Geldwäsche mit bestechendem System
Korruptionsskandal bringt Regierungspartei Brasiliens in Bedrängnis
Von Andreas Behn, Rio de Janeiro *
Der Verlauf des größten Korruptionsprozesses
in der brasilianischen Geschichte
bringt die Regierungspartei
PT in Bedrängnis. Nach 16 Verhandlungstagen
befand die Mehrheit der
Richter am Obersten Gerichtshof Ende
vergangener Woche mit João Paulo
Cunha einen wichtigen PT-Politiker
für schuldig.
Die Einschläge kommen näher: Mit
João Paulo Cunha, Bundesabgeordneter
und ehemaliger Parlamentspräsident,
wurde ein hochrangiger
Parteifunktionär der Arbeiterpartei
PT der Veruntreuung
öffentlicher Gelder, passiver Bestechung
und Geldwäsche überführt.
Cunha kündigte daraufhin
an, seine Kandidatur als Bürgermeister
der Stadt Osasco bei den
Lokalwahlen im Oktober zurückzuziehen.
38 ehemals hochrangigen Politikern,
Bankiers und Unternehmern
wird seit Anfang August der
Prozess gemacht. Unter ihnen José
Dirceu, Kabinettschef und Vertrauter
von Luis Inacio »Lula« da
Silva in dessen Zeit als Präsident
(2002-2010). Die Bundesstaatsanwaltschaft
wirft ihm vor, der
Drahtzieher eines ausgeklügelten
Korruptionssystems gewesen sein.
Von 2003 bis zur Aufdeckung des
Skandals im Jahr 2005 soll die Regierungspartei
illegal Gelder beschafft
haben, um bei der Abstimmung
von wichtigen Regierungsvorhaben
die Stimmen von
Abgeordneten zu kaufen. Diese
Monatszahlungen haben dem
Skandal seinen Namen gegeben –
Mensalão.
Neben Cunha wurden bislang
mehrere hohe Bankangestellte und
Unternehmer verurteilt, unter ihnen
der Werbeunternehmer Marcos
Valério. Er gilt als Chef-Organisator
der illegalen Geldbeschaffung
und ist schon früher korrupter
Machenschaften beschuldigt
worden. Das Strafmaß wird
erst am Ende des gesamten Prozesses
verkündet.
Die komplizierte Strafprozessordnung
sieht vor, dass jeder der
acht Anklagepunkte von allen
Richtern nacheinander begutachtet
wird. So kann sich das Verfahren
noch viele Wochen hinziehen.
Erst am Ende steht der gewichtigste
Vorwurf der Bildung einer
kriminellen Vereinigung auf
der Tagesordnung, der neben Dirceu
weitere Führungspersonen der
Lula-Regierung betrifft.
Die Verteidigung von Dirceu
kündigte am vergangenen Wochenende
an, beim Obersten Gericht
Beschwerde gegen die Beweisführung
von Bundesstaatsanwalt
Roberto Gurgel einzulegen.
Dieser berief sich mehrfach
mangels anderer Beweise auf Zeugenaussagen.
Für Verteidiger Oliveira
Lima ist ein solches Vorgehen
rechtlich nicht haltbar. »Eine
Verurteilung ohne stichhaltige Beweise
zu fordern, ist ein Verstoß
gegen die Verfassung«, so der Anwalt
des einstigen Präsidialministers.
Die PT, die mit Präsidentin Dilma
Rousseff weiterhin das größte
Land Lateinamerikas regiert, befürchtet
aufgrund der Aufarbeitung
des Skandals Stimmeneinbußen
bei den kommenden Wahlen.
Aus ihren Reihen wird der
Prozess als politisch motiviert kritisiert.
Zudem werde mit zweierlei
Maß gemessen, da viele Korruptionsfälle
anderer Parteien bis
heute nicht vor Gericht verhandelt
werden. Dieser Vorwurf betrifft
vor allem die Partei der Brasilianischen
Sozialdemokratie, die
größte Oppositionspartei, die im
Jahr 1998 ein ähnliches Korruptionssystem
mit Schwarzen Kassen
unterhielt. Wichtigster Akteur
war auch damals der Unternehmer
Valério. Erst Jahre später bot
er seine Dienste auch der PT an,
wofür er auf der Anklagebank sitzt.
Auch Generalstaatsanwalt
Gurgel erwähnte in seinem Plädoyer,
dass sein Angeklagter Valério
sich bereits früher der Korruption
schuldig gemacht habe.
Laut der Zeitschrift »Carta Capital
« ist das anhaltende Desinteresse
der Justiz an einer Aufarbeitung
der damaligen Affäre politisch
motiviert. Sie präsentierte
ein Dokument aus dem Jahr 1998,
in dem die Empfänger von Bestechungsgeldern
aufgelistet werden.
Unter ihnen Gilmar Mendes, einer
der Obersten Richter, die jetzt über
den Mensalão urteilen.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 05. September 2012
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