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Für das Modell Lula

Brasilien: Wahlen im Oktober. Kongreß der Arbeiterpartei will Dilma Rousseff zur Präsidentschaftskandidatin für Wahlen im Oktober küren

Von Andreas Behn (npl), Rio de Janeiro *

Offiziell hat der brasilianische Wahlkampf zwar noch nicht begonnen. Doch für Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Arbeiterpartei, PT) steht schon seit langem fest, wer nach den Abstimmungen im Oktober seine Nachfolge antreten und das Projekt eines »wirtschaftlich erfolgreichen sowie sozialen Brasiliens« fortführen soll. Insofern bildet der am heutigen Donnerstag beginnende vierte Nationalkongreß der Partido dos Trabalhadores eine ideale Möglichkeit, die Basis auf Dilma Rousseff einzuschwören. Die 62jährige ist derzeit Kanzleramtsministerin und als langjährige politische Weggefährtin eine der engsten Vertrauten des scheidenden Präsidenten. Gründe, sie der Partei näherzubringen, gibt es allemal, denn der Politikerin aus dem südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul mangelt es an Charisma und politischer Überzeugungskraft. Um sie bei den Wählern bekannter zu machen, ernannte Lula die Wirtschaftswissenschaftlerin im vergangenen Jahr zur Chefin des Wachstumsbeschleunigungsprogramms PAC. Seitdem touren beide gemeinsam durch das Land und weihen neue Schulen, Straßen und Großbauwerke ein.

Die rechte Opposition und ein Großteil der Presse bemühen sich derweil, Rousseff als konturlosen Schatten Lulas in Mißkredit zu bringen. Sie habe weder ein eigenes Profil noch ein eigenes Programm, so der Tenor. Zudem wird der ehemaligen Guerillera unterstellt, die Rolle des Staates in Wirtschaft und Politik ausbauen und das Land weiter nach links rücken zu wollen. PT-Parteichef José Eduardo Dutra kontert: »Wir wollen die Staatsbetriebe stärken, wie wir es seit Beginn unserer Regierung tun. Sie (die Rechten) sprechen von chinesischen Komponenten oder davon, daß wir uns an Venezuela orientieren. Oder kann es vielleicht sein, daß die Opposition gegen die Stärkung des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras ist?«

Aber auch viele Linke in Brasilien sind keineswegs überzeugt von Dilma Rousseff. Im Gegensatz zur Propaganda der Rechten fürchten sie zu Recht, daß sie Lulas auf unbedingte Entwicklung und Wirtschaftswachstum ausgerichtete Politik bis ins Detail fortsetzen wird. Das bedeutet im Klartext: generöse Staatshilfen für die Großindustrie, Bevorzugung des Agrobusineß und keinerlei ökologische Skrupel, wenn es um Staudammprojekte geht.

Der scheidende Präsident hingegen ist sich seiner Sache sicher. Nach wie vor erfreut sich seine Politik im Inland unglaublicher Beliebtheit, im Ausland gilt er als der große Macher. Eine Kandidatin der Kontinuität, so sein Kalkül, kann nur verlieren, wenn sie sich richtig große Patzer erlaubt. Uneingeschränkte Unterstützung bekommt Rousseff von der verarmten Mehrheit der Brasilianer, vor allem im Norden und Nordosten des Landes. Denn diese Regionen profitieren besonders von den Sozialprogrammen der Regierung. Und auch Unternehmer und Finanzwelt stehen der Fortsetzung des präsidialen Kurses wohlwollend gegenüber, da er ihnen in den vergangenen Jahren Stabilität und große Gewinne gebracht hat.

Selbstbewußt setzt Lula derweil darauf, die kommenden Wahlen in ein Plebiszit zu verwandeln: Seine Politik gegen die seiner Vorgänger, oder: das Modell Lula gegen das Modell von Expräsident Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) von der sozialdemokratische Partei Brasiliens (PSDB). Seit Wochen wetteifern die beiden darum, wessen Regierung erfolgreicher gewesen ist, wer mehr gebaut hat oder wessen Politikprojekt das beste ist - Lulas Kapitalismus mit starkem Staat oder Cardosos Neoliberalismus. Für die PSDB wird voraussichtlich Cardosos ehemaliger Gesundheitsminister José Serra zum Duell antreten.

Die bisher in anderen Parteien gehandelten Kandidaten haben kaum eine Chance, die Stichwahl zu erreichen. Das gilt auch für Marina Silva, die wahrscheinlich für die kleinen brasilianischen Grünen antreten wird. Nach Jahren an der Spitze des Umweltministeriums hatte sie der Lula-Regierung im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt, just weil ihr die PAC-Politik von Rousseff jeden politischen Spielraum nahm.

Dennoch gibt es für die PT-Strategen auf dem Parteikongreß noch Herausforderungen. Vor allem muß die breite Bündnispolitik - das Erfolgsrezept der zweiten Legislaturperiode Lulas - gegen Regionalinteressen in einigen Bundesstaaten durchgesetzt werden. Ohne eine solche Allianz, die rechte wie linke Parteien und korrupte wie integere Politiker aller Couleur umfaßt, kann auch Dilma Rousseff keine stabile Regierung bilden.

* Aus: junge Welt, 18. Februar 2010


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