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Australien setzt auf Abschreckung

Debatte über Asylpolitik nach Kentern eines weiteren Flüchtlingsboots

Von Thomas Berger *

Nur wenige Tage nach der jüngsten Flüchtlingstragödie in Australien ist es am Mittwoch erneut zu einem tödlichen Zwischenfall auf See gekommen. Mehrere Handelsschiffe und eines der australischen Marine reagierten auf einen im Morgengrauen abgesetzten Notruf eines völlig überladenen Bootes, das nördlich von Christmas Island in Seenot geraten war. Nach unterschiedlichen Angaben wurden 123 bzw. 125 Menschen lebend geborgen, mindestens ein Mensch soll tot sein. Unklar ist nach wie vor, wie viele Personen genau sich ursprünglich an Bord des gekenterten Bootes befanden.

Erst in der vergangenen Woche war ein anderes Boot etwa in der gleichen Meeresregion auf dem Weg zwischen Indonesien und der zu Australien gehörenden, aber weit vor dem Festland liegenden Insel gesunken. Von den etwa 200 Menschen, die es vermutlich trug, konnten nur 110 gerettet werden. Von den Ertrunkenen wurden lediglich 17 geborgen. Die Suche nach Überlebenden war am Sonnabend eingestellt worden.

Beide Vorfälle haben in Down Under die Debatte um die Flüchtlingspolitik einmal mehr angeheizt. Die sozialdemokratische Labor-Regierung von Premierministerin Julia Gillard ist bis jetzt mit ihren Plänen für einen Deal mit Malaysia nicht recht vorangekommen. Australien würde 800 Flüchtlinge aus seinen Internierungszentren dorthin schicken, im Gegenzug über einen Zeitraum von vier Jahren 4000 Asylsuchende aus Malaysia, die dort schon seit Jahren ausharren, zur Eingliederung bei sich aufnehmen.

Ein von dem unabhängigen Abgeordneten Rob Oakeshott eingebrachter Gesetzesvorschlag sah die Eröffnung eines sogenannten »Bearbeitungszentrums« nicht in Malaysia, sondern in einem anderen Land der sogenannten Bali-Gruppe vor. Der von der Regierung unterstützte Entwurf scheiterte jedoch am Donnerstag im australischen Senat, wo die Regierung keine Mehrheit besitzt. Im Gegenzug wäre die Labor-Partei sogar bereit gewesen, den Forderungen der Konservativen aus Liberaler und Nationaler Partei entgegenzukommen, das frühere Internierungslager in der Inselrepublik Nauru wiederzueröffnen.

Die bürgerliche Opposition lehnt die Malaysia-Pläne unter Verweis auf ungeklärte Menschenrechtsfragen ab – so gehört das Land nicht zu den Unterzeichnern der UN-Flüchtlingskonvention –, will aber ausgerechnet das seinerzeit vom konservativen Premier John Howard mit Nauru vereinbarte und dort eingerichtete Camp reaktivieren, das aufgrund der himmelschreienden Zustände schließen mußte. Lediglich der einzige grüne Abgeordnete Adam Bandt lehnt all diese Vorstöße, die vor allem auf Abschreckung gegenüber weiteren Bootsflüchtlingen setzen, ab.

Gegenwärtig werden in den Internierungslagern knapp 5000 Personen festgehalten. In den Camps auf dem Festland sitzen 3915 ein, weitere 991 in der Einrichtung auf Christmas Island. Zwischen 2010 und 2011 kamen insgesamt 9044 Flüchtlinge per Boot an, was einen Anstieg um 41 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor bedeutet. Unvergessen ist das Drama von 2010, als ein Boot an der Steilküste von Christmas Island zerschellte und Anwohner im Grunde hilflos zuschauen mußten, wie 50 Flüchtlinge ertranken

* Aus: junge Welt, Freitag, 29. Juni 2012


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