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Lula klärt seine Nachfolge

Frühere Guerillakämpferin und jetzige Präsidialamtsministerin Rousseff soll 2010 für Präsidentschaft kandidieren

Von Andreas Knobloch *

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva will die frühere Guerillakämpferin und aktuelle Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff als Kandidatin seiner Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) für die Präsidentschaftswahlen 2010 unterstützen. Das erklärte Lula in der vergangenen Woche während seines Staatsbesuchs in Italien.

Um die Vorbehalte der PT gegenüber einer Kandidatur Rousseffs wissend, ließ der Präsident verlauten, daß er »seine Kandidatin der Partei vorschlagen werde«. Es gibt in der PT nicht wenige Stimmen, die die Ministerin Lula enger verbunden sehen als der Partei, in der sie nie Ämter bekleidet oder sonst größere Präsenz gezeigt hat. Mitte der 1960er Jahre kämpfte sie im Untergrund gegen die brasilianische Militärdiktatur und war dabei in Gruppen wie Comando de Libertação Nacional (Nationales Befreiungskommando) und Política Operária (Arbeiterpolitik) aktiv. Später wurde sie von der Geheimpolizei gefangengenommen und gefoltert und verbrachte drei Jahre im Gefängnis. Nach Ende der Militärdiktatur wirkte Rousseff bei der Restrukturierung der Brasilianischen Arbeiterpartei PTB (Partido Trabalhista Brasileiro) und später bei der Gründung der Demokratischen Arbeiterpartei PDT (Partido Democrático Trabalhista) mit, die sie 1999 verließ, um der PT beizutreten. Seit Januar 2003 ist die heute 61jährige die starke Frau in der Regierung. Zunächst war sie für Bergbau und Energie zuständig, und seit drei Jahren zieht sie als Präsidialamtsministerin die Fäden.

Aus der Partei war immer wieder gefordert worden, daß der Kandidat oder die Kandidatin für Lulas Nachfolge im Präsidentenamt von der Partei bestimmt werden solle, falls nötig durch eine Abstimmung unter den Anhängern. Lula jedoch scheint die Frage lieber auf seine Art lösen zu wollen, wohl auch um internen Querelen und möglichen Machtkämpfen zuvorzukommen. »Ich sähe es gern, wenn Brasilien nach mir von einer Frau regiert würde; und es existiert auch eine adäquate Person: Dilma Rousseff«, so Lula in Rom, auch wenn er gleichzeitig einräumte, mit der Ministerin noch nicht über eine mögliche Kandidatur gesprochen zu haben.

Die Tatsache, daß der Präsident seinen Wunsch nun erstmals offiziell verkündete, hat einigen Wirbel entfacht, dürfte aber vor allem der Opposition gefallen haben, allen voran der Sozialdemokratischen Partei Brasiliens PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira), die sich nun schon darauf einstellen kann, mit wem sie sich voraussichtlich im Jahr 2010 auseinanderzusetzen hat -- bei den ersten Präsidentschaftswahlen seit fast 20 Jahren, bei denen Lula nicht als Kandidat antreten wird.

Ohne Zweifel wird Lula versuchen, seine Popularität einzusetzen, damit Rousseff als erste Frau ins Präsidentenamt gewählt wird. Nach Chile und Argentinien würde dann auch Brasi­lien von einer Präsidentin regiert werden. Eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht. So reichte die Popularität des Präsidenten bei den jüngsten Kommunalwahlen beispielsweise nicht aus, um Marta Suplicy, die Kandidatin der PT und Lulas, ins Bürgermeisteramt von São Paulo zu hieven.

* Aus: junge Welt, 21. November 2008


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