteilen zusammengebaut. Jeder einzelne kann 16000 Liter Wasser aufnehmen.

Cristiano Cardoso, technischer Berater des Projekts, räumt ein, daß dessen erklärtes Ziel, bis 2008 eine Million Zisternen zu errichten, reichlich ambitioniert ist. Es fehlt nicht nur an Geld. Auch die logistischen Fähigkeiten der Organisation reichen bisher nicht aus. Nur 51 regionale Gruppen kümmern sich um die Umsetzung. Jede kann jährlich maximal 1500 Zisternen bauen, sagt Cardoso.

Antonio Xavier de Souza aus dem indigenen Volk der Pipipan bezeichnet seine vor drei Jahren installierte Zisterne als »sehr nützlich«. Eine durchgehende Versorgung mit Trinkwasser garantiere sie jedoch nicht. Nach den schweren Regenfällen von 2004 reichte das Wasser bis September. In diesem eher trockenen Jahr war der Tank bereits im April leer. Seitdem bewahrt seine Familie darin Wasser auf, das sie aus nahegelegenen Brunnen schöpft und mit dem Ochsenwagen nach Hause schafft.

Um den Tank optimal zu nutzen, müsse man mit den Vorräten haushalten, verteidigt Cardoso das Projekt. Von jedem Quadratmeter eines Daches, sagt er, können bei 100 Millimeter Niederschlag 75 Liter Wasser gesammelt werden. Im Nordosten Brasiliens fallen im Jahresdurchschnitt zwischen 400 und 800 Millimeter Niederschlag. In keiner Halbwüste der Welt ist es mehr.

Die Idee zum Projekt, das auch für die Landwirtschaft der Region Potential hat, geht im übrigen auf eine erfolgreiche Initiative in China zurück, wo ein ähnliches Klima herrscht. Durch die intensive Nutzung von Regenwasser, das in 2,5 Millionen Tanks aufgefangen wurde, konnten hier mehr als eine Million Familien ihre landwirtschaftlichen Erträge verbessern.

Verseuchte Brunnen

Darüber hinaus gibt es Pläne, 50000 Brunnen mit Handpumpen auszustatten, wie sie vor 20 Jahren vom Holländer Gert Jan Bom im westafrikanischen Burkina Faso entwickelt wurden. Auch in diesem Teil der Welt sind die Trinkwasserprobleme eklatant. Seit August grassiert die Cholera. Mehr als 600 Fälle wurden allein in der Hauptstadt Ouagadougou registriert, darunter bisher acht, die tödlich endeten. Fast 15 Prozent der Erkrankten sind Kinder unter 14 Jahren, wie aus Statistiken des Gesundheitsministeriums hervorgeht.

Die Lage sei nicht zuletzt deshalb so heikel, weil es »nicht ausreichend Trinkwasser gibt«, erklärte Sylvestre Tiendrébéogo, der im Gesundheitsministerium für die Seuchenbekämpfung zuständig ist. Am schlimmsten betroffen seien die Regionen mit mangelhafter Trinkwasserversorgung. »Hinzu kommt die Gefahr, daß das Trinkwasser verseucht wird, denn manchmal liegen die Brunnen kaum drei Meter von den Latrinen entfernt. Eigentlich sind mindestens 15 Meter Abstand vorgeschrieben.«

Trotz aller in den vergangenen Jahren getroffenen Maßnahmen haben rund 30 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die letzte Choleraepidemie kam 2001 über Burkina Faso. Damals erkrankten 544 Menschen, neun davon starben.

* Aus: junge Welt, 22. September 2005


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