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Vale oder TEPCO - wer ist der größere Schurke?

Brasiliens Minenkonzern und Japans Atomkonzern liefern sich Kopf-an-Kopf-Rennen um den Anti-Oscar für das übelste Unternehmen

Von Martin Ling *

Mit dem Public Eye (Öffentliches Auge) schafft die entwicklungspolitische Organisation »Erklärung von Bern« seit 1999 in Davos eine Gegenöffentlichkeit zum Weltwirtschaftsforum (WEF); seit 2009 zusammen mit Greenpeace. Heute werden die übelsten Firmen des Jahres mit einem Schmähpreis ausgezeichnet.

Vox populi hat bis Mitternacht gesprochen, das Urteil der Fachleute steht noch aus. Heute wird um High Noon im Hotel Montana in Davos verkündet, welche Unternehmen den Schmähpreis Public Eye Award 2012 erhalten. In Sichtweite zum Weltwirtschaftsforum wird der Anti-Oscar für die übelste Firma des vergangenen Jahres vergeben oder für zwei, sofern der Global Award (Jurypreis) nicht mit dem People's Award (Publikumspreis) übereinstimmt. Die Laudatio hält der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als der finnische Energiekonzern Neste Oil beim Publikumspreis People's Award mit klarem Vorsprung auf die Zielgerade der Internetabstimmung einbog, gab es 2012 ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem brasilianischen Minenkonzern Vale und dem japanischen Energiekonzern TEPCO, wobei Vale bei Redaktionsschluss mit über 23 000 Stimmen ein paar Hundert Simmen vor TEPCO vorne lag.

»Wir verzeichnen 2012 eine Rekordbeteiligung«, zeigte sich Yves Zenger von Greenpeace gegenüber »nd« von der Resonanz angetan. »Über 80 000 Stimmen wurden abgegeben, annähernd das Doppelte vom Vorjahr«, spezifizierte Zenger. Ob das Publikum tendenziell mit dem Urteil der Jury konform ginge, wollte er freilich noch nicht verraten: Erst heute um 12 Uhr wird offiziell, wer die beiden Preise einheimst.

Vale ist seines Zeichens der zweitgrößte Konzern Brasiliens und weltweit der zweitgrößte Minenkonzern. Was ihn jüngst in die Kritik gebracht hat, ist die Beteiligung am Bau des Belo-Monte-Staudamms im Amazonas. Dieser hat voraussichtlich 40 000 Zwangsumsiedlungen zur Folge, die Betroffenen erhalten weder ein Mitspracherecht noch Entschädigung. Eine Fläche so groß wie der Bodensee würde unter Wasser gesetzt mit verheerenden Auswirkungen für die indigene Bevölkerung sowie für Flora und Fauna. »Ich bin davon überzeugt, dass das Wasserkraftwerk unvorhersehbare und nicht korrigierbare Folgen für die Region bringt. Da helfen keine Bauauflagen«, erklärt Erwin Kräutler, Bischof von Altamira und einer der entschiedensten Kritiker des Bauvorhabens.

Noch mehr Negativschlagzeilen als Vale hat 2011 der japanische Energiekonzern TEPCO gemacht, der die Atomkatastrophe Fukushima maßgeblich zu verantworten hat und als überforderter Krisenmanager wochenlang über die Bildschirme flimmerte. Ebenfalls auf der Nominierungsliste für den Publikumspreis standen der weltgrößte Agrochemie-Produzent Syngenta mit Sitz in der Schweiz, die britische Bank Barclays, die als schnellstwachsender Nahrungsmittelspekulant der Welt gilt, der für extrem prekäre Arbeitsbedingungen bekannte südkoreanische Elektronikriese Samsung und der US-amerikanische Minenkonzern Freeport McMoRan, der in West-Papua seit 45 Jahren die weltgrößte Gold- und Kupfermine Grasberg ohne Rücksicht auf Natur und Mensch betreibt. Chancen auf den Publikumspreis hatten sie gestern aber nicht mehr.

Wie immer wurden die Unternehmen darüber informiert, dass ihnen die Auszeichnung mit dem Anti-Oscar drohe. »Von TEPCO kam gar nichts, von den anderen Unternehmen Standardantworten, dass man die Vorwürfe prüfen werde. Die übliche PR-Strategie«, resümiert Zenger lakonisch. Ohne Wirkung bleibt der Preis dennoch nicht. »Vor allem die vor Ort gegen die Multis aktiven Nichtregierungsorganisationen würden in ihren Kampagnen mit dem Public Eye Award Negativ-Publicity betreiben, die schon manches Unternehmen zu Zugeständnissen bewegt hätten«, so Zenger direkt vom Davoser Weltwirtschaftsforum (WEF). Das WEF steht 2012 unter dem Motto »Der große Wandel: Entwürfe für neue Modelle«. Wahrnehmbar sei das nicht, Davos sei so elitär wie eh und je, zieht Zenger sein nüchternes Fazit. Mit dem Public Eye Award wird auch 2012 ein Kontrapunkt gesetzt.

