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Eukalyptus statt Weizen

Neue Riesenplantage auf Ackerland – brasilianische Kleinbauern wehren sich gegen skandinavischen Holzmulti Stora Enso

Von Linus Atarah, IPS *

Aus Sorge um ihre Ernährungssicherheit machen brasilianische Kleinbauern und Landarbeiter gegen den finnisch-schwedischen Holzmulti Stora Enso und dessen angebliche Pläne mobil, im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul 2500 Hektar Agrarland in eine Eukalyptusplantage umzuwandeln. Ein einziger Baum dieses schnellwachsenden Rohstoffs für die Zelluloseproduktion verbraucht täglich 30 Liter Wasser. Erst kürzlich hatte der Großkonzern im waldreichen Nordfinnland eine Zellstofffabrik geschlossen. In deren 200 entlassenen Arbeitern fand die brasilianische Bewegung landloser Kleinbauern (MST) nun Mitstreiter gegen die Aktivitäten von Stora Enso in Rio Grande do Sul.

Als MST-Koordinator Ulysses Campos kürzlich Finnland besuchte, sagte er in einem Gespräch mit IPS: »Es ist falsch, Agrarland für Monokulturen und für den Anbau von Viehfutter wie Soja zu nutzen, wenn weltweit die Nahrungsmittelpreise steigen.« Brasiliens Regierung gab er die Hauptschuld an der Ausdehnung von Plantagen mit Monokulturen.

Nach Ansicht der Landlosenbewegung verstößt Stora Enso mit dem Landkauf in Rio Grande do Sul nahe der Grenze zu Uruguay zudem gegen ein 29 Jahre altes brasilianisches Gesetz, das ausländischen Unternehmen Landbesitz innerhalb eines 150 breiten Grenzstreifens verbietet. Um das Gesetz zu umgehen, habe Stora Enso in Brasilien zwei Tochterfirmen etabliert, berichtete Campos. Eine davon ist »Azenclever Agropecuaria«.

Stora Enso weist den Vorwurf zurück, illegal gehandelt zu haben, »Wir haben nichts dergleichen getan und werden uns weiterhin auf brasilianische juristische Beratung verlassen«, sagte die im Unternehmen für die Beziehungen zu Investoren und zur Finanzwelt zuständige Vizepräsidentin Ulla Paajanen-Sainio.

Azenclever Agropecuaria gehöre zwei brasilianischen Mitarbeitern von Stora Enso, so die Firmensprecherin. Der schwedisch-finnische Konzern habe lediglich das Kapital für den Landkauf beigesteuert und unterhalte keine formellen Beziehungen zu der brasilianischen Firma, versicherte sie. »Jetzt müssen die lokalen Behörden entscheiden, ob wir anfangen können, dieses Land so zu nutzen, wie wir es vorhaben.«

Bislang habe Stora Enso noch nicht entschieden, ob auf dem in Rio Grande do Sul erworbenen Land Eukalyptus oder etwas anderes angepflanzt werden soll, sagte Paajanen-Sainio.

»Unmoralisch«

Die Landaktivisten geben sich mit dieser Erklärung des Konzerns nicht zufrieden. »Selbst wenn sich Stora Enso in Brasilien legal verhält, sind wir dagegen, daß auf dem für die Produktion von Nahrungsmitteln bestimmten Agrarland Monokulturen entstehen. Das ist illegal und unmoralisch«, erklärte Campos. Wie er berichtete, verhandle der finnisch-schwedische Holzgigant bereits mit der brasilianischen Regierung über den Ankauf von 10000 Hektar Land in der Nähe der 2100 Hektar großen Farm »Taruma«. Sie war im März von rund 900 Aktivisten der Nichtegierungsorganisation La Via Campesina, überwiegend Frauen, besetzt worden. Ihre Protestaktion, die die Polizei gewaltsam beendete, richtete sich gegen das Agrobusineß, das ihre Ernährungssicherheit gefährdet.

Nach Angaben von Campos liegen Stora Ensos bisherige brasilianische Eukalyptusplantagen in einem Gebiet mit riesigen Grundwasservorkommen, die noch 300 Jahre reichen könnten. Dieses wertvolle Reservoir werde durch den hohen Wasserverbrauch des Eukalyptus vorschnell aufgebraucht, warnte der Koordinator der Landlosenbewegung.

Dicht gemacht

Auch in Finnland protestieren Betroffene gegen die von Stora Enso verfolgte Konzernpolitik, die Produktion aus den heimischen Wäldern in lateinamerikanische Länder wie Brasilien und Uruguay zu verlagern. Durch die Schließung der Zellulosefabrik im nordfinnischen Kemijärvi wurden 200 Beschäftigte arbeitslos. Etliche der entlassenen Arbeiter sind in der Gruppe »Massaliike« organisiert, die gegen die Schließung protestiert. »Mehr als 100 Arbeiter, die nicht wegziehen, um in Südfinnland nach einem neuen Job zu suchen, bleiben erwerbslos«, warnte der Massaliike-Vorsitzende Juha Pikkarainen. Der finnischen Regierung, die 37 Prozent der Stora-Aktien besitzt, warf er vor, nicht gegen die Schließung interveniert zu haben.

»In Helsinki ist derzeit eine rechtskonservative Regierung im Amt, die sich nicht in staatliche Unternehmen einmischen will«, kritisierte er und fügte hinzu: »Die größten Verlierer sind die Waldbesitzer in der Umgebung. Ihnen fehlt jetzt der Absatzmarkt für ihr Holz, und damit sind Millionen in die Forstwirtschaft investierte Euros verloren.«

* Aus: junge Welt, 20. Juni 2008


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