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"Ihr seid unsere Brüder"

Neues brasilianisches Amnestiegesetz könnte bis zu 200000 Immigranten ohne Papiere legalisieren. Präsident da Silva preist "Vorbildcharakter"

Von Andreas Knobloch *

Bis zu 40 Millionen Menschen mußten im vergangenen Jahr ihre Heimat verlassen. Zwei Drittel der Migrantenströme, so das Flüchtlingshilfswerk UNHCR, bewegten sich auf der südlichen Halbkugel. Bei den Süd-Süd-Flüchtlingen vor Hunger, Krieg, Gewalt und Naturkatastrophen handelt es sich zu zwei Dritteln um Frauen und Kinder.

In Brasilien als »Schwellenland« - so Schätzungen - leben derzeit Hunderttausende ohne gütige Papiere. Sie sind betroffen von Ausgrenzung, Rechtlosigkeit, dem Ausschluß von Bildungs- und Gesundheitswesen, vom Zwang zur Kriminalität. Brasilien versucht derzeit, das Problem auf gesetzlichem Weg anzugehen. Einwanderer können demnach legalisiert werden. Für Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva hat das neue Gesetz sogar Vorbildcharakter für die »Industriestaaten der Ersten Welt«. Während die reichen kapitalistischen Staaten des Nordens in der Regel repressiv reagieren und die Einwanderer unter anderem als Problem für den heimischen Arbeitsmarkt bezeichnen, so Lula, würden in Brasilien ihre Rechte anerkannt. »Wir haben den Immigranten gesagt: Ihr seid unsere Brüder, und ihr seid hier, um Brasilien zu helfen, weiter zu wachsen«.

Jenseits von Lulas Pathetik ist das neue Gesetz zwar keine Revolution, aber doch ein Schritt zu einer progressiven brasilianischen Einwanderungspolitik. Ausländer, die vor dem 1. Februar dieses Jahres ins Land eingereist sind, haben nun die Möglichkeit, einen Antrag auf ein temporäres Aufenthaltsrecht von zunächst zwei Jahren zu stellen. Nach Ablauf der Frist kann dieses in einen permanenten Aufenthaltstitel umgewandelt werden. Einmal eingebürgert, kommen ihnen dieselben Rechte wie den brasilianischen Staatsbürger zu. Allerdings bleiben sie vom Wahlrecht und vom Zugang zu öffentlichen Posten ausgeschlossen. Außerdem unterliegen die Betroffenen einem Procedere, das für viele nur schwer zu bewältigen ist: So sollen sich die Illegalen innerhalb von 180 Tagen mit einem Dokument, das das Datum der Einreise nachweist, bei den Behörden zu melden.

Um schließlich nach zwei Jahren den endgültigen Aufenthaltsstatus zu bekommen, müssen weitere strikte Vorgaben erfüllt werden wie der Nachweis eine Arbeitsplatzes. Sie müssen in der Lage sein, ihre Familie zu versorgen und dürfen weder Steuerschulden haben noch straffällig geworden sein. Zudem dürfen sie während der zwei Jahre nicht mehr als 90 Tage außerhalb Brasiliens verbracht haben.

Offizielle Zahlen über die illegale Einwanderung in Brasilien liegen nicht vor. Doch schätzen Nichtregierungsorganisationen, daß bis zu 200 000 Menschen ohne Papiere von der neuen Regelung profitieren könnten; die Mehrheit von ihnen sind Chinesen und Bolivianer, gefolgt von Paraguayern und Peruanern. Massive Kritik kam von konservativer Seite. Brasi­liens Rechte berief sich dabei auf den »weltweit restriktiven Umgang mit illegaler Migration«. Die Regelung helfe weder, illegale Einwanderung zu stoppen, noch Menschenhandel oder Drogenschmuggel zu bekämpfen. Flüchtlingsgruppen und andere NGO feierten dagegen die neuen Regelungen als Errungenschaft, die helfen werde, »die Situation vieler zu humanisieren«, wie Grover Calderón, Präsident der Nationalen Vereinigung von Ausländern und Immigranten (Aneib), meinte.

So oder so bleiben die Flüchtlinge einem zunehmenden Rassismus ausgesetzt. Vor allem Einwanderer aus den Andenstaaten und Paraguay sind Zielscheibe von ausländerfeindlichen Kampagnen.

* Aus: junge Welt, 27. Juli 2009


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