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Teure Soja, billiger Wald

Kein Kahlschlag für mehr Anbauflächen? Trotz Verlängerung eines Moratoriums in Brasilien geht Regenwaldabholzung weiter

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Die Sojabranche in Brasilien hat der Verlängerung eines im Jahr 2006 beschlossenen Moratoriums zugestimmt. Das Abkommen, demzufolge für die Produktion der Energiepflanze in Amazonien keine Rodungen mehr stattfinden sollen, habe sich bewährt, hieß es. So gut wie kein Regenwaldbaum sei seitdem für die Ausweitung von Sojaplantagen gefällt worden, so die einhellige Aussage der Initiatoren. Die Abholzung allerdings ging dennoch kontinuierlich weiter. Zwischen 2006 und 2011 verlor die Region über 45000 Quadratkilometer Regenwald.

Vor sechs Jahren hatten sich die 24 größten Unternehmen, die gemeinsam 90 Prozent des Geschäfts in Brasilien kontrollieren, verpflichtet, Sojabohnen nur noch von Plantagen aus Amazonien zu vermarkten, die vor dem Stichtag abgeholzt waren. Vereinbart wurde das Moratorium zwischen den Produzenten, die in den Verbänden ABIOVE (brasilianische Vereinigung der Pflanzenölindustrie) und ANEC organisiert sind, und den internationalen Umweltorganisationen Greenpeace, Conservation International (CI), The Nature Conservancy (TNC), dem World Wide Fund for Nature (WWF Brasil). Jetzt verlängerten es die beteiligten Parteien bis zum 31. Januar 2014. »Die Erneuerung des Moratoriums ist für uns alle, die gegen die Abholzung kämpfen und eine nachhaltige Agrarproduktion verteidigen, eine Stärkung«, wertete Greenpeace-Kampagnenleiter Paulo Adario, der in diesem Jahr von der UN zum »Forest Hero« gekürt wurde, die Vereinbarung.

Laut Moratoriumsbericht hat sich die Anbaufläche im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso seit 2006 von 58900 Quadratkilometern (5,89 Millionen Hektar) auf 122800 Quadratkilometer mehr als verdoppelt, ohne daß dafür direkt Regenwald geopfert werden mußte. »Das Moratorium zeigt, daß es möglich ist, die Sojaproduktion in Brasilien zu erhöhen, ohne die Umwelt zu schädigen«, lobte die Umweltministerin des Landes Izabella Teixeira anläßlich der Vertragsverlängerung im Oktober.

Lediglich 21000 von insgesamt heute rund 250000 Quadratkilometern (25 Millionen Hektar) Anbaufläche befänden sich innerhalb des Amazonas-Ökosystems. Und nur 0,41 Prozent davon sei illegal gerodeter Regenwald, konstatierte Moratoriumspartner ABIOVE: »Diese Daten zeigen, daß Soja kein wichtiger Abholzungsfaktor dieses Ökosystems ist.«

Dies sehen Amazonas-Wissenschaftler wie Philip M. Fearnside vom Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA) in Manaus anders. Seit jeher wirke die Ausweitung des Sojaanbaus indirekt, weil Straßen und Häfen für den Pflanzen- und Düngertransport benötigt und traditionelle Bevölkerungsgruppen aus ihren Gebieten vertrieben sowie die Rinderzucht weiter nach Amazonien gedrängt werden, so der Experte. Nur in den wenigsten Fällen wurde Regenwald bisher direkt abgeholzt. Hauptopfer der gigantischen Ausweitung der Plantagen in Zentral-, Nord- und Nordostbrasilien ist seit den 1970er Jahren der Cerrado-Wald auf den wasserreichen Hochebenen, nicht der Amazonasregenwald in den tiefer liegenden Regionen. Doch der Cerrado, der dem Regenwald kaum an Artenvielfalt nachsteht, wird vom Moratorium nicht berücksichtigt.

Trotzdem stirbt nicht »nur« der Cerrado, sondern auch der Regenwald weiter. Satellitenauswertungen des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE), dem für die Satellitenauswertung zuständigen Weltraumforschungsinstitut Brasiliens, belegen eine Verringerung der Fläche um 45100 Quadratkilometer zwischen Moratoriumsbeginn 2006 und 2011 im brasilianischen Amazonasgebiet, genannt Amazônia Legal. 77 Prozent der vernichteten Flächen entfallen auf die drei sojaproduzierenden Bundesstaaten Mato Grosso, Pará und Rondônia.

Aktuellen Daten der Satellitenüberwachung zufolge wurden im September weitere 431 Quadratkilometer in der Region abgeholzt. Dies seien »154 Prozent mehr registrierte Regenwaldabholzung als im September 2011«, informierte das Amazonas-Umweltinstitut Imazon (Instituto do Homem e Meio Ambiente da Amazônia) in Belém. Im November meldete Imazon eine weitere Zunahme der Rodungen. Demnach sei im vorausgegangenen Oktober per Satellit die Zerstörung von 487 Quadratkilometer »Urwald« in Amazonien registriert worden. Das ist eine Zunahme um 377 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als 102 Quadratkilometer den Kettensägen und der Brandrodungen zum Opfer fielen, so der alarmierende Imazon-Bericht. Die Waldzerstörung im Oktober konzentrierte sich abermals im wesentlichen auf die Staaten Pará (179 Quadratkilometer) und Mato Grosso (144,5).

Laut INPE habe der Norden Mato Grossos heute bereits 50 Prozent seines Regenwaldes verloren. »Die Zunahme der Abholzung ist verbunden mit der Verteuerung von Soja während der vergangenen Jahre und der Trockenheit in den USA«, erläutert Renê Luiz de Oliveira von der Umweltbehörde IBAMA Anfang November gegenüber MidiaNews in Mato Grosso. Oliveira weiß wovon er spricht. Er ist Chef der IBAMA-Abteilung, die die Richtigkeit der Satellitendaten in den Waldgebieten zu überprüfen hat. Eine Verteuerung der Sojabohnen von quasi 100 Prozent habe den Anbau noch interessanter gemacht, und der Hunger nach neuen Feldern habe die Entwaldung weiter stimuliert, so der Experte.

* Aus: junge Welt, Montag, 03. Dezember 2012


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