Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Bericht der drei "Weisen" im Wortlaut

Sanktionen der EU waren "kontraproduktiv"

Die von den EU-Staaten im Februar 2000 gegen Österreich verhängten "Sanktionen", die ohnehin mehr symbolischen Charakter trugen, haben sich nach Ansicht des so genannten Weisenrats als kontraproduktiv erwiesen und sollten aufgehoben werden. Das ist der Tenor des Berichts der "drei Weisen" hervor, der am Freitag, den 8. September 2000, dem französischen Präsidenten Jacques Chirac vorgelegt wurde. Die Maßnahmen hätten das Gegenteil von dem bewirkt, was erreicht werden sollte, hieß es. Kritik wird aber auch an der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei (FPÖ) geübt, deren Regierungsbeteiligung Anlass für die Sanktionen war. "Es gibt Gründe, derentwegen die Beschreibung der FPÖ als populistische Rechtspartei mit radikalen Elementen noch immer angemessen ist", heißt es im Bericht.

"Die Maßnahmen haben in Österreich bereits nationalistische Gefühle hervorgerufen, vor allem deshalb, weil sie in einigen Fällen irrtümlicherweise als gegen die österreichischen Bürger gerichtete Sanktionen empfunden wurden", lautet ein zentraler Satz aus dem 45-seitigen Dokument. "Die Wirkung der von den 14 Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen wäre im Fall ihrer Beibehaltung kontraproduktiv, weshalb sie beendet werden sollten".

Im Juli hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof den deutschen Völkerrechtler Jochen Frowein, den finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari und den ehemaligen spanischen Außenminister Marcelino Oreja beauftragt, einen Bericht über die Situation in Österreich zu verfassen. Nach der Vorlage des Berichts hofft die ÖVP-FPÖ-Regierung, dass die Sanktionen bis zum EU-Gipfel in Biarritz Mitte Oktober aufgehoben werden.

Im Folgenden dokumentieren wir wesentliche Teile des Berichts der drei "Weisen".


Bericht von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein, Marcelino Oreja

Österreich hat hohe Standards im Umgang mit nationalen Minderheiten
Ziffer 1 ff:

In Bezug auf die Verpflichtung der österreichischen Regierung zu den gemeinsamen europäischen Werten, insbesondere der Rechte der Minderheiten, der Flüchtlinge und Immigranten: Wir haben uns die Meinung gebildet, dass die österreichische Regierung ihre Verpflichtung für die gemeinsamen europäischen Werte erfüllt. Der Respekt der österreichischen Regierung, insbesondere der Respekt für die Minderheiten, die Flüchtlinge und die Immigranten ist nicht geringer als bei anderen Mitgliedern der europäischen Union. Die juristische Situation in den drei erwähnten Bereichen ist mit den in anderen Mitgliedsstaaten der EU angewendeten Standards gleichzusetzen. In einigen Bereichen, besonders was die nationalen Minderheiten betrifft, können die österreichischen Standards höher angesehen werden als die, die in vielen anderen Ländern der EU angewendet werden.

Mit den europäischen Werten überein stimmt auch die Art der Aktivitäten, welche die Regierung durchführt, um eine kritische Analyse der historischen Vergangenheit Österreichs zu verwirklichen, um gegen Versuche zu kämpfen, das Ausmaß der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zu verschleiern, und, in direkter oder indirekter Form, die Diskriminierung oder das fremdenfeindliche Vorurteil zu bekämpfen.

In Bezug auf die Entwicklung und politische Natur der FPÖ: Es gibt Gründe wegen derer die Beschreibung der FPÖ als populistische Rechtspartei weiterhin angebracht ist. Die FPÖ hat fremdenfeindliche Gefühle in Wahlkämpfe genützt. Damit hat sie eine Atmosphäre geschaffen, welche die offenen Demonstrationen gegen Ausländer in etwas Normales verwandelt und Gefühle großer Beunruhigung geschaffen hat. Die FPÖ hat versucht, Kritik durch Verleumdungsklagen gegen seine Kritiker zu beseitigen. Generell haben die Minister der FPÖ ihre Aufgaben in der Regierung in Verpflichtung der gemeinsamen europäischen Werten durchgeführt. Es ist nicht auszuschließen, dass im Laufe der Zeit neue Strömungen innerhalb der Partei auftauchen.

