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Frau Merkel: "Stoppen Sie Agrarsprit aus Brasilien!"

Pressemitteilung und Offener Brief an die Bundeskanzlerin anlässlich Besuchs in Brasilien

Gemeinsame Pressemitteilung von
Rettet den Regenwald / ROBIN WOOD / FDCL / KoBra / BLUE 21


Berlin / Hamburg / Freiburg, 9. Mai 2008

Regenwaldrodung per Regierungsabkommen

Frau Merkel: "Stoppen Sie Agrarsprit aus Brasilien!"



Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Import von Agrarsprit aus Übersee durch ein Energieabkommen zwischen Deutschland und Brasilien fördern, damit Deutschland die hohen Beimischungsziele einhalten kann. Am 12. Mai wird Merkel nach Brasilien fliegen, um den Pakt zur Vernichtung des Regenwaldes zu unterschreiben. In einem offenen Brief an die Kanzlerin protestieren deutsche und brasilianische Organisationen gemeinsam gegen das Abkommen und die Zerstörung von Regenwäldern für die Rohstoffversorgung Deutschlands und der EU.

Um mehr Agrarsprit nach Deutschland exportieren zu können, sollen in Brasilien neue Anbauflächen erschlossen werden. Schon jetzt dringt dort die Agrarindustrie in immer neue Gebiete vor, bedroht unmittelbar wertvolle Ökosysteme wie Cerrado, den Amazonas-Regenwald und den Pantanal, vermindert die regionale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, unterminiert kleinbäuerliche Landwirtschaft, gefährdet die Ernährungssouverainität und Biodiversität und gerät immer stärker in Konflikt mit der Agrarreform.

In Brasilien wird derzeit auf sieben Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut. Etwa die Hälfte des geernteten Zuckerrohrs wandert als Ethanol in den Autotank. Nach Einschätzung der brasilianischen Regierung ist das Marktpotential für Zuckerrohr so groß, dass sich die Plantagen auf 30 Millionen Hektar ausweiten ließen. „Die erhöhte Nachfrage nach Rohstoffen wegen des Agro-Energiebooms hat fatale Folgen für die lokale Bevölkerung, die Artenvielfalt und die Umwelt“, sagt ROBIN WOOD-Aktivistin Steph Grella. „Wir appellieren dringend an Frau Merkel, Verantwortung für Mensch und Natur zu übernehmen und das Abkommen nicht zu unterzeichnen.“

„Was hierzulande fälschlicherweise immer noch als „Bio“-Sprit bezeichnet wird, bedeutet auf der anderen Seite der Erde Vertreibung von Menschen und Vernichtung von Regenwäldern", erläutert Klaus Schenck von der Organisation Rettet den Regenwald. Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva beteuert zwar, für die Produktion von Ethanol würden keine Tropenwaldgebiete in Anspruch genommen, aber die Wahrheit sieht anders aus: „Die monokulturelle Plantagenwirtschaft belegt Flächen, die vormals als Weideland genutzt wurden, so dass die Viehwirtschaft in die Regenwaldgebiete vordringt", erklärt Guadalupe Rodríguez von Rettet den Regenwald.

„Wo es bereits vorher Landrechtskonflikte gab, werden diese durch die Ausweitung des Anbaus von Agrokraftstoffen und den daraus folgenden Run auf Landflächen massiv verschärft", erklärt Kirsten Bredenbeck vom landesweiten Netzwerk der Brasiliensolidarität Kooperation Brasilien - KoBra aus Freiburg. Christian Russau vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika - FDCL ergänzt, dass Zuckerfabriken gezielt Land pachten, um es der Umverteilung im Rahmen der Agrarreform zu entziehen. Aufgrund des Anstiegs der Bodenpreise kann der Staat kaum noch den Landankauf für Kleinbauern im Rahmen der Agrarreform finanzieren. „Es darf nicht sein, dass das geplante deutsch-brasilianische Energieabkommen für die Füllung deutscher Autotanks dazu beiträgt, die Agrarreform in Brasilien zu verhindern!", appelliert Russau.

