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Nachhaltige Zerstörung

Brasiliens Regierung plant die "Rettung" Amazoniens – für die Wirtschaft. Ein gewandelter Grüner und ein Harvard-Rechtsanwalt sorgen dafür, daß es klappt

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Alle zehn Sekunden stirbt ein Waldstück so groß wie ein Fußballfeld in Amazonien. Die Warnung des Direktors des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (Nationales Institut für Weltraumforschung, Inpe), Gilberto Câmara, die sich auf neueste Satellitenaufnahmen stützte, rückte das Thema zu Monatsbeginn wieder in das Blickfeld einer großen Öffentlichkeit. Die Inpe-Daten der ersten vier Monate dieses Jahres zeigten klar: Die Zerstörung des Amazonaswaldes schreitet 2008 schneller voran als in den drei Jahren zuvor. Dies sind keine guten Vorzeichen für Brasiliens neuen Umweltminister, den alle nur kurz »Minc« nennen. Der einheimische Umweltjournalist und Koordinator des Umweltforums EcoDebate, Henrique Cortez, macht sich keine Illusionen: »In der Praxis wird sich nichts mit Minc im Ministerium ändern.« Das zu sozialen und ökologischen Schäden führende Entwicklungsprogramm der Regierung werde nicht angetastet und das Umweltressort bleibe ein Papiertiger, ein Scheinministerium, so wie es auch Staatspräsident Luiz Inacio »Lula« da Silva wolle.

Mit bürgerlichem Namen heißt der neue Minister Carlos Minc Baumgart. Der 56jährige stammt aus Rio de Janeiro. Bevor er in Lulas Partei eintrat war er einer der Gründer der Grünen Partei Brasiliens und galt lange als »ökologisches Bewußtsein« seiner Heimatstadt. Doch dieses Image litt in den vergangenen knapp zwei Jahren. Ende 2006 wurde Minc zum Landesumweltminister des Hauptstadtbundesdistrikts ernannt. Und eine seiner ersten Amtshandlungen war es, sein eigenes, einst von ihm als einfachem Abgeordneten durchgeboxtes Gesetz zum faktischen Verbot der umweltschädlichen Eukalyptusmonokulturen in Rio de Janeiro, zu Fall zu bringen. Dutzende nationaler und lokaler Umweltschutzgruppen, Bürgerinitiativen und Wissenschaftler schrieben gegen Mincs Freibrief für die Plantagen an, der über kurz oder lang weite Teile Rio de Janeiros in eine »grüne Wüste« zu verwandeln droht.

Abnicken und durchwinken

Als Landesumweltminister nickte Carlos Minc auch die großen umweltzerstörenden Industrieprojekte der Regierung Lula, PAC, Programa de Aceleração de Crescimento, genannt, in Rio de Janeiro ab. Die reichen vom Bau eines riesigen petrochemischen Industriekomplexes bei Itaborai bis hin zum umstrittenen, deutsch-brasilianischen Stahlverarbeitungskomplex »Thyssen Krupp CSA Siderúrgica do Atlântico« in der Bucht von Sepetiba. Schon 2006 klagten lokale Umweltschutzorganisationen und Fischergemeinden gegen das geplante Projekt – vergeblich. Wie von den Kritikern befürchtet, wurden nun während der Bauarbeiten für das ThyssenKrupp-Werks und den Stahlexporthafen in Sepetiba Mangroven abgeholzt, die Bucht mit giftigen Schwermetallen verseucht und wichtige Fischgründe vernichtet, so daß über 8000 eingesessene Fischerfamilien ihre Existenz verloren.

Die weiteren Aktionen Mincs in Rio beschränkten sich auf die Einweihung neuer Unterwasserrohrleitungen, die die Abwässer der 15-Millionen-Metropole faktisch ungeklärt ins offene Meer pumpen, sowie in der Zerstörung von Baracken, die verarmte Einwohner mangels Alternative in städtische Naturschutzgebiete bauten.

