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Die dunkle Seite am Sonnensprit

In Brasilien zahlen die Armen und der Regenwald für Bio im Tank

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro*

Ob Biodiesel oder Alkohol aus Pflanzen, hierzulande werden sie vielfach als Rettung des Autoverkehrs vor den zur Neige gehenden Erdölvorkommen gepriesen. Gut für die Umwelt und die Bauern sollen sie außerdem sein. Doch in der Dritten Welt zeigt sich auch die dunkle Seite der Sonnen-Treibstoffe.

Einer meiner ersten Artikel überhaupt behandelte das Thema alternative Treibstoffe. Er trug den Titel »Die Zukunft gehört dem Wasserstoff« und erschien 1988 in der »Deutschen Tagespost«. Er zeigt die Vorteile von pflanzlichen Treibstoffen wie Rapsöl im Vergleich zu Erdöl auf, warnt aber gleichzeitig vor Euphorie. Denn ich hatte das negative Beispiel Brasilien vor Augen, wo schon in den 1980er Jahren die Regierung Ethanol aus Zuckerrohr als Benzinersatz förderte. Während Menschen im Nordosten des Landes verhungerten, opferte die brasilianische Regierung die besten Böden und Regenwaldgebiete dem Autofahren mit dem vermeintlichen Biotreibstoff.

Wie aktuell mein nun schon 18 Jahre alter Artikel ist, zeigt der Tod des brasilianischen Journalisten und Umweltschützers Francisco Anselmo Gomes de Barros. Der 65jährige, in Brasilien als »Francelmo« bekannte Gründer einer der ältesten Naturschutzorganisationen des Landes verbrannte sich vergangenen November öffentlich aus Resignation und Protest gegen die weitere Zerstörung und Vergiftung von Brasiliens Naturressourcen durch Ausweitung des Zuckerrohranbaus und den Bau noch weiterer Ethanolfabriken. Er sah in seinem schrecklichen Tod die einzige Chance, den geplanten Bau von 23 Bioalkoholfabriken im Wassereinzugsgebiet des Pantanal, des größten Feuchtgebiets der Erde, zu verhindern. 1982 noch hatte Francelmo im Verbund mit anderen brasilianischen Umweltschützern ein Gesetz durchsetzen können, dass weitere Ethanolfabriken im Bereich der rund 180 000 Quadratkilometer großen Süßwasserwildnis im Länderdreieck Brasilien, Bolivien und Paraguay verbot, um eine Vergiftung dieses einzigartigen Ökosystems durch Abwässer zu verhindern. Doch genau dieses Gesetz wollte der Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso kippen, um ebenfalls am nationalen und globalen Boom des »Biosprits« zu profitieren.

Brasilien ist der weltweit größte Produzent von Ethanol. Seine Zuckerrohranbaufläche ist auf rund 5,7 Millionen Hektar angewachsen. Jährlich werden damit rund 15 Milliarden Liter Alkohol sowie 26,5 Millionen Tonnen Zucker produziert.

Schon seit langem fahren Brasiliens Autos zu etwa 44 Prozent mit diesem in Europa und in den USA heute als »Biotreibstoff« propagierten Ethanol. Nun will Brasilien auch den Weltmarkt für Biotreibstoffe erobern. Rund 2,5 Milliarden Liter seiner Ethanolproduktion aus Zuckerrohr exportiert Brasilien bereits, vor allem in die USA und nach Indien. Die EU sperrt sich noch, denn Brasilien kann den »Biosprit« um mehr als 50 Prozent billiger produzieren als Europa.

Bislang drehte sich die Biotreibstoff-Diskussion in Deutschland vor allem um die eigenen Bauern und Absatzchancen. Aber wir vergessen, dass wir in einer globalisierten Welt leben, in der am Ende nur noch der Preis zählt. Es ist naiv zu glauben, der Biosprit an der Tankstelle um die Ecke werde künftig vom heimischen Acker kommen.

Doch bereits jetzt ist neben Raps-»Diesel« aus der EU auch Biodiesel aus Palmöl auf dem Markt. Und dieses Palmöl aus der »Dritten Welt« wird unter unerträglichen sozialen und ökologischen Kosten produziert. Dazu gehört die Vertreibung von lokalen Bevölkerungsgruppen ebenso wie Regenwaldabholzung und Gewässervergiftung.

Ein anderer Aspekt in der Diskussion um die so genannten Energiepflanzen steht gleichfalls meist nur zwischen den Zeilen: Die Gentechnik-Fantasien der Life-Science-Forscher. So wurde jüngst im Wissenschaftsjournal »Science« (Vol. 311, S. 435) das Energiepotenzial der Biotreibstoffe hochgelobt. Biotreibstoffe könnten in »umweltverantwortlicher Weise« 30 Prozent der globalen (Treibstoff-)Nachfrage decken, ohne den Nahrungsmittelsektor zu beeinträchtigen, schrieb der Chef-Wissenschaftler von British Petroleum, Steven E. Koonin, im Editorial des Magazins. Als Beispiel wird Brasilien zitiert, ohne auf die großen ökologischen und sozialen Probleme der Zuckerrohrplantagen und der dazugehörenden Fabriken einzugehen.

Dennoch bin ich für den Anbau nachwachsender Rohstoffe. Bauern weltweit bauen schon seit Jahrtausenden parallel zur Nahrung auch Rohstoffe an: Hanf und Flachs zum Beispiel oder Färberwaid. Es ist nur eine Frage des Wie. Unsere landwirtschaftlichen Nutzflächen sind nicht unendlich vermehrbar, und die Gefahren von Pflanzen, in denen beispielsweise Gene eingepflanzt sind, die zur Steigerung der Alkoholausbeute die Bildung von Blühten verhindern, wie in »Science« vorgeschlagen, sind noch lange nicht abschätzbar.

Einer der größten Verbraucher von Naturressourcen ist nun mal der Individualverkehr. Das Auto für jeden, so das Worldwatch Institute, »führt nicht in ein zukunftsfähiges Jahrhundert.« Es ist der falsche Ansatz, lediglich fossile Treibstoffe durch andere auszutauschen und gleichzeitig die Zahl der Autos weiter zu vermehren. Ressourcen- und Flächenverbrauch werden dadurch nicht geringer, die Luft nicht wirklich besser, nur weil die Tankstellen Palm- und Rapsöl oder Ethanol statt Benzin und Diesel verkaufen.

In seinen Abschiedsbriefen an die Medien und Freunde schrieb der Umweltaktivist Francelmo: »In Brasilien sehen wir mit an, wie das Schiff sinkt, und niemand sagt etwas.« Er habe sich selbst verbrannt, weil er es als den einzigen Weg ansah, die Leute wachzurütteln. Und tatsächlich hat seine schreckliche Selbstverbrennung nicht nur landesweit Schlagzeilen erzeugt. Elf Tage nach seinem Tod lehnte eine Regierungskommission den Bau der geplanten Ethanolfabriken im Becken des oberen Rio Paraguay ab. Der zum Teil zum Unesco-Biosphärenreservat erklärte Pantanal mit seinem extremen Tierreichtum von rund 240 Fischarten, 70 Amphibien- und Reptilienarten, 650 Vogelarten sowie 80 großen Säugetierarten, die Serengeti Südamerikas, bleibt vom Biotreibstoffboom verschont – vorerst.

* Dieser Beitrag erschien im "Neuen Deutschland" (Ausgabe vom 6. März 2006).


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