Die Maßnahmen haben in Österreich "nationalistische Gefühle erweckt"

Es ist nicht Teil des uns übertragenen Mandats, ein Urteil über die juridische Natur der von den 14 Mitgliedsstaaten ergriffenen Maßnahmen abzugeben.

Die von den 14 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergriffenen Maßnahmen haben die Sensibilität bezüglich der Bedeutung der gemeinsamen europäischen Werte erhöht, nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Mitgliedsstaaten. Es besteht kein Zweifel, dass im Falle Österreichs die von den 14 ergriffenen Maßnahmen dazu beigetragen haben, dass die österreichische Regierung ihre Bemühungen verstärkt hat. Die Maßnahmen haben der Öffentlichkeit auch dazu gedient, diese Werte mit größerem Nachdruck zu verteidigen.

Die Wirkung der von den Mitgliedsstaaten getroffenen Maßnahmen wäre im Fall ihrer Beibehaltung kontraproduktiv, weshalb sie beendet werden sollten. Die Maßnahmen haben in Österreich bereits jetzt nationalistische Gefühle hervorgerufen, vor allem deshalb, weil sie in einigen Fällen irrtümlicher Weise als gegen die österreichischen Bürger gerichtete Sanktionen empfunden wurden.

Die FPÖ hat versucht, Kritik zu bekämpfen

Wir befinden, dass die österreichische Regierung so aktiv wie der Präsident der Republik Äußerungen mit xenophobem oder diffamatorischem Charakter verurteilen müßte. Die FPÖ hat versucht, Kritik zu bekämpfen indem sie in regelmäßiger Form Verleumdungsklagen gegen ihre Kritiker eingebracht hat.

Die Minister der FPÖ haben im Allgemeinen ihre Verpflichtungen in der Regierung in Übereinstimmung mit den Werten der EU ausgeübt . Es ist nicht auszuschließen, dass im Lauf der Zeit neue Strömungen innerhalb der Partei aufkommen.

Die Zukunft wird uns zeigen, ob dies eintritt.

Die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ von einer Rechtspartei mit extremistischen Aspekten zu einer verantwortungsvollen Regierungspartei kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Trotzdem ist diese Veränderung nicht ausreichend klar erkennbar, da die aktuelle Regierung erst relativ kurze Zeit im Amt ist.

Unruhe hervorgerufen

Unser Eindruck ist, dass im Allgemeinen gegen die Tätigkeit der FPÖ Minister in der Regierung seit Februar 2000 keine Einwendungen zu machen sind, außer einigen Äußerungen des Justizministers, welche einige Unruhe hervorgerufen haben.

In Übereinstimmung mit unserem Mandat und den geführten Untersuchungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die österreichische Regierung ihre Verpflichtungen im Sinne der europäischen Werte erfüllt.

In einigen Bereichen, vor allem bezüglich der Situation der Minderheiten in Österreich, können die österreichischen Standards als höher als die anderer EU-Mitgliedsstaaten bewertet werden.

Kontrollmechanismus in der EU gefordert

Wir empfehlen mit Nachdruck die Entwicklung eines Mechanismus innerhalb der Europäischen Union zur Kontrolle und Bewertung der Übereinstimmung und Handlungsweise der Mitgliedsländer der Union in Bezug auf die gemeinsamen europäischen Werte. Wir treten daher dafür ein, in den Artikel 7 des EU-Vertrages Vorkehrungen für Prävention und Kontrolle aufzunehmen, um vom ersten Moment an auf eine gleichwertige Situation zu reagieren, wie sie gegenwärtig in Österreich gegeben ist. Dies würde eine fundamentale Übereinstimmung der EU mit den gemeinsamen europäischen Werten unterstreichen. Ein Mechanismus dieser Art würde auch einen offenen und konfliktfreien Dialog mit dem betroffenen Mitgliedsstaat ermöglichen.

