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"Lulas" Itaipu-Papier

20-Punkte-Liste vorgelegt: Brasilien will Streitpunkte mit Paraguay ausräumen

Von Andreas Knobloch, São Paulo *

Eine Woche vor Beginn des Staatsbesuch von Paraguays Präsident Fernando Lugo, der am kommenden Montag (11. Mai) in Brasilien erwartet wird, versucht die Regierung in Brasilia, bestehende Streitpunkte zu beseitigen. Es bot dem Nachbarland nun eine zwanzig Punkte umfassende Vereinbarung an, darunter den Bau einer zweiten Brücke, die beide Länder verbinden soll, und einer Eisenbahnlinie. Vor allem jedoch soll mit dem brasilianischen Vorschlag die anhaltende Diskussion um eine Anpassung der Stromtarife beendet werden. Dabei geht es insbesondere um den Preis für Energie aus dem gemeinsam betriebenen Wasserkraftwerk Itaipu, den Brasilien an Paraguay zahlt.

Das heikle und konfliktbeladene Thema Itaipu belastet seit langem die Beziehungen beider Länder. In Paraguay gehört es zu den auch innenpolitisch brisanten Fragen. So versprach Lugo im Wahlkampf 2008 eine Neuaushandlung der Itaipu-Verträge. Hier käme ein vorzeigbarer Erfolg dem wegen dreier möglicher Vaterschaftsfälle innenpolitisch stark unter Druck stehenden ehemaligen katholischen Bischof gerade recht.

Konkret bietet Brasiliens Präsident Luiz Inácio da Silva, genannt »Lula«, Paraguay Veränderungen bei der Zahlung für die in Itaipu erzeugte Energie an. Nicht bekannt wurden bisher die genauen Modalitäten: ob Brasilien beispielsweise höhere Tarife zu zahlen bereit ist und ob eine Verständigung zu Paraguays Wunsch, einen Teil der ihm zustehenden Energie direkt auf dem freien brasilianischen Markt verkaufen zu dürfen, Teil der Verhandlungsmasse ist. Ein wahrscheinliches Modell ist zudem, daß Brasilien im voraus zahlt. Auch könnte das Land am Amazonas Paraguay einen Zahlungsaufschub der ausstehenden Baukosten für Itaipu gewähren – die 27 Milliarden US-Dollar wurden größtenteils von Brasilien allein finanziert. Dies könnte Paraguays Staatskasse entlasten und Lugo neue Möglichkeiten eröffnen, versprochene Sozialprogramme aufzulegen.

Theoretisch steht beiden Ländern jeweils die Hälfte der in Itaipu erzeugten Energie zu. Die derzeitigen Verträge benachteiligen jedoch Paraguay stark. Sie verpflichten das Land, den Anteil der nicht selbst genutzten Energie zu einem festen Tarif, der deutlich unter dem Marktpreis liegt, an Brasilien zu verkaufen. Während Paraguay eine Neuverhandlung der Verträge fordert, verweist Brasilien auf die bis 2023 bestehende Laufzeit und darauf, daß der Fixpreis zum Teil der Schuldentilgung für den Bau des Staudamms dient.

In der vergangenen Woche rief Lugo die Länder des südamerikanischen Staatenbundes Mercosur zur Integration im Energiesektor auf und unterstützte die Schaffung eines Gerichts, das eventuelle Konflikte lösen helfen könnte. Grundsätzlich ist die Integration Südamerikas in den vergangenen Jahren vertieft worden – und das gerade auch im Energiesektor. Beispiele sind das von Caracas initiierte Projekt »Gasoducto do Sul«, eine Gasleitung, die Venezuela mit Argentinien verbinden soll, oder das Projekt »Anel Energético do Sul«, ein Netz von Gasleitungen zwischen Bolivien und Peru. Es fehlen aber vor allem Mechanismen, um die Asymmetrien zwischen den großen und kleinen Ländern des Blockes auszugleichen bzw. abzubauen.

Das 14000-Megawatt-Kraftwerk Itaipu wurde ab 1971 als brasilianisch-paraguayisches Joint-Venture gebaut und nahm am 5. Mai 1984 seinen Betrieb auf. Es liegt an der gemeinsamen Grenze beider Länder am Paraná-Fluß und umfaßt den zweitgrößten Staudamm der Welt. Fast der gesamte Energiebedarf Paraguays sowie rund zwanzig Prozent von Brasiliens Nachfrage werden durch Itaipu gedeckt.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2009


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