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Die Rechte triumphiert, die SPÖ gewinnt

Österreich nach der Wahl vor langwierigen Koalitionsverhandlungen

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Mit ihrem schlechtesten Ergebnis seit 1945 hat die österreichische Sozialdemokratie bei den Nationalratswahlen am Sonntag den ersten Platz in der Parteienlandschaft der Alpen- und Donaurepublik behauptet.

Der große Verlierer der österreichischen Nationalratswahl ist die konservative Volkspartei (ÖVP). Ihr Vorsitzender Wilhelm Molterer, der die vorzeitigen Wahlen vom Zaun gebrochen hatte, geriet noch in der Nacht unter Beschuss seiner Parteifreunde. Aus den Bundesländern waren erste Rücktrittsforderungen zu vernehmen. Da half es auch nichts, dass Molterer unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses seine »schwere, dramatische Niederlage« einräumte. In den eigenen Reihen herrschte Betroffenheit und zuweilen bitterer Sarkasmus, wie ihn der ÖVP-Abgeordnete Ferry Maier formulierte. »Ich kann zumindest sagen, wir haben den Einzug ins Parlament geschafft«, hauchte er selbstkritisch in ein ORF-Mikrofon.

Lachende und weinende Augen sahen die Journalisten in der Parteizentrale der SPÖ am Wiener Ring. Gelacht wurde vornehmlich aus Schadenfreude über die herben Verluste der ÖVP, geweint um eine im Vergleich zu 2006 fast sechs Prozentpunkte geringere Wählerzustimmung und wohl auch wegen des Aufstiegs der beiden rechten Parteien. SPÖ-Chef Werner Faymann wiederholte bereits in der nächtlichen Fernsehrunde nach der Wahl sein altes Credo, wonach er sich am ehesten eine Fortführung der Koalition mit der ÖVP vorstellen könne. Personelle Einschränkungen nannte er diesmal nicht, angesichts der drastischen ÖVP-Verluste sind solche wohl gar nicht mehr nötig. Erneut schloss Faymann eine Regierungszusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei (FPÖ) und dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) aus. »Die haben nichts in der Regierung verloren«, sagte er. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache warb dagegen für eine Zweierkoalition mit den Sozialdemokraten. Er forderte die SPÖ auf, über ihren »Ausgrenzungsfetischismus« nachzudenken.

In den Bierzelten der Rechten herrschte am Abend nach der Wahl ungetrübter Jubel. Straches FPÖ hatte schließlich von 11 auf 18 Prozent zugelegt, während Jörg Haiders BZÖ seinen Stimmenanteil auf 11 Prozent verdreifachte. Das dritte Lager, so meinte BZÖ-Kandidat Ewald Stadler, der erst vor Kurzem die FPÖ verlassen hatte, »ist zum ersten Lager geworden«. Damit spielte der bekannte Ideologe auf die Nachkriegsverhältnisse an, in denen die FPÖ (ursprünglich als VdU - Verband der Unabhängigen) als Auffangbecken für ehemalige Nationalsozialisten gegründet worden war. Das Problem an Stadlers Rechnung: Strache und Haider sind sich persönlich spinnefeind, weil Haiders Zusammenarbeit mit der ÖVP in den Jahren 2000 bis 2006 von der FPÖ-Führung als Verrat an den Ideen des »dritten Lagers« interpretiert wird.

Bleibt noch vom langsamen Untergang der Grünen zu berichten, der nicht nur wegen ihres alternden und ideenlosen Parteichefs Alexander van der Bellen zu erwarten war, sondern auch mit der extremen Anbiederung der Partei an alles, was aus Brüssel kommt, erklärt werden kann.

Die Einschätzung der Europäischen Union, das sah man auch in der Fernseh-Konfrontation, spielte eine herausragende Rolle bei der Wahlentscheidung. Die Repräsentanten des Brüsseler Zentralismus im österreichischen Parlament wurden gnadenlos abgestraft. Der Denkzettel an die SPÖ fiel nur deshalb gemäßigt aus, weil Faymann und sein Vorgänger Alfred Gusenbauer sich zuletzt geweigert hatten, in den Chor der Lobeshymnen auf »Europa« einzustimmen und fallweise Kritisches vernehmen ließen.

