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"Wer senden will, muss den lokalen Machthabern gefällig sein"

Brasiliens Basisaktivisten drängen auf eine Demokratisierung der Medienlandschaft

Von Andreas Behn, Brasilía *

Die Erwartungen der sozialen Bewegungen in Brasilien an die erste Nationale Kommunikationskonferenz (Confecom) war groß: Sie soll die Demokratisierung der Medien einleiten.

»Das Recht auf Kommunikation ist ein Menschenrecht und Teil der Meinungsfreiheit. Eine Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht, muss allen Menschen dieses Recht zugestehen«, erklärt Pia Maria Matta, die lateinamerikanische Vizepräsidentin des Weltverbands der Freien Radios Amarc. Solange dieses Recht nicht garantiert sei, könne sich keine Demokratie und auch keine nachhaltige Entwicklung entfalten.

Mitte Dezember nahm Pia Matta, Mitarbeiterin des feministischen freien Senders Radio Tierra in Santiago de Chile, an der ersten Nationalen Kommunikationskonferenz (Confecom) in der brasilianischen Hauptstadt Brasilía teil. Gemeinsam mit anderen Aktivisten und Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft plädierte sie dafür, die Kommunikation und die entsprechende Gesetzgebung in Brasilien zu demokratisieren, um dem Oligopol einiger weniger Medienunternehmen mehr Meinungsvielfalt entgegenzusetzen.

Josue Franco kritisierte im Namen des Verbands der Freien Radios (Abraço), dass kommunitäre Radios ungerecht behandelt werden: »Der brasilianische Staat hält sich nicht an den Menschenrechtspakt von San José, die Menschenrechtscharta der UNO und nicht einmal an die eigene Verfassung, indem er Gemeinderadios in der Praxis nicht erlaubt, zu senden.« Obwohl viele dieser kleinen Sender einen Lizenzantrag gestellt, die Beteiligung der Gemeinde organisiert und alle bürokratischen Anforderungen erfüllt hätten, warteten sie oft jahrelang, ohne dass das Kommunikationsministerium über den Lizenzantrag entscheide, beklagt der Journalist Franco. Abraço forderte auf der Confecom eine Amnestie für die mehr als 4000 Mitarbeiter Freier Radios, die wegen ihrer journalistischen Arbeit in nicht legalisierten Sendern strafrechtlich verfolgt werden sowie eine Revision der Gesetzgebung, die die kommerziellen Medien bevorteilt.

Über 80 Prozent des Medienmarktes in Brasilien werden von weniger als zehn Medienunternehmen kontrolliert. Sie bestimmen, was die Menschen zu sehen und zu hören bekommen, sei es in der Politik oder der Kultur. Medienkritiker argumentieren, dass sie die Macht besitzen, die öffentliche Meinung zu manipulieren und in vielen Bereichen bis hin zu Wahlen die politischen Geschicke des Landes mit zu bestimmen. Der Wissenschaftler Venicio de Lima veröffentlichte vergangenes Jahr eine Studie, der zufolge die Vergabe von Frequenzen und Lizenzen für Funk und Fernsehen bis heute in den meisten Fällen ein politisch Tauschgeschäft ist: Wer senden will, muss den jeweiligen lokalen Machthabern gefällig sein. So werden bestehende Machtstrukturen festgeschrieben und gesellschaftliche Veränderungen erschwert. Insbesondere in ländlichen Gebieten und in der Amazonasregion, wo soziale sowie ökologische Rechte mit Füßen getreten werden, verhindert das Fehlen unabhängiger Medien so die dringend notwendige Entwicklung.

Um diesen Missstand zu verändern, forderten soziale Bewegungen und Vertreter alternativer Medien seit Jahren die Einberufung einer Nationalen Kommunikationskonferenz (Confecom). Erst im Januar dieses Jahres konnte sich Präsident Lula - gegen die vehementen Vorbehalte des von kommerziellen Medien beeinflussten Kommunikationsministers Helio Costa - dazu durchringen, auf dem Weltsozialforum in Belém die erste Confecom anzukündigen.

Solche Nationalen Konferenzen dienen in Brasilien dazu, die Ansichten und Vorschläge der Zivilgesellschaft, von Nichtregierungsorganisationen (NRO) über soziale Bewegungen bis hin zum Unternehmersektor, in Politik und Gesetzgebung aufzunehmen. Die Konferenzbeschlüsse sind nicht bindend, aber die Erfahrung zeigt, dass weder Regierung noch Verwaltung sie auf Dauer ignorieren können. Zu vielen brisanten Themen wurden bereits mehrere Konferenzen abgehalten, darunter Gesundheit, Bildung, Homosexualität oder Stadtplanung.

Die Themenpalette der Confecom war umfassend. Es ging um die Vergabe von Frequenzen, Kriterien für Werbung, Medienförderung und -finanzierung, neue Medien im Internet, Eigentumsverhältnisse und Meinungsvielfalt. Vertreter nichtkommerzieller Medien haben vor allem eine öffentliche, paritätische Kontrolle aller Medien in Bezug auf Informationspflicht, Berücksichtigung regionaler Kultur, Kinderschutz in der Werbung, Transparenz bei der Frequenzvergabe und Schutz vor Diskriminierung auf die Tagesordnung gesetzt.

Für die privaten Medienverbände sind solche Forderungen gleichbedeutend mit Zensur und einer Einschränkung der Pressefreiheit. Obwohl die Confecom von Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva eröffnet wurde und die Durchführung solcher Konferenzen Teil der demokratischen Spielregeln in Brasilien ist, boykottierten die wichtigsten Vereinigungen privater Medien die Veranstaltung. Unter ihnen die Mediengruppe »Globo«, die insbesondere im Fernsehbereich eine landesweite Vormachtstellung innehat. Die Tageszeitung »Jornal do Globo« kommentierte nach Ende der Konferenz: »Wie zu erwarten, hat die Confecom Vorschläge verabschiedet, die sich gegen die Presse- und Meinungsfreiheit richten, Einfluss auf die Redaktionen nehmen wollen.«

Es gibt kaum ein Thema in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten von Venezuela über Bolivien bis hin zu Argentinien, bei dem sich die Meinungen derart unversöhnlich gegenüberstehen, wie beim Thema Medienkontrolle. Denise Viola, Redakteurin des staatlich-öffentlichen Senders Radio MEC und Vertreterin des Netzwerks von Frauen in der Kommunikation, hat kein Verständnis für die Sichtweise der Globo-Gruppe: »Zensur funktioniert von oben nach unten, sie ist ein willkürliches Instrument. Soziale Kontrolle von Medien hingegen ist genau das Gegenteil.« Sie gebe der gesamten Gesellschaft die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, was und wie die Massenmedien kommunizieren, erklärt Viola.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2009


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