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Streik gegen Megastaudamm

Dritter Arbeitskampf beim Bau des Kraftwerks Belo Monte in Brasilien gerichtlich untersagt

Von Andreas Knobloch *

Seit Montag (23. April) streiken die Arbeiter, die im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará das Wasserkraftwerk Belo Monte errichten. Achtzig Prozent der rund 7700 Beschäftigten sind laut der Gewerkschaft Sintrapav an dem Ausstand beteiligt. Am Dienstag blockierten sie die Zugänge zu dem Gelände. Nur der Betrieb von grundlegenden Bereichen wie Gesundheits-, Wasser- und Lebensmittelversorgung wurde aufrechterhalten.

Das für den Bau verantwortliche Konsortium CCBM schaltete die Justiz ein. Am Mittwoch erklärte das Arbeitsgericht von Pará den Streik für illegal. Wird dieser nicht sofort beendet, drohen tägliche Bußgelder von 20000 Reais. Die Gewerkschaft zeigte sich in einer ersten Stellungnahme unbeeindruckt. Nach der Lesart von CCBM läuft die derzeit geltende Vereinbarung mit der Gewerkschaft frühestens im Oktober aus. Die Arbeiter fordern eine Erhöhung des Essensgeldes von 95 auf 300 Reais (rund 121 Euro) und eine Verbesserung der Regelungen zu freien Tagen und Urlaub. CCBM bietet gerade einmal 15 Reais mehr, will die bestehende Vereinbarung zu arbeitsfreien Zeiten im wesentlichen beibehalten. Trotzdem hofft Sintrapav-Vizepräsident, Roginel Gobbo, auf eine Einigung: »Wir sind offen für Verhandlungen und warten die Aussagen von CCBM ab. Jede Bewegung von ihnen in Richtung Erfüllung unserer Forderungen kann den Streik beenden.«

Die derzeitige Arbeitsniederlegung ist bereits die dritte in Belo Monte in weniger als sechs Monaten. Ende Februar waren die Arbeiter aus Solidarität mit den Streikenden in Jirau und Santo Antônio in den Ausstand getreten. Dort war es zum Teil zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, wobei ein Arbeiter getötet wurde. Zuvor hatten die Belo-Monte-Arbeiter im November wegen der Arbeitsbedingungen und schlechten Unterkünfte gestreikt.

Die Regierung in Brasilia zeigte sich nach der Gewalteskalation des Arbeitskampfes in Jirau besorgt. Außerdem befürchtet sie weitere zeitliche Verzögerungen. Bereits jetzt hinkt der Bau dem Zeitplan gewaltig hinterher. Der Vertrag sieht vor, daß die erste Turbine im Januar 2015 in Betrieb genommen werden soll.

In der Abgeschiedenheit des Amazonasgebietes, unter erbärmlichen Bedingungen hausend und oft extremen klimatischen Bedingungen schuftend, verdienen die Arbeiter einen Hungerlohn; Lebensmittel und Medikamente müssen meist in firmeneigenen Läden zu Wucherpreisen eingekauft werden. Hinzu kommen hoher Leistungsdruck, da die Bauherren sich zur Übergabe in Rekordgeschwindigkeit verpflichtet haben, und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Die Todesrate durch Arbeitsunfälle ist doppelt so hoch wie beispielsweise in Spanien oder den USA.

Seit Ende März protestieren die Arbeiter erneut gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Die ersten Aktionen wurden an der Sintrapav vorbei organisiert. Mittlerweile hat die Gewerkschaft aber die Streikführung übernommen. Conlutas, eine dissidente Strömung des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, kritisiert jedoch die Verhandlungsführung von Sintrapav und wirft dieser vor, mit dem Baukonsortium unter einer Decke zu stecken.

Das Staudammprojekt Belo Monte im Herzen des Amazonas-Regenwaldes ist das am heftigsten kritisierte Infrastrukturprojekt des Landes. Nach jahrzehntelangen juristischen Auseinandersetzungen wurde im vergangenen Jahr grünes Licht für den Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt erteilt. Die Regierung verteidigt das Projekt, Umweltgruppen, Teile der Katholischen Kirche, indigene Gemeinden und unabhängige Wissenschaftler dagegen warnen vor den kaum abschätzbaren Auswirkungen auf das Ökosystem und die regionale Sozialstruktur. So wird durch den Staudamm ein Gebiet von rund 440 Quadratkilometern geflutet werden; 20000 Menschen werden deshalb umgesiedelt

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. April 2012


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