Die bevorstehenden Regierungsverhandlungen dürften langwierig werden. Schon die notwendige personelle Konsolidierung der ÖVP wird zeigen, ob sich die Befürworter einer weiteren Zusammenarbeit mit der SPÖ durchsetzen oder jene die Oberhand gewinnen, die die Chance nutzen wollen, aus einer satten rechten Mehrheit gemeinsam mit FPÖ und BZÖ in die Regierungsbänke einzurücken.

Zur Person - »Nobody« Faymann

Für viele Österreicher war Werner Faymann ein »Nobody«, als er Anfang August zum neuen SPÖ-Chef gewählt wurde. Westlich von Wien war der Verkehrsminister im Kabinett von Kanzler Alfred Gusenbauer so gut wie unbekannt. Doch nun hat es der 48-Jährige geschafft. Wenn nichts Unerwartetes geschieht, wird Faymann Österreichs Bundeskanzler.

Für viele österreichische Sozialdemokraten gilt Faymann als politischer Heilsbringer. Doch der Mann, der bis zum Eintritt ins Kabinett Gusenbauer als Kommunalpolitiker arbeitete, besitzt wenig Erfahrung in der nationalen und keine in der internationalen Politik. Seine politische Heimat ist die Provinz, auch wenn diese Wien heißt. Faymann studierte zunächst Rechtswissenschaften. Parallel begann er seine Karriere in der SPÖ und wurde 1994 Stadtrat. Schon bald hieß es, er habe Ambitionen auf die Nachfolge des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl. Doch im Januar 2007 wechselte Faymann in die Bundespolitik und wurde Verkehrsminister sowie Koordinator für die Regierungspolitik seiner Partei mit der ÖVP.

Angesichts des fast feindseligen Umgangs zwischen Politikern beider Parteien gelang es Vermittler Faymann immer wieder, die zerstrittenen Partner an den Kabinettstisch zurück zu bringen. Doch im Wahlkampf lehrte der SPÖ-Spitzenkandidat seine konservativen Gegner das Fürchten. So brachte er ein Paket von Sozialreformen durchs Parlament. Nicht zuletzt dies gab den Wahlausschlag. (ND/dpa)

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2008


Debakel in Wien

Rechtsaußen-Sieg bei Wahlen zu österreichischem Nationalrat. Regierungsparteien von den Wählern abgestraft

Von Werner Pirker, Wien **


Mit einem historischen Debakel für die beiden Großparteien SPÖ und ÖVP endeten am Sonntag die Wahlen zum österreichischen Nationalrat. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs erzielte mit 29,7 Prozent, das waren um 5,7 Prozent weniger als am 1. Oktober 2006, das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik. Auch die Österreichische Volkspartei ist auf einem historischen Tiefstand angelangt. Sie verlor gegenüber 2006 8,7 Prozent und kam auf 25,6 Prozent. Von den Verlusten der beiden Regierungsparteien profitierte fast ausschließlich die extreme Rechte. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Hans Christian Strache gewann sieben Prozentpunkte und fuhr 18 Prozent ein. Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) konnte seinen Anteil von knapp vier auf elf Prozent fast verdreifachen, was die größte Überraschung dieser Wahl darstellte.

Die Grünen verloren leicht auf 8,9 Prozent und fielen von Rang drei auf Platz fünf zurück. Klar den Einzug in den Nationalrat verpaßt haben das Liberale Forum (1,9) und die Liste Fritz (Dinkhauser, 1,7), die sich von der ÖVP Tirol abgespalten hatte. Noch chancenloser waren die beiden linken Gruppierungen KPÖ und Die Linke. Die Kommunistische Partei Österreichs erhielt 0,7 Prozent, das sind 0,2 Prozentpunkte weniger als 2006. Über das Ergebnis der Linken, die nur in sechs von neun Bundesländern angetreten war, sei aus Gründen der Höflichkeit geschwiegen (0,04 Prozent, d. Red.).

