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Ferrero-Waldner für einen NATO-Beitritt Österreichs

Neutralität sei ein "Mythos"

Österreich macht auch außenpolitisch Schlagzeilen. Was wir immer schon gewusst haben (weil es ja immerhin in der schwarz-braunen Koalitionsvereinbarung angedeutet war): Die ÖVP-FPÖ-Regierung in Wien drängt mit Macht in die NATO. Dass dabei die "immerwährende" Neutralitätsverpflichtung aus dem Jahr 1955 über Bord geworfen wird, ist ihr Wurscht. Die österreichische Friedensbewegung ist nicht zu beneiden: Muss sie sich dem gefährlichen NATO-Zug doch fast ohne Verbündete entgegenstellen. Im Inneren der Alpenrepublik diskutiert man nämlich nach wie vor fast ausschließlich über innenpolitische Themen. Und die im nachfolgenden Artikel zum Ausdruck gebrachten Einwände des SPÖ-Obmanns Kostelka gegen Ferrero-Waldner zeugen von geringer Standfestigkeit in Sachen Verteidigung der Neutralität. Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel der überregionalen Wiener Tageszeitung "Der Standard", in dem die jüngsten Äußerungen der österreichischen Außenministerin zum Thema NATO-Beitritt veröffentlicht sind.

Für einen NATO-Beitritt Österreichs hat sich Außenministerin Benita Ferrero-Waldner am Mittwochabend bei einer Diskussion in Alpbach ausgesprochen. Die Neutralität sei ein "Mythos" und in ihrer heutigen Form "obsolet", sagte Ferrero-Waldner. "Wir müssen unsere Sicherheitssituation überdenken."

Die Außenministerin, die ihre Aussagen als ihre "persönliche Meinung" deklarierte, schränkte allerdings ein, dass für einen NATO-Beitritt eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erforderlich wäre, die derzeit nicht in Sicht sei. "Aus politischen Gründen" müsste über diese Frage in Österreich wahrscheinlich auch ein Referendum abgehalten werden, sagte Ferrero-Waldner. "Die Zeit ist noch nicht reif." Außerdem müsse man sehen, wie sich die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik beim EU-Gipfel im Dezember in Nizza weiter entwickle, sagte die Ministerin.

Generell sollte Österreich in seiner Außenpolitik nach Ansicht der Außenministerin eine "strategische Partnerschaft" mit den Länder Ost- und Mitteleuropas anstreben, vergleichbar etwa mit der "Nordischen Kooperation" der skandinavischen Länder.

Kritik von Kostelka an Widerspruch zu Schüssels Bekenntnis

Außenministerin Benita Ferrero-Waldner stehe mit ihrem Bekenntnis im Widerspruch zu einer Erklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der "allen Ernstes eine 'Europäische Neutralität' vorgeschlagen und damit der Regierung eine sicherheitspolitische Linie vorgegeben, die einen NATO-Beitritt Österreichs eigentlich ausschließen würde", kritisierte der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka am Mittwoch in einer Aussendung.

Dass eine "Europäische Neutralität" andererseits von den übrigen EU-Staaten abgelehnt werde, scheine Schüssel "indessen nicht zu bekümmern". Für die EU-Staaten, die der NATO angehören, würde eine "europäischen Neutralität" zwangsläufig bedeuten, dass sie sich etwa gegenüber den USA oder Kanada als neutral erklären müssten.

Keine Chance

Das neuerliche persönliche Bekenntnis der Außenministerin zu einem NATO-Beitritt stehe nicht nur im Widerspruch zu den Aussagen ihres Regierungschefs, sondern auch zur Realität. Kostelka erinnerte daran, dass der neue Generaltruppeninspektor Horst Pleiner jüngst erklärt habe, dass Österreich derzeit gar keine Chance hätte - selbst wenn es wollte - in die NATO aufgenommen zu werden. Kostelka zitierte Pleiner: "Im Augenblick können wir bestenfalls der arabischen Liga beitreten."

Auch die Ankündigung einer "strategischen Partnerschaft" mit den Ländern Ost- und Mitteleuropas mute ein wenig skurril an, so Kostelka. Wie aus Äußerungen von Spitzendiplomaten zu schließen sei, liege diesem Bekenntnis der Außenministerin offensichtlich die Absicht zu Grunde, dass sich Österreich angesichts seiner Schwierigkeiten innerhalb der Europäischen Union "neue Freunde" suchen müsse. Ob dazu eine "strategische Partnerschaft", also eine Art neues Militärbündnis, in Mittel- und Osteuropa der richtige Weg ist, müsse bezweifelt werden.

Ablenkung von Busek?

Österreichs Chance in diesem Zusammenhang bestehe insbesondere darin, den von Ferrero-Waldner genannten Ländern den Eintritt in die Europäische Union zu erleichtern. Dies werde aber einer Regierung nur sehr schwer fallen, in der einer der beiden Koalitionspartner "die Erweiterung der Europäischen Union, wenn überhaupt, nur mit Zähneknirschen und langfristig zur Kenntnis nimmt", so Kostelka. Letztendlich sei diese Initiative Ferrero-Waldners auch der Versuch, von der prekären Situation rund um den Regierungsbeauftragten Busek abzulenken.

Als "wesentlich wichtigere Sachverhalte" die Ferrero-Waldner mit ihren östlichen Amtskollegen zu diskutieren habe, nannte Kostelka u. a. die Atomkraftwerke: Diskussionen über Mittel und Wege zu einem raschen Ausstieg dieser Länder aus der Atomkraft hätten höchste Priorität.
Aus: Der Standard, 31. August 2000

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