Ein solches Kontrollverfahren würde den Rat auch in die Lage versetzen, die Entwicklung einer bestimmten Situation in einem Mitgliedsland zu beobachten und zu bewerten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. In Verbindung mit diesem Überwachungsverfahren sollte ein System der Prävention mit den Mitteln der Information und Erziehung geschaffen werden, um gegen alle Formen der offenen oder indirekten Diskriminierung oder der Fremdenfeindlichkeit einzuwirken. Als wichtig wird erachtet, innerhalb der Institutionen der Gemeinschaft institutionelle Mechanismen zu schaffen, die diesen Zielsetzungen gerecht werden können. Diese institutionellen Mechanismen können beinhalten die Errichtung eines Büros für Menschenrechte, das dem Europäischen Rat Bericht erstattet; die Ernennung eines Kommissars für Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechten; sowie im Besonderen die Erweiterung der Aktivitäten, des Budgets und des Status der Beobachtungsstelle der EU gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ihren Sitz in Wien hat, sodass es derart zu einer vollständigen Einrichtung einer Menschenrechtsbehörde der EU kommen kann.

Die FPÖ: "Populistische Rechtspartei mit radikalen Elementen"

Es liegen Gründe vor, dass die Beschreibung der FPÖ als populistische Rechtspartei mit radikalen Elementen weiterhin zutrifft.

Die FPÖ hat in Wahlkämpfen ausländerfeindliche Gefühle benutzt.

Damit hat sie eine Atmosphäre geschaffen, welche offene Manifestationen gegen Ausländer zu etwas Normalem gemacht hat, was zu großer Beunruhigung geführt hat.

Mit der Absicht, auch die ehemaligen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei in einer Partei zu versammeln, wurde 1949 der Verband der Unabhängigen gegründet. Der "harte Kern" des VDU gründete 1956 die FPÖ. Eine nicht zu vernachlässigende Zahl von NSDAP-Mitgliedern, unter ihnen einige hohe Parteifunktionäre, gehörten der FPÖ an.

In den 70er Jahren versuchte die FPÖ, wirtschaftsliberale Ideen in ihr Parteiprogramm einzubauen. Lange Zeit kämpften zwei Gruppen um die Macht in der Partei, ein radikal nationalistischer und ein wirtschaftsliberaler Flügel.

Gefühl der Angst unter den Ausländern"

Die Wahlkampfkampagne der FPÖ im Oktober 1999 wurde von vielen einheimischen Beobachtern als ausländerfeindlich bewertet. Plakate mit dem Satz "Stop der Überfremdung" wurden von der FPÖ in Wien ausgiebig verwendet.

Diese Tatsache hat in Österreich zu einer sehr lebhaften Diskussion über die Methoden des Wahlkampfes dieser Partei geführt. Uns wurde mitgeteilt, dass dieser Wahlkampf bewirkte, dass offene ausländerfeindliche Aussagen zulässig schienen, was zu einem Gefühl der Angst unter den Ausländern führte.

Keine einzige Maßnahme

Es hat sich herausgestellt, dass die FPÖ keine einzige Maßnahme gegen Parteimitglieder ergriffen hat, die in der Öffentlichkeit ausländerfeindliche Äußerungen getätigt haben.

Die FPÖ hat diese Art von Äußerungen weder verurteilt noch eingedämmt und sich auch nicht klar für sie entschuldigt.

Wenn den betroffenen Parteimitgliedern ihre Aussagen vorgeworfen werden, ist die übliche Vorgehensweise zu versuchen abzustreiten, dass irgendein Sinnzusammenhang mit dem Nationalsozialismus bestanden hätte.