Die Sozialdemokraten können sich immerhin zugute halten, die stärkste Kraft im Land geblieben zu sein und damit ihr wichtigstes Wahlziel erreicht zu haben. Das sah zum Zeitpunkt der Auflösung der großen Koalition Anfang Juni, als ihr gerade noch 20 Prozent zugetraut wurden, für sie noch wesentlich ungünstiger aus. Zum Stimmungsumschwung beigetragen hatte die Ersetzung des äußerst glücklosen und unbeliebten Parteivorsitzenden Alfred Gusenbauer und die Nominierung seines Nachfolgers Werner Faymann zum Spitzenkandidaten. Obwohl noch Bundeskanzler war Gusenbauer im Wahlkampf der Partei zuliebe völlig abgetaucht, womit auch er seinen Anteil an der Behauptung des ersten Platzes hat.

Faymann hatte im Wahlkampf eine Koalition mit der FPÖ immer wieder ausgeschlossen, was ihm bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen wenig Spielraum läßt. Zumal die ÖVP 2000 und 2002 bewiesen hatte, daß sie bei der Wahl ihrer Partner wenig Skrupel kennt, weshalb eine Neuauflage einer Koalition der Rechtskonservativen mit der FPÖ (plus BZÖ) keineswegs auszuschließen ist. BZÖ-Chef Haider hat sich schon am Wahlabend für eine »breite Mitte-Rechts-Regierung« ausgesprochen.

Die Entscheidung über die künftige Koalition wird wesentlich vom Ausgang des ÖVP-internen Machtkampfes abhängen. Sollte sich das bisherige Führungsduo um den Vorsitzenden Wilhelm Molterer und dessen Vorgänger Wolfgang Schüssel behaupten, wird es keine große Koalition geben, da es zwischen den beiden Seiten keine Vertrauensbasis mehr existiert. Sollte hingegen der auf eine große Koalition eingeschworene Landwirtschaftsminister Josef Pröll den ÖVP-Vorsitz übernehmen, könnte Faymanns Lieblingsvariante einer Zusammenarbeit mit einer personell erneuerten ÖVP Wirklichkeit werden. SPÖ-Sozialminister Erwin Buchinger hat für den Fall eines Scheiterns der großkoalitionären Variante die Bildung einer Minderheitsregierung in Aussicht gestellt.

Viel wird auch davon abhängen, ob die FPÖ zu einer Regierungsbeteiligung bereit ist. Die schwarz-blauen Regierungsjahre (2000 bis 2006) waren das Gegenteil einer blauen Erfolgsgeschichte. Die in die Regierungsverantwortung genommenen Rechtspopulisten stürzten in der Wählergunst dramatisch ab, woraus Jörg Haider die Konsequenz zog, sein weiteres politisches Schicksal an eine neue Partei zu knüpfen. Doch während in der Vergangenheit das BZÖ außerhalb Kärntens mitunter sogar hinter die KPÖ zurückfiel, erlebte die von H. C. Strache übernommene FPÖ einen bemerkenswerten Wiederaufstieg. Um so mehr überrascht nun Haiders Comeback auf Bundesebene. Die beiden Rechtsaußen-Parteien haben zusammen einen Stimmenanteil wie die FPÖ zu ihren besten Zeiten.

** Aus: junge Welt, 30. September 2008


Meinungen aus Österreich

Der Wiener "Standard" hat nach der Wahl eine Vielzahl von Reaktionen auf die Wahl aus verschiedenen Bevölkerungskreisen/Berufsgruppen veröffentlicht. Wir dokumentieren Ausschnitte aus zwei Erklärungen, die uns besonders beeindruckten..

Ich könnt' kotzen

Von Franzobel ***

(...) Der Souverän hat den Großparteien also eins ausgewischt. Oder ist jetzt jeder dritte Österreicher ein geifernder, EU-verachtender Ausländerhasser? Ist es für aufgeklärte Menschen wieder an der Zeit, ans Auswandern zu denken? Aber wohin? Nach Italien? Polen? In die Schweiz? Oder Zeit für das, was ein Schauspieler in seiner ersten Erregung mit "Ich könnt' kotzen!" galant formuliert.

