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Rauswurf aus Bolivien

Regierung in La Paz beschuldigt Washington der Einmischung in Indigenen-Proteste und kündigt Ausweisung der Entwicklungsbehörde USAID an

Von Benjamin Beutler *

Die Proteste von Indigenen aus dem bolivianischen Tiefland gegen den Bau einer Nationalstraße durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« hat die diplomatischen Spannungen zwischen La Paz und Washington neu entfacht. Auf einer Pressekonferenz warf der Chef der Behörde für die Entwicklung des Amazonasgebietes (ADEMAF), Juan Ramón Quintana, am Mittwoch (24. Aug.) der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID eine Kampagne gegen Bolivien vor. Die »demokratische Stabilität in unserem Land« und die Kontrolle über die Rohstoffe seien in Gefahr, so Quintana. Mit Zahlungen in Höhe von acht Millionen US-Dollar an den »Verband der Indigenen aus dem Tiefland« (CIDOB) habe die USAID diese zu ihrem »wichtigsten Schlachtpferd« aufgepäppelt.

Bereits 2008 hatte Boliviens Linksregierung den damaligen nordamerikanischen Botschafter Philip Goldberg und die US-Antidrogenbehörde DEA wegen »Einmischung in innere Angelegenheiten« und Unterstützung der Sezessionsbewegung in der Oppositionshochburg Santa Cruz des Landes verwiesen. Nun müsse auch die USAID ihre Koffer packen, kündigte Quintana an. Diese »politische Entscheidung« sei ein »Akt staatlicher Souveränität« und zur »Verteidigung des strukturellen Transformationsprozesses« notwendig. Nicht um Umweltschutz oder die Rechte der Indígenas gehe es Washington, sondern allein um die »Privatisierung der Rohstoffe«. Wann die USAID das Andenland verlassen muß, blieb zunächst offen.

Bereits am vergangenen Wochenende hatte Präsident Evo Morales vor einer Verschwörung gegen seine Regierung gewarnt. In der Fernsehsendung »Das Volk ist die Nachricht« präsentierte der Staatschef Aufzeichnungen über Telefonverbindungen, die vor und während des am 15. August begonnenen Protestmarsches auf La Paz zwischen der CIDOB-Spitze und der US-Botschaft geführt wurden. Von den nordamerikanischen Diplomaten folgte postwendend ein Dementi. Zwar räumte der am Dienstag ins bolivianische Außenministerium einbestellte Geschäftsträger William Mozdzierz direkte Kontakte mit den Protestierenden ein. Allerdings seien diese im »legalen Rahmen der diplomatischen Praxis« geblieben. Es habe keine Unterstützung für die Proteste der Indígenas gegeben. Auch die CIDOB bestritt jede Einflußnahme von außen. Derweil sprachen sich landesweit mehr als 300 Organisationen und Gewerkschaften für den Bau der Nationalstraße und gegen die Proteste aus.

Daß die Gelder der US-Entwicklungshilfe nur an Verfechter von Marktwirtschaft und Freihandel gehen, zeigt die USAID-Politik der letzten Jahre. Nach der Wahl von Evo Morales zum Staatspräsidenten Ende 2005 flog Bolivien umgehend aus den Programmen der 2004 unter George W. Bush gegründeten Entwicklungshilfeagentur »Millennium Challenge Account« (MCA). Deren Bedingungen – »gerechtes Regieren, Investitionen ins eigene Volk und Förderung der wirtschaftlichen Freiheit« – waren laut Einschätzung aus Washington nicht mehr gegeben. Schon als sich 2005 der Wahlsieg von Morales’ Bewegung zum Sozialismus (MAS) abzeichnete, hatte die USAID ihre Fördergelder vom Zentralstaat abgezogen und in die Departamento-Präfekturen verlagert, in denen die Macht der alten Eliten noch nicht gebrochen war. Pikant dabei: Mark Feuerstein, der heute für Lateinamerika und die Karibik zuständige Chef der USAID, leitete 2002 den Wahlkampf des späteren bolivianischen Präsidenten Sánchez de Lozada, der 2003 nach nur knapp über einem Jahr im Amt durch die massiven Proteste gegen die von ihm eingeleitete Erdölprivatisierung zum Rücktritt gezwungen wurde.

* Aus: junge Welt, 27. August 2011


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