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Börsenleader Brasilien

Beim lateinamerikanischen Schwergewicht boomen die Aktienkurse

Von Knut Henkel *

Brasilien ist von der Weltwirtschaftskrise nur schwach getroffen worden. Ein Hauptgrund dafür, dass es dort an der Börse steil nach oben geht.

In der weltweiten Börsenhitliste ist dem Standort São Paulo die Poleposition aktuell nicht zu nehmen. Als Geheimnis des Erfolges gilt die Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva. »Bei uns hat der neue Wachstumszyklus bereits begonnen«, frohlockt Finanzminister Guido Mantega. Der ehemalige Vorstand der brasilianischen Entwicklungsbank hat allen Grund zur Freude, denn sein Land wurde als letztes von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erwischt und lässt als erstes die Krise hinter sich. Anders als in Europa oder den USA werden in Brasilien auch dieses Jahr schwarze Zahlen geschrieben. Im Oktober waren es bereits 2,2 Prozent Wachstum und Finanzminister Mantega rechnet für das ganze Jahr mit etwa einem Prozent Wachstum.

Es könnte auch etwas mehr sein, denn die Wirtschaft der derzeit achtstärksten Wirtschaftsmacht der Welt macht ihrem Ruf als Lokomotive Lateinamerikas alle Ehre. Anders als die Nummer zwei, Mexiko, ist Brasilien nur kurz ins Trudeln gekommen und hat sich schnell wieder gefangen. Das liegt auch daran, dass die Wirtschaft des Riesenlandes längst nicht mehr nur von Soja, Eisenerz und anderen Rohwaren abhängt, sondern auch Hightech exportiert.

Bekanntes Beispiel dafür ist der viertgrößter Flugzeugbauer der Welt, Embraer. Dessen kleine Passagiermaschinen haben einen guten Ruf in der Branche und werden mittlerweile auch bei Air France oder der Lufthansa eingesetzt. Auch an der Börse von São Paulo, ist Embraer ein Zugpferd.

Der Aktienindex Ibovespa legte im November um rund neun Prozent zu und hat seit dem Jahresbeginn seinen Wert sogar um 106 Prozent steigern können. Mitverantwortlich für den Boom ist neben guter Zahlen der Großunternehmen vom halbstaatlichen Ölriesen Petrobrás über das Bergbauunternehmen Vale do Rio Doce bis hin zum Bierbrauer Inbev auch die antizyklische Politik des Staates. Der hat, ähnlich wie die USA und Europa, mitten in der Krise gegengesteuert und kräftig investiert. Präsident Lula trat höchstpersönlich vor die Fernsehkameras und forderte die Brasilianer auf, zu konsumieren statt Spargroschen zu horten. Eine ungewöhnliche Maßnahme, doch die Politik hat erkannt, welches Potenzial der eigene Binnenmarkt mit 200 Millionen Menschen trotz der noch immer grassierenden Armut bietet.

Darauf setzen Lula und sein Finanzminister aber nicht erst seit der Krise. Dafür stehen Agrarprogramme, um mehr und bessere Lebensmittel herzustellen, Wohnungsbauprogramme und der Ausbau der Stromnetze. »Das zieht Folgeinvestitionen in Elektrogeräte wie Kühlschränke, Fernseher und anderes nach sich«, erklärt der Präsident. Auch in der Krise ist es so gelungen, mehr Autos als im Vorjahr zu verkaufen, was anderswo nur dank staatlicher Abwrackprämien gelang.

Ein Erfolgsrezept, zu dem sich auch die erfolgreichen Bewerbungen für die Olympische Spiele 2016 und die Fußballweltmeisterschaft 2014 gesellen, die viele Besucher, aber auch weitere Investoren ins Land holen werden. Für den Bau moderner Stadien sind mehrere Milliarden Real einkalkuliert. Und die Erschließung neuer Erdölfelder vor der Küste wird mehrere Dutzend Milliarden US-Dollar in den nächsten vier, fünf Jahren erfordern. Triftige Gründe, weshalb es auf dem Parkett in São Paulo derzeit hoch her geht.

Lexikon

Die Bovespa (Bolsa de Valores de São Paulo) ist die einzige Börse Brasiliens und mit weitem Abstand die größte Lateinamerikas. Bei Aktien werden in São Paulo rund 70 Prozent des gesamten Handels des Kontinents abgewickelt. Als brasilianisches Börsenbarometer gilt der Ibovespa. Der Index, in dem die 50 größten Aktiengesellschaften gelistet sind, bildet rund 80 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung ab. ND



* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2009


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