Die Klimabilanz des vermeintlichen „Bio“-Kraftstoffs ist negativ. Durch Landnutzungsänderungen und Brandrodungen werden bei der Herstellung von Ethanol mehr Treibhausgase freigesetzt, als sie durch Ersatz von Kraftstoffen auf Erdölbasis durch Agrarsprit eingespart werden können. Die ökologischen Folgen der Zuckerrohrplantagen sowie anderer Monokulturen für den Anbau von Biomasse sind verheerend. "Von «CO2-Neutralität» zur Verbesserung der Klimabilanz zu reden, ist im Fall großflächiger Monokulturen für den Agrokraftstoffanbau ein Hohn", urteilt Sandra Schuster von der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung - BLUE 21.

Zudem werden durch den intensiven Einsatz von Pestiziden und Dünger Boden und Wasser vergiftet. Besonders davon betroffen sind die lokale Bevölkerung und die Plantagenarbeiter. Vor allem in trockeneren Gebieten wird der Wasserhaushalt gestört. Je nach Region werden für die Herstellung eines einzigen Liters Ethanol aus Zuckerrohr bis zu 3.500 Liter Wasser benötigt.

Um diese fatale Entwicklung aufzuhalten fordern die NGOs in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Nehmen Sie die obligatorischen Beimischungsziele auf bundesdeutscher und europäischer Ebene zurück! Stoppen Sie alle Importe von Agrarkraftstoffen und von Rohstoffen aus Energiepflanzen aus Übersee einschließlich Brasilien! Stoppen Sie das deutsch-brasilianische Energieabkommen! Ethanol aus Brasilien ist umwelt- und sozialschädlich! Wer die Menschenrechte und den Vorsitz der UN-Biodiversitätskonferenz ernst nimmt, muss Ethanol und andere Agrarenergien aus Brasilien und anderen tropischen Staaten STRIKT ablehnen! Setzen Sie sich endlich für eine grundlegende ökologische Energiewende hierzulande ein!“

D o k u m e n t a t i o n

Offener Brief an Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin


CC
Umweltminister Sigmar Gabriel
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Berlin/Freiburg/Hamburg, 9. Mai 2008

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel,

gemeinsam mit einer großen Zahl befreundeter brasilianischer Organisationen und Gruppen (siehe Anlagen) sind wir sehr besorgt über das angekündigte bilaterale Energieabkommen zwischen Deutschland und Brasilien mit dem Schwerpunkt Agrokraftstoffe. Die Entwicklung der letzten Jahre im brasilianischen Agrotreibstoffsektor widerlegt die Äußerungen von Umweltminister Gabriel zur vermeintlichen Nachhaltigkeit der Agrarkraftstoff-Produktion in Brasilien.

Eine “nachhaltige Produktion” ist allein schon angesichts des anvisierten Maßstabes und induzierten Anbauvolumens von Biomasse nicht möglich. Zudem fehlen praxisüberprüfte, objektive und mit allen Beteiligten gemeinsam erarbeitete Kriterien zu deren Überprüfung.

In Brasilien dringt die Agrarfront vermehrt in neue Regionen vor, bedroht unmittelbar wertvolle Ökosysteme wie Cerrado, Amazonasregenwald und Pantanal, vermindert die regionale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, unterminiert die kleinbäuerliche Landwirtschaft und gerät in immer stärkeren Konflikt mit der Agrarreform. Wie sich hier exemplarisch zeigt, hat der industrielle Anbau von Agrokraftstoffen schwerwiegende negative ökologische, soziale und menschenrechtliche Konsequenzen. Aus diesem Grund lehnen wir den industriellen Anbau von Agrokraftstoffen auf großen Flächen wie auch den Import dieser Produkte aus Übersee nach Deutschland und Europa ab.

Vor diesem Hintergrund möchten wir im Hinblick auf das geplante bilaterale Energieabkommen und der Einschätzung von Sigmar Gabriel zur Nachhaltigkeit der Agrokraftstoffproduktion in Brasilien im Einzelnen auf folgende Punkte und Probleme besonders hinweisen:

Durch ein Ausbleiben “legaler” Agrokraftstoff-Exporte nach Deutschland erhöhe sich, so Sigmar Gabriel, der “Druck zur illegalen Produktion” in Brasilien. Dieser Argumentation können wir nicht folgen. Indes möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass die Anreize für einen Ausbau der brasilianischen Produktion von Agrokraftstoffen gerade von den hiesigen Beimischungszielen ausgehen und in Ländern wie Brasilien u.a. indirekte Landnutzungsänderungen auslösen,. Hierdurch erhöht sich der Druck auf Kulturlandschaften und Ökosysteme, zudem führt dies zu Flächenkonzentrationen, der Zunahme und Verschärfung von Land- und Ressourcenkonflikten, Vertreibungen und zu einem Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel.

