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In Piauí droht Kahlschlag

Brasilien: Run auf Wasserkraft, Soja und "grüne Energien" gefährden Existenz der letzten Tropenwäldern im Nordosten des Landes

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Mehr als ein Dutzend Umweltschutzgruppen und Bürgerinitiativen, das Umweltnetzwerk von Piauí und das brasilianische Umweltforum beklagen gravierende Umweltzerstörungen im nordostbrasilianischen Bundesstaat Piauí. Das Becken des Rio Parnaíba ist bedroht durch rücksichtslosen Kahlschlag für Holzkohle und Feuerholz, durch Soja-, Rizinus- und Brechnuß-(Jatropha)Plantagen. Mit dem geplanten Bau von fünf Wasserkraftwerken bestehe die Gefahr, daß mehr als 2,5 Millionen Menschen ihre Trinkwasserquellen verlieren, kritisiert die lokale Wasserschutzinitiative Funáguas (FUNDAÇÃO ÁGUAS DO PIAUÍ).

Funáguas wirft insbesondere dem transnationalen Konzern Bunge vor, einer der Hauptverantwortlichen für die Umweltgefährdung in Piauí zu sein. Bunge ist der mit Abstand größte Sojaverarbeiter weltweit und dominiert den entsprechenden Markt vor allem in Brasilien. Damit ist das Unternehmen auch indirekt an Tropenwaldvernichtung und Landvertreibung beteiligt. Doch nicht nur dies: Recherchen von Funáguas zufolge verheize Bunge auch direkt Brasiliens Tropenwälder. Feuerholz, so Funáguas, sei die Hauptenergiequelle von sieben großen Bunge-Fabriken in den Bundesstaaten Mato Grosso do Sul, Goias, Bahia und in Piauí. Allein in Piauí verbrauche Bunge pro Jahr 2,2 Millionen Tonnen Feuerholz, das in den sogenannten Cerrados eingeschlagen wird.

Die Cerrado-Gebiete (Region mit Savannenlandschaft südlich des Amazonas-Regenwaldgebietes) sind wie die Amazonaswälder durch eine große Biodiversität und kulturelle Vielfalt ausgezeichnet. Sie sind Heimat mehrerer indigener Völker und seit über hundert Jahren auch Lebensraum von mehreren traditionellen Bevölkerungsgruppen Brasiliens, die die zahlreichen Naturprodukte des Cerrado wie Früchte, Nüsse, Kräuter, edlen Hölzer und Medizinpflanzen nachhaltig zu nutzen wissen. Die augenfälligsten Tierarten dieses extrem komplexen Trockenwald-Ökosystems sind die Großkatzen Jaguar und Puma. Aber auch der seltene Mähnenwolf, Ameisenbären, oder Tapire sind dort heimisch.

Leider sind in ganz Brasilien diese Cerrados, so Funáguas, bereits zu etwa 80 Prozent zerstört. Oder sie wurden zu Soja-Monokoulturen degradiert bzw. abgeholzt um Holzkohle und Brennstoff zu gewinnen. Diese vermeintliche »grüne Energie« treibt Sojaverarbeitungsfabriken und Hüttenwerke an -- deren Exporte vor allem nach Japan, Deutschland und in die USA gehen. Cerrado-Abholzungen und damit einhergehende lokale Veränderungen von Klima und Wasserhaushalt bedrohen langfristig auch die größten Flüsse Brasiliens.

Während in den Bundesstaaten Mato Grosso, Mato Grosso do Sul, Minas Gerais, Sao Paulo und Goias schon weite Cerrado-Gebiete dem Agrobusiness und der Stahlindustrie zum Opfer gefallen sind, waren die Cerrados von Piaui bis vor kurzem noch so gut wie unangetastet. Sie liegen exakt in der Übergangszone zwischen den Amazonasregenwäldern und den kakteenreichen Caatinga-Wäldern und zählen mit zu den artenreichsten Gebieten Brasiliens. Doch das kümmert heute weder Staat noch Agrarkapital.

Großgrundbesitzer und internationale Investoren wie Sojagigant Bunge oder Brasil Ecodiesel, haben diese vom Staat fast kostenlos zu habenden Gebiete als neue Profitquelle entdeckt. Schon machen sich auf Tausenden Hektar Sojaplantagen in Piauí breit und täglich werden es mehr. Dabei zahlt Bunge dem Staat nicht mal Steuern, so Funáguas. Und auch vor dem Einsatz von Genpflanzen wird nicht zurückgeschreckt. Erst vergangenen Mai hat die staatliche Landwirtschaftsagentur Embrapa zwei Sorten gentechnisch veränderten Sojas in Piauí eingeführt.

Die zweite große Profitquelle Piauís heißt Biodiesel. Das Bundesland soll, oder besser gesagt sollte, zu einem brasilianischen Zentrum der Biodieselproduktion auf Basis von Rizinusanbau und kleinbäuerlicher Landwirtschaft werden. Das zumindest war die Absicht der zu etwa 45 Prozent der Deutschen Bank gehörenden Agrarspritfirma Brasil Ecodiesel und deren großzügiger Unterstützer, wie Präsident Inacio »Lula« da Silva und Piauís Gouverneur Wellington Dias. Doch schon wenige Monate nach Projektstart im Jahr 2005, erwies sich dieses gerade auch von deutschen Entwicklungshelfern propagierte Wunderprojekt als Fehlschlag. Funáguas-Präsident Judson Barros klagte Brasil Ecodiesel der rücksichtlosen Abholzung des Cerrados an. Die Agrarspritfirma lasse 100000 Hektar kahlschlagen und das Holz verkohlen, während gleichzeitig nur schätzungsweise 3000 Hektar von rund 750 Kleinbauernfamilien mit Rizinus bepflanzt würden.

Inzwischen hat sich das Rizinus-Diesel-Projekt als grobe Umweltzerstörung und sozialer wie ökonomischer Flop erwiesen. Laut der Tageszeitung O Estado de São Paulo seien die Ernteerträge für die Kleinbauern immer niedriger ausgefallen, so daß sie nun von der sogenannten Cesta Básica, der brasilianischen Nahrungsmittelhilfe leben müßten. Und Brasil Ecodiesel mußte einräumen, daß ihr »Biotreibstoff« weiterhin zu 90 Prozent aus Sojaöl besteht. Das Projekt werde aber nicht aufgegeben, sondern die Firma wolle nun statt auf Rizinus auf Jatropha, die indische Brechnuß, als neuen zukunftsfähigen Biodieselrohstoff in Piauí setzen, hieß es. Damit sind weitere Abholzungen programmiert, zumal Brasil Ecodiesel inzwischen den größten und modernsten, computerisierten Kohlemeiler des Landes errichtet hat. Offensichtlich läßt sich noch bis auf weiteres mit der Verkohlung von kostenlosem Cerrado-Wald mehr Geld verdienen als mit der Biodieselproduktion.

* Aus: junge Welt, 1. September 2008


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