Der Rechtspopulismus ist kein österreichisches Phänomen, er ist wie eine alle europäischen Länder erfassende Seekrankheit, die Viktor Klemperer in seiner "LTI" als Beispiel für den Nazismus wunderbar beschreibt: "Da stand am Ende der langen Bank ein kleines Mädchen auf, lief an die Reling und übergab sich. Eine Sekunde später erhob sich die neben ihm sitzende Mutter und tat ebenso. Gleich darauf folgte der Herr neben der Dame. Und dann ein Junge, und dann ... Die Bewegung lief gleichmäßig und rasch weiter, die Bank entlang. Niemand schloss sich aus. Es wurde interessiert zugesehen, es wurde gelacht, es wurden spöttische Gesichter gemacht. Und dann kam das Speien näher, und dann verstummte das Lachen, und dann lief man auch auf unserem Flügel an die Reling. Ich sah aufmerksam in mich hinein. Ich sagte mir, es gebe doch so etwas wie ein objektives Beobachten, und darauf sei ich geschult, und es gebe einen festen Willen, und ich freute mich auf das Frühstück - und indem war die Reihe an mir, und da zwang es mich genauso an die Reling wie all die anderen." Und jetzt ist also Österreich dran - zum Kotzen!

Aber was mir besonders den Magen dreht und mich nach einem Speibsackerl umsehen lässt: Gewählt wurden die Rechten von der Jugend, von den unter 30-Jährigen. Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Aber wenn sechs in einem Boot sitzen und davon fünf beschließen, den sechsten über Bord zu werfen, ist das zwar demokratisch, aber nicht rechtens - und schon gar nicht angenehm, besonders, wenn man selbst der Sechste ist.

(...) Laut einer eben veröffentlichten Umfrage sind 83 Prozent der Österreicher mit ihrem Leben nur mäßig bis gar nicht zufrieden. Es ist also kein Wunder, wenn viele der Frustrierten und Verängstigten im rechten Lager Heimat, Heilung oder sonst was sehen. Aufgabe der sozialdemokratischen und bürgerlichen Politik muss es nun sein, diese Menschen in ihren Nöten endlich ernst zu nehmen, ihnen klarzumachen, wie gut es ihnen in Österreich eigentlich geht, wo vielleicht gar nicht so viel zum Kotzen ist - abgesehen von der Politik. *** Franzobel ist Schriftsteller ("Fest der Steine", "Austrian Psycho") und lebt in Wien.

*** Auszug aus "Der Standard" (Wien), 30. September 2008


Trautl Brandstaller, Politologin und langjährige ORF-Journalistin

(...) Die Wähler haben in der Wahlzelle nicht nur ihren tiefen Frust über die "Leistungen" der großen Koalition ausgelassen; das Unbehagen sitzt tiefer, in Schichten, die der Wahlkampf nicht einmal ansatzweise angesprochen hat. Seit rund zehn Jahren stagnieren in Österreich die Löhne, seit mehr als zehn Jahren wachsen die Ängste um die Sicherheit der Arbeitsplätze, insbesondere bei den Jungen (bei den Erst- und Jungwählern liegt die FPÖ unangefochten auf Platz 1). Seit zehn Jahren entsteht im unteren Drittel der Gesellschaft neue Armut, seit 10 Jahren beginnt der vielzitierte Mittelstand seine alten Sicherheiten zu verlieren, seit zehn Jahren wird die Schere zwischen den höchsten und den kleinen Einkommen immer größer.

Auf diese neuen sozialen Fragen haben die ehemals großen Parteien keine Antwort. Von Unsicherheit und Ängsten profitieren Haider und Strache. Sie offerieren neo-nationalistische und rassistische Scheinantworten: gegen die Globalisierung propagieren sie nationale Abschottung, gegen die Migration Zuwanderungsstopp. gegen die europäische Integration den Austritt aus der EU. Wenn fast ein Drittel der Wähler auf diese falschen Antworten hereinfällt, dann nicht, weil die Österreicher wieder einmal von ihrer Nazi-Vergangenheit eingeholt werden, sondern weil die anderen Parteien diese Fragen ignorieren oder ähnliche Scheinantworten bieten wie die Rechtspopulisten. Die Grünen, einst Hoffnung auf die Erneuerung der Demokratie, treten seit Jahren auf der Stelle: Statt der rot-schwarzen Koalition Paroli zu bieten, kokettierten sie allzu offenkundig mit Beteiligung an - egal welcher - Regierungsmacht. (...)

***** Aus: "Der Standard" (Wien), 29. September 2008




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