* Aus: neues deutschland, 27. Januar 2012


»Übelste Unternehmen«

Barclays und Vale erhalten Schmähpreis in Davos **

Der Schmähpreis »Public Eye Award« für soziale und ökologische Vergehen geht in diesem Jahr an den britischen Bankkonzern Barclays Capital und den brasilianische Minenkonzern Vale. Auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos erklärten die Initiatoren am Freitag, beide Konzerne stünden exemplarisch für jene WEF-Mitglieder und Unternehmen, deren Praktiken die Auswüchse einer rein profitorientierten Globalisierung zeigten.

Barclays erhält den Schmähpreis nach Angaben der Jury für Spekulationen mit Nahrungsmitteln. Mit diesen Praktiken treibe die Großbank die Nahrungsmittelpreise auf Kosten der Ärmsten in die Höhe. Vale sei als weltweit zweitgrößter Minenkonzern seit Jahrzehnten für Menschenrechtsverletzungen und rücksichtslose Naturausbeutung verantwortlich. Derzeit beteilige sich Vale am Bau des Belo-Monte-Staudamms im Amazonasgebiet, der voraussichtlich 40 000 Zwangsumsiedlungen zur Folge habe.

Bei der Internetabstimmung über den Publikumspreis bekam Vale über 25 000 Stimmen, dicht gefolgt vom japanischen AKW-Betreiber Tepco. Die »Public Eye Awards« werden seit dem Jahr 2000 unter anderem von Greenpeace vergeben. Mit dem Schmähpreis für das laut den Organisatoren »übelste Unternehmen« wollen die Organisationen aufzeigen, dass Menschen und Umwelt verachtende Geschäftspraktiken Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für das Firmenimage haben.

** Aus: neues deutschland, 28. Januar 2012

Atomkonzern Tepco wird verstaatlicht

Billionen-Yen-Förderung für Sanierung nötig ***

Der Betreiber des havarierten Atomkraftwerks Fukushima, Tepco, steht japanischen Medienberichten zufolge vor der Verstaatlichung. Wie die führende Wirtschaftszeitung »Nikkei « am Donnerstag unter Berufung auf informierte Kreise berichtete, sieht ein Sanierungsplan eine staatliche Kapitalspritze von einer Billion Yen (10 Milliarden Euro) im kommenden Steuerjahr vor, das am 1. April beginnt. Das wäre eine der weltweit größten Rettungsaktionen für ein Unternehmen außerhalb des Bankensektors. Hinzu käme eine weitere Billion Yen an Bankkrediten. Tepco und ein staatlicher Entschädigungsfonds für die Atombranche legen den Plan im März vor.

Tepcos Überleben als unabhängiges Unternehmen steht seit dem schweren Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März 2011, bei dem das Atomkraftwerk Fukushima schwer beschädigt wurde, in Frage. Der Konzern sieht sich mit riesigen Entschädigungszahlungen, Aufräumkosten sowie steigender Kosten für Ersatzbrennstoffe konfrontiert. Der Sanierungsplan setzt voraus, dass die Stromgebühren auch der Privathaushalte angehoben werden. Großkunden von Tepco müssen ab April 17 Prozent mehr zahlen.

Zudem müssten derzeit zu Sicherheitsüberprüfungen stillgelegte Atomreaktoren wieder ans Netz genommen werden, so die »Nikkei« weiter. Bedingungen, die sich als schwierig erweisen könnten. Bis Ende dieser Woche werden nur noch drei der 54 Atomkraftwerke in Japan Strom erzeugen. Der letzte Reaktor wird im April abgeschaltet, dann wird Japan atomfrei sein. Die Strombetreiber wollen die Reaktoren nach erfolgten Stresstests sobald wie möglich wieder anfahren. Die Tests sollen die Bevölkerung von der Sicherheit der Kraftwerke überzeugen. Doch der Genehmigungsprozess ist sehr langwierig.

Der Sanierungsplan sieht laut der »Nikkei« vor, dass Tepco im Steuerjahr 2014 wieder schwarze Zahlen schreibt und zwei Jahre später wieder Anleihen ausgibt. Laut dieser Zeitung soll die staatliche Kontrolle über Tepco in sechs bis sieben Jahren enden, andere Blätter sprechen von einer Verstaatlichung von sogar bis zu einem Jahrzehnt. Beobachter blicken mit Spannung auf die Zukunft von Tepco, da dies Hinweise bieten könnte, ob Japan am Ende seine monopolartigen Strukturen aus regionalen Stromkonzernen deregulieren wird.

*** Aus: neues deutschland, 28. Januar 2012




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