Verstaatlichung der Gasvorräte: "Ein wichtiger Schritt, um den Volkswillen umzusetzten"
Bolivien erhält Unterstützung von Brasilien und Argentinien
"Souveräne Entscheidung Boliviens"
Gipfeltreffen unterstützt den Verstaatlichungskurs von Präsident Morales
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires*
Ein Bild der Geschlossenheit zeigten die Präsidenten von Argentinien, Brasilien, Bolivien und
Venezuela bei ihrem Treffen am Donnerstag im argentinischen Puerto Iguazú.
»Es war eines der besten Zusammentreffen, seit ich Präsident bin«, versicherte der argentinische
Präsident Néstor Kirchner. »Wir respektieren und begrüßen die souveräne Entscheidung Boliviens.«
Auf ihrem Treffen hatten Kirchner, Lula Da Silva, Evo Morales und Hugo Chávez die Situation nach
der Verstaatlichung der Gas- und Erdölvorkommen durch den bolivianischen Präsidenten Morales in
seinem Land besprochen. Als konkrete Maßnahmen wurden bilaterale Verhandlungen über den
zukünftigen Gaspreis beschlossen und die Einbeziehung Boliviens in das Projekt der geplanten
8000 Kilometer langen Gaspipeline, dessen Bau die drei übrigen Staaten im Januar vereinbart
hatten.
Morales sagte noch kurz vor dem Treffen, es ginge nicht um Verhandlungen, sondern um ein
Vorantreiben der energiepolitischen Integration der Region. Er kritisierte heftig den angekündigten
Investitionsstopp des brasilianischen Unternehmens Petrobras. »Die Nationalisierung ist eine
souveräne staatliche Maßnahme, und wir werden über dieses Thema nicht verhandeln«, so Morales.
»Das wichtigste Ergebnis dieses Treffens ist die Tatsache, dass es zu einem Übereinkommen für
die Länder, die Gas brauchen, kommen wird und, dass der Preis so demokratisch wie möglich
zwischen den beteiligten Parteien diskutiert werden wird«, sagte Brasiliens Präsident Lula. Auf seine
Bitte hin hatte sein argentinischer Kollege Kirchner das Treffen am Dienstag (2. Mai) angekündigt. Einen Tag
zuvor hatte der bolivianische Präsident Morales die Verstaatlichung der Erdgas- und Ölindustrie
seines Landes verkündet. Zu den am stärksten davon betroffenen Unternehmen gehören die
brasilianische Petrobras und die spanisch-argentinische Repsol-YPF. Sie sind die größten
Produzenten im Land mit einem Anteil von knapp 50 Prozent bei der Petrobras, gefolgt von Repsol-
YPF mit 23 Prozent.
Insgesamt exportierte Bolivien 2005 Erdgas im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar. Die Erdöl-
Ausfuhren beliefen sich auf etwa 300 Millionen US-Dollar. Die argentinischen Gasimporte aus
Bolivien liegen bei vier Prozent, dagegen sind es im Fall von Brasilien knapp 25 Prozent. Brasilien ist
damit der größte Käufer von bolivianischem Gas.
Die ausländischen Firmen müssen jetzt ihre gesamte Produktion dem staatlichen bolivianischen
Unternehmen YPFB überlassen. Dieses übernimmt auch den Vertrieb und setzt die Preise fest. Die
betroffenen Unternehmen haben demnach 180 Tage Zeit, um mit dem bolivianischen Staat über
neue Konzessionen für die Ausbeutung der fossilen Brennstoffe zu verhandeln. Bolivianische
Truppen besetzten nach der Entscheidung die Raffinerien und Förderanlagen der ausländischen
Förderfirmen, darunter auch zwei der brasilianischen Petrobras.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2006
"Verstaatlichung war kein Geheimnis"
Pablo Solón über die Nationalisierung der Gasvorräte Boliviens und den Einfluss Venezuelas (Interview)**
Frage: Bolivien hat zum dritten Mal eine Nationalisierung seiner Öl- und Gasvorräte eingeleitet. Steht jetzt
der Sozialismus vor der Tür?
Pablo Solón: Nein, es handelt sich ja nicht um eine »harte« Verstaatlichung mit Enteignungen. So erklärt sich
übrigens auch die verhaltene Reaktion der Börsen. Dass eine Nationalisierung geplant war, war ja
kein Geheimnis – nur der Zeitpunkt und das genaue Ausmaß wurden nicht vorher bekannt gegeben.
Es ist ein wichtiger Schritt, um den Volkswillen vom Juli 2004 umzusetzten, als die große Mehrheit
der Bevölkerung für eine andere Energiepolitik stimmte. Und es ist auch die Umsetzung eines
Gesetzes, das das Parlament bereits im Mai 2005 verabschiedet hatte.