Verleumdungsklage

Ziffern 99 ff

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, ein spezifisches Problem des österreichischen Rechtssystems zu erwähnen. Gegen eine Verleumdungsklage, der von einem Strafgericht stattgegeben wurde, kann nicht vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof Einspruch erhoben werden. In vielen Fällen gibt es nicht einmal die Möglichkeit, dass der Oberste Gerichtshof die Berufung annimmt und eine endgültige Entscheidung trifft, so dass die letzte Instanz ein Berufungsgericht ist.

Uns wurde außerdem mitgeteilt, dass in vielen Fällen die Rechtsprechung der Berufungsgerichte nicht einheitlich ist. Offenbar berücksichtigen nicht alle Berufungsgerichte in ausreichendem Maße die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in diesem Gebiet.

Typisches Beispiel: die Klage gegen Pelinka

Ein typisches Beispiel für die Problematik ist die Verleumdungsklage Herrn Haiders gegen Herrn Pelinka, die momentan in der Berufung ist und die im am 11. Mai 2000 in erster Instanz gegen Herrn Pelinka entschieden wurde.

Herr Pelinka hatte behauptet, Herr Haider habe die Konzentrationslager verharmlost, indem er sie als "Straflager" bezeichnete.

Obwohl vor Gericht in glaubwürdiger Form bewiesen wurde, dass Haider diese Aussage getätigt hat, wurde Pelinka verurteilt, weil er, so das Gericht, weil er nicht erwähnt hatte, dass Haider, außer von Straflagern zu sprechen, die Tatsache erwähnt hatte, dass in diesen ethnische Minderheiten getötet wurden.

Nach Meinung des Gericht hätte Pelinka diesen zweiten Teil der Aussage erwähnen müssen. 101 - Das Urteil zeigt, wie schwierig manchmal die Kritik an dem, was wir mit "ambivalenter Sprache" bezeichnet haben. Im normalen deutschen Sprachgebrauch ist es absolut unverständlich, den Ausdruck "Straflager" für die Lager, in denen ethnische Minderheiten getötet wurden, zu gebrauchen.

In diesem Sinne muss man wiederholen, was der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ins seiner Rechtsprechung zum rechtlichen Schutz der freien Kritik an Politikern mehrmals betont hat. In seinem ersten Urteilsspruch zu diesem Thema, dem Fall Lingens von 1986, beschloss der Gerichtshof folgendes:

"Die Pressefreiheit ist außerdem einer der besten Wege, über die sich die Öffentlichkeit eine Meinung über die Ideen und Einstellungen der politischen Führer bilden kann. Die freie politische Diskussion befindet sich im Zentrum der Idee einer demokratischen Gesellschaft. Deshalb ist das Ausmaß an Kritik, das für einen Politiker akzeptabel sein muss, weiter als bei einer Privatperson.

Im Gegensatz zur Privatperson ist sich der Politiker bewusst, dass jede seiner Äußerungen und Handlungen sowohl von Journalisten als auch von der Öffentlichkeit genauestens beobachtet wird und muss deshalb ein höheres Toleranzniveau zeigen.

Es besteht kein Zweifel, dass der Artikel 10 Absatz 2 das Privatleben und den guten Ruf aller Bürger, auch von Politikern außerhalb ihrer privaten Umgebung schützt, aber in diesen Fällen muss diese Schutzabsicht von der Forderung nach einer offenen Diskussion aufgewogen werden.

Ernste Zweifel an der politischen Debatte

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass der systematische Gebrauch von Verleumdungsklagen, um Kritik an der etwas ambivalenten Ausdrucksweise, die von FPÖ-Führern gebraucht wird, zu unterbinden, ernste Zweifel an der politischen Debatte, die von der FPÖ in Österreich hervorgerufen wird, besonders seit diese Teil der Regierung ist, hervorruft.
Textauszüge aus Südeutscher Zeitung und Der Standard, 09.09.2000. Zwischenüberschriften von uns.

Zur "Österreich-Seite"

Zu anderen Regionen/Ländern

Zurück zur Homepage