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Schwache Lobby für den Regenwald

Brasilianisches Parlament verabschiedet Gesetzesnovelle für noch mehr Spielraum für den Flächenfraß

Von Taina Mansani (Sao Paulo)/Mario Schenk *

Das Verhältnis von Natur und Landwirtschaft soll in Brasilien neu geregelt werden. Am Dienstag (24. Mai) stimmte eine breite Mehrheit des Abgeordnetenhauses mit 410 gegen 63 Stimmen und einer Enthaltung für ein entsprechendes Gesetz. Gegen die Vorlage votierten die Abgeordneten der Sozialisten (PSOL) und Grünen (PV). Sie kritisieren vor allem, daß die Novellierung ein weiteres Vordringen der Landwirtschaft in die natürliche Vegetation befördere anstatt einzudämmen, denn das neue Gesetz sehe eine zunehmende Befreiung vom Schutz natürlicher Vegetation, der sogenannten Reserva Legal, für kleinere Flächen (20 bis 400 Hektar) vor. Bisher mußten beispielsweise im Amazonas- Raum 80 Prozent des Grundbesitzes naturbelassen bleiben.

Obwohl die Regierung unter der Präsidentin Dilma Rousseff (PT) sich gegen den vorgeschlagenen Text ausgesprochen hatte, kam das Gesetz auch mit den Stimmen der Regierungspartei PT und der Kommunistischen Partei (PcdoB) zustande. Beide argumentierten, daß die neue Rechtslage insbesondere kleinbäuerliche Strukturen unterstützen würde, da diese mehr »Spielraum« für Anbauflächen erhielten. Nach Auffassung des Verfassers des Gesetzentwurfes, Aldo Rebelo (PcdoB), wirke dies weiterer Verarmung und Migration auf dem Land entgegen. Tatsächlich, so die Kritiker, würden jedoch auf diese Weise in der Vergangenheit illegal abgeholzte Waldflächen nachträglich legitimiert und der Flächenfraß konsolidiert. Desweiteren, so auch der Tenor einer Gegendemonstration von Gewerkschaften, Landlosenbewegung und Umweltverbänden vor dem Parlament, begünstige die Neuregelung vor allem industrielle Landwirtschaft und Großgrundbesitz. Auch wenn die Kleinbauern den Großteil der landwirtschaftlichen Produzenten ausmachen, entfallen dennoch fast 60 Prozent der bewirtschafteten Fläche auf nur zwei Prozent der Landbesitzer – und von diesen gehe nach wie vor der große Flächenfraß aus. Allein gegen 15 Abgeordnete und drei Senatoren aus rechten Parteien laufen Strafverfahren wegen diesbezüglicher Umweltdelikte. Eine zweite Abstimmung über sogenannte Bestandsschutzflächen (APPs) für einzigartige Biotope wie Flußläufe oder Mangroven entzweite gar die beiden großen Regierungsparteien aus der eher linken PT und der mächtigsten Rechtspartei im Parlament, der PMDB. Auch hier setzten sich die Vertreter des Großgrundbesitzes mit 273 zu 182 Gegenstimmen durch. Diese »Gesetzesnachbesserung« sieht die Konsolidierung von illegaler Rodung und Holzeinschlag vor und verlagert die gesetzliche Regelung der APPs von der Bundesregierung auf die Länderregierungen. Dies könnte in vielen latifundistisch geprägten Regionen eine massive Lockerung bei der Umwidmung von Naturschutzräumen in Anbauflächen zur Folge haben.

Dabei steigt der Trend zur Abholzung bereits jetzt drastisch an. Zuletzt hatte die Abholzungsrate durch den Anbau von Soja und Biospritpflanzen sowie durch Flächenverschleiß für Weideland wieder um 27 Prozent zugenommen. Präsidentin Dilma Rousseff (PT) hatte vor der Abstimmung klargestellt, daß sie keine Amnestieregelung für illegale Rodungen akzeptieren werde und – im Falle wie jetzt eingetreten – ihr Veto einlegen würde. Dies könnte zur ersten großen Bewährungsprobe für die seit Januar 2011 amtierende Präsidentin werden.

* Aus: junge Welt, 27. Mai 2011


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