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Flussumleitung in Brasilien

Abholzung und Umsiedlung am Rio São Francisco trotz Protesten

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Allen Protesten und Warnungen von Umweltschützern, Wissenschaftlern, Menschenrechtlern, Fischern, Kleinbauern und Ureinwohnern zum Trotz: Brasiliens Regierung wird den drittgrößten Fluss des Landes, den rund 3160 km langen Rio São Francisco, teilweise umleiten, um – so die offiziellen Verlautbarungen – die Wasserversorgung im Nordosten zu verbessern.

Das mit der Umsetzung der ersten Bauphase betreute 2. Ingenieursbataillon des brasilianischen Heeres ist bereits vor Ort in der Gemeinde Cabrobó und rodet Ufervegetation und Caatinga-Wald auf den ersten Kilometern von insgesamt rund 720 Kilometer Kanalbauten auf einer Breite von 25 Metern. Wie die lokale Tageszeitung »O Tempo« berichtet, wurden bereits einige Kleinbauern- und Pächterfamilien aus den Kanalbau- und geplanten Staudammgebieten ausgesiedelt.

Für Bischof Dom Luís Flávio Cappio, dessen Hungerstreik gegen die so genannten Transposição des São Francisco Oktober 2005 international Schlagzeilen machte, bedeutet die rücksichtlose Umsetzung des Projekts mit Hilfe des Heeres ein Rückfall in die Zeit der Militärdiktatur. In einem Interview mit »O Tempo« klassifiziert der Bischof das Projekt als eine »Aggression gegen die Umwelt, die Volkswirtschaft und gegen die brasilianischen Bürger«. Das Projekt sei ein Umweltfrevel, weil es einem bereits unter den Staudämmen von Sobradinho und Itaparica, städtischen Abwässern, Abholzung und Bodenerosion leidenden Fluss das Wasser entzieht. Und es ist eine ökonomische Fehlplanung, weil es erheblich kostengünstigere Alternativen zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung im Nordosten Brasiliens gebe, wie zum Beispiel den Bau von Zisternen.

Insgesamt werde das Tausende von Tonnen Zement benötigende, aus Kanälen, Pumpstationen und mehreren Staudämmen bestehende »Pharaonendenkmal« der Regierung Lula in den nächsten Jahren über zwei Milliarden Euro verschlingen – bei nach Fertigstellung jährlichen Betriebskosten von geschätzten 30 Millionen Euro. Hauptprofiteure des Projektes: die Stahlindustrie Fortalezas, die exportorientierte Fruchtanbau- und die Garnelenzuchtbranche in den Mangrovengebieten sowie die Zucker- und Ethanolbarone des Nordostens. Schon 2005 frohlockte der Präsident des Industrieverbandes der Zucker- und Alkoholproduzenten von Pernambuco, Renato Cunha, die Transposição werde seinem Verband eine deutliche Ausweitung des Zuckerrohranbaus um bis zu 130 000 Hektar in Pernambuco und Bahia ermöglichen. Es gelte den neuen nationalen und internationalen Absatzmarkt für Bioalkohol als Treibstoff sowie für die Biodieselherstellung aus Soja-, Palm-, und Rizinusöl zu decken.

Bereits vor 12 Jahren, 1995, so der Forscher João Suassuna von der Fundação Joaquim Nabuco, hätten Wissenschaftler vor der Teilumleitung des im Volksmund »Alter Cico« genannten Flusses gewarnt. Seitdem hätten renommierte Forscher wie der Geograf und emeritierte Professor Aziz Ab'Sáber von der Universität São Paulo auf Konferenzen, in Studien und Artikeln auf die negativen ökologischen wie sozialen Folgen des obendrein für die volkswirtschaftlich sinnlosen Projekts hingewiesen. Auch das Komitee der Bacia Hidrográfica do Rio São Francisco (CBHSF) kritisierte frühzeitig die Entscheidung für die Transposição. Sie ignoriere andere, viel wichtigere Prioritäten, um die Wasserversorgung im trockenen Nordosten zu verbessern. Das Komitee zeigt sich darüber hinaus ebenso besorgt über den von der Atomlobby in Lulas Regierung geforderten Bau von zwei neuen Kernkraftwerken am Rio São Francisco.

Neben einigen Kleinbauern- und Pächterfamilien, die ihre Häuser bereits haben räumen müssen, sind die ersten Hauptbetroffene der Transposição des São Francisco die rund 9000 Tumbalalá- und Truká-Indianer bei Cabrobó. Der Schamane der Truká-Gemeinde von Cabrobó, Antônio Cirilo de Sá, ist zwar desillusioniert, weil alle ihre Proteste und Argumente gegen das Mammutprojekt nicht gehört wurden. »Seit dem Bau des Staudammes von Sobradinho leben wir unter größten Schwierigkeiten. Wir verloren unsere fruchtbaren Felder an den Ufern des São Francisco und die Fische im Fluss wurden weniger« beklagt der Schamane. »Das Absenken des Flusses wird nun noch mehr Hunger bringen, das Fischen und unseren Reisanbau noch weiter erschweren.« Gegen die vom Militär durchgeführten Bauarbeiten zur Teilumleitung des Alten Cico haben dennoch die Betroffenen sowie projektkritische Bürgerinitiativen Proteste angekündigt.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2007


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