Wie stehen die Chancen, dass die jetzige Nationalisierung erfolgreicher verläuft als die bisherigen?
Die Erdöl-Verstaatlichungen von 1937 und 1969 sind ja nicht gescheitert, sie waren ökonomisch
sogar sehr erfolgreich. Die gesamte Entwicklung der Chaco-Region im Südosten des Landes wäre
ohne die Verstaatlichung der Dreißigerjahre undenkbar. Außerdem gab es einen Geldtransfer
zugunsten anderer Regionen. Die Verstaatlichung des Bergbaus 1952 kam dem Land ebenfalls
zugute.
Aber die Staatsbetriebe waren doch korrupt und ineffizient?
Die wichtigsten Posten wurden unter den Mitgliedern der Regierungspartei aufgeteilt, das stimmt.
Natürlich hätten sie viel effizienter sein können. Andererseits flossen vor den Verstaatlichungen nur
ganz wenige Mittel in die Staatskasse. Selbst wenn man die Ineffizienz berücksichtigt, war der
Unterschied unter dem Strich enorm.
Dennoch: Wie groß ist die Gefahr, dass Korruption und Bürokratie den schönen Traum von der
Umverteilung beeinträchtigen?
Die Herausforderung besteht darin, den staatlichen Erdölbetrieb YCBF mit funktionierenden
Mechnismen für Transparenz und Kontrolle von unten neu aufzubauen. Noch nie waren so viele
Leute informiert und mobilisiert wie heute. Die Bedingungen für eine Kontrolle sind also günstig.
Außerdem ist die Regierung Morales in ihren ersten hundert Tagen hart gegen die Korruption
vorgegangen. Wer sich schuldig macht, wird sanktioniert, woher er auch kommt.
Außerdem gab es in den zehn Jahren seit der letzten Privatisierungswelle jede Menge Korruption,
vor allem soll viel Gas und Öl illegal exportiert worden sein. Die Buchführung der Ölmultis ist alles
andere als transparent, sie haben mit Preisen getrickst.
YCBF ist in den letzten zehn Jahren finanziell und personell regelrecht ausgeblutet worden. Wie will
man das überwinden?
Zum einen mit den Überschüssen, wie sie das Nationalisierungsdekret vorsieht. Zum anderen mit
der Rückholung von Technikern aus dem Ausland.
Und mit der Hilfe der venezolanischen Erdölgesellschaft PDVSA?
Ja, aber der Einfluss der Venezolaner wird oft übertrieben, da ist gleich von der »Achse des Bösen«
die Rede, mit Chávez und Castro. Techniker und Firmen aus anderen Ländern sind auch dabei.
Den größten Konflikt gibt es ja ausgerechnet mit dem brasilianischen Staatsbetrieb, der in den
letzten zehn Jahren über 1,5 Milliarden Dollar in Bolivien investiert hat, mehr als jeder andere...
Ach, das wird von der Presse hochgespielt, das ist vor allem eine Kampagne der Rechten. Mit
Petrobras gibt es keine grundsätzlichen Differenzen. Als Morales im Januar bei Lula war, hat er ihn
zu dem Nationalierungsvorhaben befragt, und Lula hat ihm gesagt, er würde das genauso machen.
Aber sie werden doch nicht bestreiten, dass Morales eher auf Chávez’ Linie liegt, oder?
Der jetzige Regierungskurs ist weniger das Ergebnis einer ideologischen Ausrichtung auf Venezuela
und Kuba, sondern die Konsequenz aus dem »Gaskrieg« 2003, bei dem es 60 Tote gab, oder der
Mobilisierung in El Alto im letzten Jahr, als 24 Tage lang die Zufahrtswege nach La Paz blockiert
waren. Die Nationalisierung erfüllt die Forderung, die in den letzten Jahren in Bolivien zum Sturz von
zwei Präsidenten geführt hat.
Könnte die Nationalisierung ein Vorbild für andere lateinamerikanische Länder sein?
Auf jeden Fall, auch wenn die Konstellation in jedem Land anders ist. In Ecuador zum Beispiel ist vor
kurzem ein Erdölgesetz verabschiedet worden, das dem Staat einen viel größeren Anteil an den
Gewinnen sichern soll als bisher. Das Bestreben, die natürlichen Ressourcen souverän für die
eigene Entwicklung zu nutzen, anstatt von den milden Gaben der Entwicklungshilfe abhängig zu
sein, ist sehr populär. Solche Prozesse zu unterstützen – das ist die beste Zusammenarbeit, die der
Westen Ländern wie Bolivien bieten kann.
** Aus: Neues Deutschland, 8. Mai 2006
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