In Brasilia nun geht es für den neuen Bundesumweltminister in erster Linie um den sogenannten Schutz des Amazonasregenwaldes. Minc ist dabei nicht allein. Kurz vor Abgang seiner Vorgängerin Marina Silva hatte Präsident da Silva ihr den Harvardabsolventen, Rechtsanwalt und Sonderminister für strategische Fragen, Roberto Mangabeira Unger, als Koordinator des Programms zur Entwicklung Amazoniens (Plano Amazonia Sustentavel) zur Seite gestellt. Insider nehmen an, daß der wie Minc in Rio de Janeiro geborene Deutsch-Brasilianer Unger wohl eine Kröte zu viel für Marina Silva gewesen sei und sie deshalb aufgegeben hatte.

Ein Wolf hütet Schafe

Bereits Ungers im Januar 2008 veröffentlichtes Amazonasentwicklungsprojekt (Projeto Amazonia) sorgte für Aufregung bei Umweltschützern, Menschenrechtlern und Verteidigern der indigenen Völker Brasiliens. Denn die »Transformationspläne« des Sonderministers reichen von der Umleitung von Amazonasflüssen zur Bewässerung Nordostbrasiliens über weitere Großstaudämme und die forcierte Ausbeutung mineralischer Rohstoffe bis hin zur Nutzung der Amazonaswälder zur Zelluloseäthanolerzeugung – alles natürlich unter dem Vorzeichen angeblicher Nachhaltigkeit. Der »Strategieplan für ein Amazonien des 21. Jahrhunderts« sieht außerdem die »Befreiung der Indigenen« von den staatlichen Indianerschutzgesetzen vor – die bislang lediglich die wirtschaftliche Nutzung von Amazoniens Indianerreservaten behinderten.

In einem Interview mit TVBrasil vom 14.Mai machte der renommierte Geograph Aziz Ab Saber von der Universität São Paulo deutlich, was er vom Amazonaskoordinator aus Rio de Janeiro und der aktuellen Regierung Lula hält: Mangabeira Unger habe keine Ahnung von den Tropen und der brasilianischen Geographie. Seine Ernennung zeuge von der Inkompetenz und Unfähigkeit der Regierung »Lula« da Silva in bezug auf Ökologie und Umweltschutz.

* Aus: junge Welt, 14. Juni 2008

Rücksichtslose Profitjagd

Brasilien auf dem Weg zur Weltwirtschaftsmacht

Brasilien ist der größte Staat Südamerikas. Fast 190 Millionen Menschen leben zwischen Belem im Norden und Porto Alegre an der südliche Atlantikküste. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet gut 1,3 Billionen US-Dollar 2007 gehört das Land bereits heute zu den zehn wichtigsten Wirtschaftsmächten der Welt.

Offiziell als Schwellenland eingeordnet, zählt Brasilien dank enormer natürlicher Ressourcen und einer großen Landfläche zu den ökonomisch am schnellsten wachsenden Staaten der Erde. Bauxit, Mangan, Gold, Kohle und Nickel gehören zu den wichtigsten geförderten Bodenschätzen. Vor allem aber machen seine Vorkommen das Land zum größten Eisenerzlieferanten der Welt. Neue Funde vor der Küste lassen die Regierung hoffen, daß Brasilien auch zu einem der führenden Erdölproduzenten aufsteigen könnte. Bereits jetzt werden täglich bis zu 1,5 Millionen Faß (je 159 Liter) gefördert.

Größtes Problem für die Zukunft Brasiliens dürfte weiterhin dessen Oligarchie sein. Gemeinsam mit internationalem Kapital beutet diese die Ressourcen des Landes rücksichtslos aus. Umweltschutz sowie die Rechte der Arbeitenden spielen seit der Regierungsübernahme des Sozialdemokraten und früheren Gewerkschaftsführers Luiz Inacio da Silva zwar verbal ein gewisse Rolle. Tatsächlich jedoch läßt sich die herrschende Klasse nicht bremsen – ihr Goldrausch scheint endlos.

Unter da Silva legte die Regierung zahlreiche wirtschaftliche Großprojekte auf. So soll das Land beim Biokraftstoff zur globalen Nummer eins werden. Dafür werden gewaltige Monokulturen in Kauf genommen, auf Riesenschlägen Zuckerrohr und Soja angebaut. Der Bedarf an neuem Ackerland kennt keine Grenzen. Außerdem zählt Brasilien zu den Regionen der Erde, wo inzwischen großflächig gentechnisch manipulierte Pflanzen angebaut werden. (kf)

(junge Welt, 14. Juni 2008)




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