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Erst Berufsheer, dann die NATO?

Wachsender Brüsseler Druck auf Österreich

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Die Debatte um die allgemeine Wehrpflicht hatte im Spätherbst begonnen; seit voriger Woche haben sich dazu Wortmeldungen gemischt, die einen NATO-Beitritt als logische Konsequenz der Einführung eines Berufsheeres sehen. Das Auffällige daran: Es sind prominente Sozialdemokraten, die sich das neutrale Land unter die militärische Logik des Nordatlantikpakts wünschen.

Die neuen Töne kommen aus Brüssel. Der Fraktionsführer der österreichischen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, ließ seinen Wiener Kollegen ausrichten, dass sie sich vor einem NATO-Beitritt nicht zu fürchten bräuchten. Die Diskussion um die Einführung eines Berufsheeres statt einer Volksarmee bietet seiner Meinung nach eine gute Chance, zugleich die Abschaffung der Neutralität zu bewerkstelligen und ein Ersuchen um Aufnahme in die NATO zu stellen. Es dürfe "keine Berührungsängste mit der NATO" geben, meinte Swoboda und fügte gleich hinzu, er könne sich eine Volksabstimmung über einen NATO-Beitritt vorstellen.

Sein christlich-konservatives Pendant Ernst Strasser (ÖVP), EU-Abgeordneter und ehemaliger Innenminister, zeigte sich erfreut über den Sinneswandel bei den "Roten". Er könne sich vorstellen, Kompetenzen und Gerätschaften des Bundesheeres "in eine europäische Dimension" einzubringen. Immerhin war es die ÖVP, die in Koalition mit der Jörg Haiders FPÖ im Jahre 2001 die Option eines NATO-Beitritts in die österreichische Sicherheitsdoktrin hineinschreiben ließ. Die SPÖ als Verfechterin der Neutralität hatte sich "bis vorige Woche" massiv dagegen gesträubt.

Es dürfte kein Zufall sein, dass der sozialdemokratische Meinungsumschwung ausgerechnet aus Brüssel kommt. Denn dort, allerdings im NATO-Hauptquartier, haben die Strategen der Allianz den EU-Staaten eine kurz zuvor auf ihrem Gipfel in Lissabon beschlossene Strukturreform nahegelegt. Der Reform zufolge sollen die nationalen Heere mehr als bisher kompatibel gemacht und ganze militärische Gattungen zusammengelegt werden, um die Schlagkraft zu erhöhen.

Immerhin gehören 22 von 27 EU-Staaten dem Nordatlantik-Pakt an. Neben Österreich sind nur Irland, Schweden, Finnland und Zypern bisher paktfrei. Der Druck auf diese Länder, ihre militärische Unabhängigkeit aufzugeben und Geräte und Soldaten für NATO-Einsätze bereitzustellen, scheint beständig zu wachsen. Im politischen Klima Brüssels ist er offensichtlich am spürbarsten.

Noch wird allerdings das willige Apportieren solcher Vorgaben in Österreich mit einer gewissen Skepsis verfolgt. Die ÖVP versucht gerade den Spagat, die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht mit ihrer alten Forderung nach NATO-Mitgliedschaft zu kombinieren. Die Mehrheit der Österreicher will davon allerdings nichts wissen, sie kann sich Soldaten eines Volksheeres nicht in Kampfeinsätzen vorstellen.

Die SPÖ wiederum hat im Wiener Bürgermeister Michael Häupl einen Verfechter des Berufsheeres in ihren Reihen. Verteidigungsminister Norbert Darabos (ebenfalls SPÖ) äußert sich allerdings bislang ablehnend zur Abschaffung der Neutralität. Wer aber beobachtet hat, wie rasch Darabos seine Position zur Wehrpflicht von "in Stein gemeißelt" (im Juni 2010) zum Berufsheer als seiner bevorzugten Variante (im Januar 2011) gewechselt hat, kann auch den Druck erahnen, mit dem NATO-Strategen ihre Strukturreformen den einzelnen Nationalstaaten nahe bringen. Dass das neutrale Österreich diesem Druck wird standhalten können, ist nach dem Schwenk führender Sozialdemokraten unwahrscheinlicher geworden.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2011


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