Die von Sigmar Gabriel angeführte geplante “Zonierung der Anbauflächen durch die brasilianische Regierung” bietet hierfür keine Lösung, da diese nach Angaben der brasilianischen Gruppen am Reißbrett, ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft, Kleinbauern und betroffenden Indigenen geschieht. Raumordnung ist ohne Zweifel ein unverzichtbares Planungselement, doch sollte diese in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Regierungen und der Zivilgesellschaft erfolgen und deren Interessen und Belange berücksichtigen.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass nach unseren Kenntnissen die von Sigmar Gabriel genannten “100 Millionen Hektar Brachland” in dieser Form in Brasilien nicht existieren. Derartige Zahlen erwecken den Eindruck, dass es sich um unbewohnte und vegetationslose Landflächen handele, die problemlos u.a. zum Anbau von Agrokraftstoffen benutzt werden können. In der Realität sind dies Gebiete wie der Cerrado (Savannenlandschaft), die hierfür zerstört werden sollen. Dies bedeutet nicht nur einen Verlust an Biodiversität, sondern auch, dass vielen Menschen der Lebensraum genommen wird, die von diesem abhängig sind. Sie benötigen ihn als Weideland und zum Sammeln von Früchten, Nüssen, Medizinalpflanzen und Brennholz.

Die aktuelle Zuckerrohranbaufläche von zirka 7 Millionen Hektar (etwa die Hälfte davon für Ethanol) soll auf bis zu 30 Millionen Hektar ausgebaut werden – bei einer derzeitigen bebauten Ackerfläche von 62 Millionen Hektar. Insgesamt sollen in Brasilien etwa 50 Mio ha neue Flächen für den Energiepflanzenmarkt zur Verfügung stehen – das entspricht etwa einem Viertel der noch im Agroplan 2006 der Brasilianischen Regierung geschätzten gesamten potentiell landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Die Umweltminister Gabriel kürzlich von der brasilianischen Regierung vorgelegten Zahlen widersprechen somit offiziellen regierungseigenen Schätzungen und Daten.

Nach Angaben des Zuckerrohrverbands Unica (União da Agroindústria Canavieira de São Paulo) ist bis 2012 der Ausbau der Anzahl von Ethanolfabriken von derzeit 248 auf 325 geplant. Das Gros der neuen Plantagen entsteht derzeit im Dreieck von Minas Gerais, im Süden von Goiás und im Osten von Mato Grosso do Sul.

Hinzu kommt eine enorme Intensivierung der Leistungsanforderungen für Zuckerrohrschneider, die für die Zunahme der Arbeitsunfälle, häufig mit tödlichem Ausgang, verantwortlich ist. Die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse schafft Raum für kriminelle Arbeitsvermittler, die Migranten unter teils menschenunwürdigen Bedingungen für die Zuckerrohrernte anheuern. Die staatlichen Arbeitsinspektoren decken auch in den Zucker- und Ethanolkomplexen immer wieder Fälle von sklavenähnlicher Beschäftigung auf. 52% (3131 von 5974) der „Arbeiter unter sklavereiähnlichen Bedingungen“, welche 2007 durch die „Mobile Eingreiftruppe“ des Arbeitsministeriums befreit wurden, waren in Zuckerrohrfabriken beschäftigt. Insgesamt ist die Zahl der „modernen Sklaven“ und der Arbeiter unter „ausbeuterischen Arbeitsbedingungen“ enorm gestiegen.

Nachhaltigkeit beinhaltet neben wirtschaftlichen auch soziale und umweltliche Aspekte! “Unredlich” ist es, im Zusammenhang mit dem Energie-Abkommen die sozialen, menschenrechtlichen und ökologischen Problemwirkungen eines verstärkten Biomasseanbaus im Ursprungsland Brasilien auszublenden. Die von Sigmar Gabriel angesprochenen Produktionsstandortbedingungen entbehren der Berücksichtigung bestehender Realitäten:

Hunger und Agrarreform: 44 Millionen Menschen sind in Brasilien von extremer Armut betroffen und leiden Hunger. Eine der ersten Maßnahmen der Regierung von Präsident Lula da Silva war deshalb gleich nach Amtseintritt die Gründung eines Ministeriums für Ernährungssicherheit und Hungerbekämpfung, das insbesondere mit der Einführung des nationalen Programms „Null Hunger“ beauftragt wurde. Das Programm ist Kernstück der politischen Strategie der Regierung und soll armen Menschen eine angemessene Ernährung gewähren: “Wenn am Ende meiner Amtszeit alle Brasilianer dreimal am Tag essen können, dann habe ich die Mission meines Lebens erfüllt” verkündete Lula beim Weltsozialforum von Porto Alegre im Januar 2003.”

Schon im vergangenen Jahr widerlegte Maria Aparecida de Moraes Silva von der Landesuniversität São Paulo (Universidade Estadual Paulista) die Behauptungen der Regierung von Lula da Silva, "der Anbau von Bioenergiemonokulturen habe keinen Einfluss auf die nationale Nahrungsmittelproduktion", in dem sie die offiziellen Zahlen des Instituts für landwirtschaftliche Ökonomie (Instituto de Economia Agrícola) zitierte: "Im Zeitraum zwischen 2006 und 2007 ist die Anbaufläche von 32 landwirtschaftlichen Produkten zurückgegangen: darunter Reis (10% weniger), Bohnen (13 %), Mais (11%), Kartoffeln (14%), Maniok (3%), Baumwolle (40%) und Tomaten (12%)." Außerdem verzeichnet Brasilien eine Million weniger Rinder und Milchkühe. Dabei sind Reis, Bohnen, Maniok, Kartoffeln sowie Rindfleisch und Milch die mit wichtigsten Grundnahrungsmittel Brasiliens!

Das Versprechen, von der Agrodieselproduktion würden Kleinbauern profitieren, kann nicht eingehalten werden. Inzwischen stammen bereits 80 % der Rohstoffe für Agrodiesel aus dem Sojaanbau, vielfach aus genmanipulierter Produktion. Die bisherigen Erkenntnisse über das "Biodieselprogramm" zeigen, dass bisher drei Viertel der Rohstoffe vom Agrobusiness geliefert wurden. Die soziale Komponente des Programms, die Einbindung kleinbäuerlicher Landwirtschaft, verhinderte bisher folglich nicht, dass das Agrobusiness als Hauptnutznießer des Programms dasteht.

Nun zeigt sich aber, dass Zuckerfabriken gezielt das Land unproduktiver Farmen pachten, um es der Umverteilung im Rahmen der Agrarreform zu entziehen. Mit dem Anstieg der Bodenpreise kann der Staat kaum noch den Landankauf für die Verteilung im Rahmen der Agrarreform finanzieren. Das geplante deutsch-brasilianische Energieabkommen, das der "nachhaltigen" Füllung deutscher Autotanks dienen soll, trägt somit direkt dazu bei, die Agrarreform in Brasilien zu verhindern. Die Gewalt auf dem Land in den Regionen Zentraler Westen und Nordosten, also den Regionen des Cerrado, welche neuerdings an landwirtschaftlichem Wert gewinnen, hat dem jüngsten Bericht der Landpastorale zufolge deutlich zugenommen. Die Zahl derer, die durch private Gewaltanwendung vertrieben wurden, ist erheblich gestiegen − von 1.809 (2006) auf 4.340 (2007).

Mato Grosso do Sul, einer der Bundesstaaten in denen die Anbaufläche für Zuckerrohr stark erweitert wird, ist nach dem Indianermissionsrat CIMI der Staat mit den meisten Morden an Ureinwohnern. Ursache sind hauptsächlich Konflikte um Landrechte, so die Anthropologin Lúcia Rangel von der katholischen Universität São Paulo (PUC-SP). Im vergangenen Jahr wurden dort 53 Indianer, die meisten vom Volk der Guarani Kaiowá, ermordet.

Die brasilianische Regierung und Industrie betreibt daneben sehr ambitionierte Pläne zur Produktion von Ethanol aus der Zellulose von Eukalyptusbäumen (BtL) sowie Agrodiesel aus Soja, Palmöl und Rizinus. Die Investitionen in diesem Bereich verdeutlichen das. Der Bundesstaat Pará im Amazonasgebiet, wo Sigmar Gabriel sich mit Regierungsvertretern traf, ist das Zentrum der Palmölproduktion mit der ersten Biodieselfabrik auf Basis von Palmöl. Im Bundesstaat Acre, der mitten im Amazonasgebiet liegt, gibt es bereits intensiven Zuckerrohranbau und Ethanolfabriken, und in der Mehrheit der Bundesstaaten im Amazonasgebiet wurden auf großflächigen Rodungen Sojamonokulturen für den Export angelegt. Aktuelle Zahlen des Forschungsinstituts Imazon bestätigen, dass sich die Abholzung des Amazonasregenwaldes wieder beschleunigt. Von Januar bis März wurden in den eben genannten, Biodiesel produzierenden Bundesstaaten Mato Grosso und Pará rund 214 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt, 3-mal so viel wie im ersten Jahresquartal 2007.

Sigmar Gabriel zufolge geht die “größte Bedrohung für den Regenwald vom Sojaanbau für die Futtermittelproduktion” aus. Gerade jedoch die Ausweitung von Zuckerrohranbauflächen führt nachweislich zu einer Verdrängung von Sojaanbau und Viehzucht in die Amazonasregion. Zudem wird Soja sowohl zur Futtermittel- als auch zur Agrokraftstoffproduktion angebaut. Auch aufgrund der Marktnachfrage ist in der Praxis eine Trennung in Plantagen für die Futtermittel- und Agrospritproduktion nicht möglich. Mit den zunehmenden Importen von Sojaöl nach Deutschland zur Beimischung im Dieselkraftstoff ist zudem eine weitere schwere Bedrohung hinzugekommen. Wie Greenpeace bereits durch Proben an deutschen Zapfsäulen Anfang 2008 nachgewiesen hat, sind im Dieselkraftstoff schon jetzt erhebliche Mengen Sojaöl enthalten.

Immer mehr dieser Soja aus Brasilien, vor allem im Süden des Landes, ist gentechnisch verändert (fast 50%). Und selbst der brasilianische Präsident Lula da Silva hat unlängst in Bezug auf die damit verbundenen potentiellen Gefahren erklärt, das gentechnisch veränderte Soja könne im Zuge des Agroenergiebooms in den Tanks landen (“soja boa a gente come, e soja transgênica a gente faz biodiesel”). Dieser Sichtweise können und wollen wir nicht folgen, da durch die Verbrennung von gentechnisch verändertem Soja in unseren Tanks das Problem der biologischen Sicherheit und Ernährungssouveränität im Herkunftsland nicht behoben wird. Wir lehnen es strikt ab, dass durch die Markteinführung von Gensoja als Agrokraftstoff ein weiteres Einfallstor auch in anderen Bereichen für gentechnisch manipulierte Produkte geschaffen wird.

Es gibt bisher kein funktionierendes und international anerkanntes Zertifizierungsverfahren zu Agrokraftstoffen und keine unabhängige Überprüfung dieser Kriterien. Initiativen wie RSPO, RRS, BSI, RSB befinden sich teilweise noch in der Phase der Formulierung der Standards und Kriterien und es wird noch Jahre dauern, bis diese einsatzfähig sind. Da diese Initiativen massiv von Wirtschaftsinteressen dominiert sind und die Teilnahme von Umwelt- und Sozialgruppen sowie Bauernverbänden völlig unzureichend ist, sind die Standards sehr allgemein formuliert und reichen nicht aus, um eine nachhaltige Produktion unter umweltlichen und sozialen Gesichtspunkten zu garantieren.

Die deutsche Bundesministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fordert unterdessen Maßnahmen zur Beruhigung der Märkte, Investitionen in die Landwirtschaft und ein Moratorium für Agrartreibstoffe.

Wir fordern deshalb:
  • Nehmen Sie die obligatorischen Beimischungsziele auf bundesdeutscher und europäischer Ebene zurück!
  • Stoppen sie alle Importe von Agrarkraftstoffen und von Rohstoffen aus Energiepflanzen aus Übersee einschließlich Brasilien!
  • Stoppen Sie das deutsch-brasilianische Energieabkommen! Ethanol aus Brasilien ist umwelt- und sozialschädlich!
  • Wer die Menschenrechte und den Vorsitz der UN-Biodiversitätskonferenz ernst nehmen will, muss Ethanol und andere Agrarenergien aus Brasilien und anderen tropischen Staaten STRIKT ablehnen!
  • Setzen Sie sich endlich für eine grundlegende ökologische Energiewende hierzulande ein!

Rettet den Regenwald e.V.
ROBIN WOOD e.V.
FDCL- Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
BLUE 21 - Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung e.V.
KoBra e.V. - Kooperation Brasilien e.V.


Quelle: Website des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika; http://fdcl-berlin.de/index.php?id=1411#c3181


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